Anfang der Achtzigerjahre zieht David Yi mit seiner Familie von Kalifornien nach Arkansas. Seine aus Korea eingewanderten Eltern arbeiten als „Kükensexer“: Sie bestimmen das Geschlecht junger Hühner. Aber Vater Jacob (Steven Yeun) hat ehrgeizige Pläne. Das neue Haus im ländlichen Süden ist zwar – zur Enttäuschung seiner Frau Monica (Han Ye-ri) – nur ein besserer Trailer, doch das dazugehörige Land ist fruchtbar, und so will Jacob als Landwirt etwas dazuverdienen. Da er weiß, dass nach wie vor Landsleute in die Vereinigten Staaten kommen, setzt er auf koreanisches Gemüse.
Info
Minari - Wo wir Wurzeln schlagen
Regie: Lee Isaac Chung,
115 Min., USA 2020;
mit: Steven Yeun, Alan Kim, Yuh-Jung Youn
Weitere Informationen zum Film
Das Kraut der Heimat
Soon-ja ist allerdings nicht die Oma, die David sich gewünscht hätte: Sie kann weder backen noch kochen, trägt Männerunterwäsche, und ihre wahre Leidenschaft gilt dem Kartenspiel. Und sie ist auch eine Kräuterhexe: Der wegen eines Herzfehlers überfürsorglich behütete David muss nun allerlei seltsames Gebräu zu sich nehmen. An einem Bach baut Soon-ja das Minari-Kraut aus ihrer Heimat an; am Ende des Films ist der Bach überwuchert – unschwer zu deuten als Symbol für die Fähigkeit, sich in einer neuen Umgebung durchzusetzen.
Offizieller Filmtrailer
Die kindliche Perspektive
Davon abgesehen fährt der autobiographisch eingefärbte Film von Regisseur Lee Isaac Chung keine allzu schweren intellektuellen Geschütze auf: Er konzentriert sich auf die emotionalen Schlüsselmomente im neuen Leben der Familie und lässt dabei enge Bildausschnitte und Großaufnahmen für sich sprechen; oft sind Personen einfach in stiller Betrachtung zu sehen. Der Film besticht mit seinem lakonischen Erzählton, größtenteils aus Davids kindlicher Perspektive. Dass Paul im Korea-Krieg gedient hat, wird nur beiläufig erwähnt. Rassismus schimmert kurz auf, wird aber nie zur Gefahr.
Chung legt in seinem Film ganz andere Schwerpunkte: zum Beispiel auf Davids Verhältnis zur Großmutter oder das Schicksal der männlichen Küken. Oder auf Paul, der denselben Gott anbetet wie David und seine Familie – aber verwirrend anders: Paul geht nicht in die Kirche wie sie – stattdessen schleppt er Sonntags ein Kreuz mit sich herum. Nach dem Schlaganfall der Großmutter nimmt das Drama allmählich seinen Lauf und wächst zur existentiellen Bedrohung heran.
Eine christlich-amerikanische Musterfamilie
Nebenbei erzählt der Film noch einmal die Geschichte des amerikanischen Pioniertraums – zeitgemäßer, aber auch nicht frei von Verklärung. Die Kamera von Lachlan Milne vermeidet die weiten Totalen und die Landschaftsverherrlichung der klassischen Western: Das Land wird hier eher als indifferent, eng und abweisend inszeniert. Es muss bearbeitet, gelockert und gewässert werden, bevor die Familie Wurzeln schlagen kann.
Hintergrund
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Dennoch geht „Minari“ weit über das koreanisch-amerikanische Thema hinaus. Mit seiner ebenso schlichten wie mitunter ergreifenden Bildsprache verhandelt der Film am konkreten Beispiel eine universale menschliche Erfahrung. Obwohl die Geschichte fast ohne Krieg, Flucht, Tod und Trauma auskommt, erteilt sie eine eindringliche Lektion: Wer alles hinter sich gelassen hat, für den geht es im weiteren Leben um alles.