Die mediale Aufbereitung des Naturerlebens hat Konjunktur: von opulent gefilmten Dokus über jeden Winkel des Globus bis zu Kiosk-Regalen, in denen sich Zeitschriften-Titel stapeln, die das Landleben vor allem aus dekorativer Perspektive betrachten. Diese Sehnsucht nach dem Grünen erstaunt kaum – angesichts der Tatsache, dass die meisten Menschen viel Zeit in geschlossenen Räumen verbringen.
Info
Das geheime Leben der Bäume
Regie: Jörg Adolph + Jan Haft,
101 Min., Deutschland 2019;
mit: Peter Wohlleben
Mischwald als Ideal
Darin plädiert er leidenschaftlich für einen naturnahen Waldumbau; samt einer Abkehr von den verbreiteten Fichten-Monokulturen, die nur der Holzgewinnung dienen, und dem bislang vorherrschenden Einsatz schwerer Erntemaschinen, so genannter Harvester. Ein artenreicher Buchen-Mischwald ist Wohllebens Idealvorstellung.
Offizieller Filmtrailer
Beseelte Natur
Wahrlich keine neuen Erkenntnisse in der Naturschutzbewegung – doch Wohlleben besitzt die Gabe, diese Ideen so zu verpacken, dass er beim breiten Publikum einen Nerv trifft. Schaut man sich „Das geheime Leben der Bäume“ nach seinem gleichnamigen Buch-Bestseller von 2015 an, so wird schnell offenkundig, warum: Wohlleben ist ein eloquenter Charismatiker, der vor Publikum sichtlich aufblüht. Ein Menschenfischer im Dienste der Bäume. Dieser Film ist ganz auf ihn und seine Thesen zugeschnitten.
Unterhaltsam vermittelt der ehemalige Forstbeamte seine Auffassungen zum Ökosystem Wald. In seinen Augen ist die Natur ganz eindeutig beseelt; wohl genau deshalb hört ihm sein Publikum gern zu. Wohlleben spricht von Baumfamilien, Baumfreundschaften und generell von Pflanzen als fühlenden Wesen. Kaum ein Anderer dürfte in jüngster Zeit mehr Leute für den Schutz des Waldes begeistert haben als der Superstar unter den Baumverstehern; zweifelsohne ist das ein großes Verdienst.
Sendungsbewusstsein trifft Geschäftssinn
Doch unter seinen Berufskollegen sind die Meinungen zu seinen Auffassungen geteilt. Die sind nämlich durchaus speziell und entsprechen nicht unbedingt dem Lehrbuch-Wissen der Disziplin. Insbesondere Wohllebens vermenschlichende Metaphern sind nüchternen Wissenschaftlern ein Graus. Seine Försterstelle in der kleinen Eifelgemeinde Wershofen hat er bereits vor einigen Jahren zugunsten seiner Autoren-Laufbahn aufgegeben.
Hintergrund
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Eindrucksvoller als ein Waldspaziergang
Über solche Hintergründe erfährt man in diesem Film freilich nichts. Der inszeniert Wohlleben ganz als umtriebigen Umweltschützer, der vom Hambacher Forst über den polnischen Białowieża-Urwald bis nach Kanada reist, um sich überall für bedrohte Wälder einzusetzen. Außerdem begleitet Regisseur Jörg Adolph den Naturschützer bei Vorträgen und Fernsehauftritten oder schaut ihm am Schreibtisch über die Schulter.
Das Herzstück des Filmes sind die großartigen Naturaufnahmen von Jan Haft, mit denen Wohllebens Ausführungen unterlegt sind. Zeitrafferbilder von sich entfaltenden Blättern und extreme Nahaufnahmen von Insekten wirken ebenso beeindruckend wie Panorama-Totalen von Bäumen oder dem sternbedeckten Nachthimmel. Mit dieser ästhetischen Überhöhung dürfte kaum ein realer Waldspaziergang mithalten können: Hier ist alles larger than life.
Schöner Werbefilm
So hinterlässt der kurzweilige Film bei aller Achtung für Wohllebens Einsatz für einen Wald, der mehr sein soll als nur eine Holz- und Wildplantage, zugleich ein zwiespältiges Gefühl. Eine kritische Auseinandersetzung mit seiner Person und Thesen hätte vielleicht weiterreichende Erkenntnisse gebracht als dieser exzellent bebilderte Werbefilm für seine Aktivitäten.