Gibt es im Iran überhaupt ein Wort für „schwul“? Das will Parvis von seiner Mutter wissen. Er ist Mitte 20, spricht besser Deutsch als Farsi und lebt zwischen Techno-Partys und schnellem Sex in den Tag hinein. Sein Idol ist eine Manga-Figur; auf dem Bett in seinem Mansardenzimmer liegt ein Panda-Teddybär, während er sich selbst befriedigt.
Info
Futur Drei
Regie: Faraz Shariat,
92 Min., Deutschland 2019;
mit: Benjamin Radjaipour, Banafshe Hourmazdi, Eidin Jalali, Jürgen Vogel
Trotz Wohlstand nicht dazugehören
Seine Welt wirkt wie ein Idyll aus der Mitte der Gesellschaft: Vorstadtsiedlung von Hildesheim, Haus mit Garten und Online-Dating. Die Eltern kamen vor mehreren Jahrzehnten aus dem Iran. Sie haben ein Leben lang geschuftet und es zu einigem Wohlstand gebracht. Doch sie müssen einsehen, dass sie es nicht geschafft haben, wirklich anzukommen und dazu zu gehören.
Offizieller Filmtrailer
Sich in der Sporthalle abreagieren
Wer zieht die Grenzen zwischen Anerkennung und Diskriminierung? Wer entscheidet, was man sein darf? Und wie bestimmt man selbst, wer man ist? Mit solchen Fragen, den klassischen Problemen in einem Coming-of-Age-Film, müssen sich alle Figuren herumschlagen. „Futur Drei“ stellt sich mit ein wenig Selbstironie bewusst in diese Tradition, weist aber auch darüber hinaus. Indem er klar stellt, dass eine Gesellschaft im Wandel diesen Prozess der Selbstverortung und -befragung immer wieder neu auf sich nehmen muss.
Die Disziplin seiner Eltern kontert Parvis mit Unbekümmertheit. Bis er irgendwann selbst Verantwortung übernehmen muss: Wegen einer kleinen Gaunerei wurden ihm 120 Stunden Sozialarbeit aufgebrummt, die er in einem Wohnprojekt für Geflüchtete ableistet. Dort spielt sich das Leben vor allem in einer Sporthalle ab, in der aufgestaute Energie, Wut und Konflikte abreagiert werden. Hier tritt Bewegung auf der Stelle; Menschen in Parvis‘ Alter werden hier geparkt. Sie sind zum Nichtstun verdammt und von Abschiebung bedroht, so dass sie letztlich nirgendwo ankommen dürfen.
Mit Teddy Award 2020 prämiert
In diesem Wohnprojekt lernt Parvis ein iranisches Geschwisterpaar kennen: Amon (Eidin Jalali) und Banafshe (Banafshe Hourmazdi) sind Bruder und Schwester. Alle drei sprechen Farsi miteinander. Sie sind verwandt in ihrer Gleich- und Andersartigkeit; vor allem Parvis und Amon sind als schwule Migranten doppelter Diskriminierung ausgesetzt – allerdings unter verschiedenen Voraussetzungen. Das wird klar, als Parvis und Amon sich ineinander verlieben, während Banafshe die Abschiebung droht.
Hintergrund
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und hier einen Bericht über den Film "Exil" - beklemmendes subtiles Einwanderer-Diskriminierungs-Drama von Visa Morina
und hier einen Beitrag über den Film "Was werden die Leute sagen" – norwegisches Melodram über Einwanderer aus Pakistan von Iram Haq
Warte, warte nur ein Weilchen
Gegen einen Alltag aus unsicherem legalen Status, Diskriminierung und sexueller Selbstverleugnung – was Shariat wie nebenbei, aber sehr präzise einfängt – setzt der Film auch ein Utopia im lila Sonnenuntergang. „An manchen Tagen will ich den Leuten ins Gesicht schreien: Ich bin die Zukunft!“, sagt Parvis einmal zu seiner Schwester Mina (Maryam Zaree).
Doch oft habe er das Gefühl, er sei nichts als eine Erinnerung an den Schmerz ihrer Eltern, ergänzt er. Das haben Parvis, Amon und Banafshe gemeinsam: Was sie sich vornehmen und wünschen, müssen sie immer wieder aufschieben – auf ein unbestimmtes Später, das es vielleicht nie geben wird.