
Taking back control: Seit geraumer Zeit kommen ein bis zwei Mal jährlich britische Filme ins Kino, in denen sich das Vereinigte Königreich seiner glorreichen Taten im Zweiten Weltkrieg besinnt. Mit stiff upper lip, trockenem Humor und tongue in cheek, aber stets mit unerschütterlicher Siegesgewissheit; durch solche Tugenden, lautet die untergründige Botschaft, werden sich auch alle Brexit-Folgen bewältigen lassen.
Info
Die Täuschung (Operation Mincemeat)
Regie: John Madden,
128 Min., Großbritannien/ USA 2021;
mit: Colin Firth, Matthew Macfadyen, Kelly Macdonald, Penelope Wilton
Weitere Informationen zum Film
Invasion in Griechenland statt Sizilien
Unter diesem Namen lief eine der wichtigsten Geheimdienst-Operationen der Alliierten ab. Sie planen 1943 ihre Landung auf Sizilien; um den Erfolg zu sichern und eigene Verluste zu minimieren, soll die Nazi-Führung über den Ort der Invasion getäuscht werden. Mit einem Trick wird ihr suggeriert, die alliierten Truppen beabsichtigten einen Angriff auf das von der Wehrmacht besetzte Griechenland. Damit die Finte glaubhaft erscheint, muss sie raffiniert inszeniert werden.
Offizieller Filmtrailer
James-Bond-Autor feilte an Idee
Die vermeintlichen Angriffspläne werden einer Leiche zugesteckt, die als britischer Pilot eingekleidet ist. Der angebliche Major William Martin starb scheinbar bei einem Flugzeugabsturz, fiel ins Meer und wird Tage später an einem spanischen Strand angespült. Diese aufwändige Maskerade soll von einer eigens dafür gebildeten Geheimdienst-Einheit ins Werk gesetzt werden, deren Arbeit der Film rekonstruiert.
Federführend sind Ewen Montagu (Colin Firth) und Charles Cholmondeley (Matthew Macfadyen); er fischt aus einem älteren Memorandum die Idee, für Augenwischerei eine Wasserleiche zu nutzen. Weiter ausgefeilt wird sie von einem gewissen Ian Fleming (Johnny Flynn), den die Nachkriegswelt als Autor der James-Bond-Romane kennt. Zum engsten Mitarbeiter-Kreis zählt auch Jean Leslie (Kelly Macdonald); sie gibt sich mit Privatfotos als Geliebte des toten Majors aus. Befehligt wird das Team von Admiral John Godfroy (Jason Isaacs).
Leichen-Kostümierung + -Transport
Nachdem die Einheit formiert ist, setzt sie ihr Vorhaben Schritt für Schritt um. Als Leiche dient die sterbliche Hülle eines Obdachlosen; sie wird kostümiert und mit den nötigen Fake-Dokumenten ausgestattet, was Regisseur John Madden detailgetreu nacherzählt. Dann wird der Kadaver von einem britischen U-Boot zur spanischen Atlantikküste überführt und ins Wasser geworfen. Fischer bergen ihn wie gewünscht.
Das Durchsickern der Dokumente an die Deutschen droht zeitweise zu scheitern. Doch als die Habseligkeiten des ‚toten Majors’ nach London zurückgebracht werden, stellt sich heraus, dass sie zuvor gefilzt worden sind. Wie erhofft stößt die alliierte Invasion auf Sizilien am 10. Juli auf wenig Gegenwehr: Die deutschen Besatzer sind unvorbereitet, das Verwirrungsmanöver hat geklappt.
Acht-Uhr-Drink als Gefühlsausbruch
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Erfindung der Wahrheit – Miss Sloane" - brillantes Porträt einer Polit-Lobbyistin von John Madden
und hier eine Besprechung des Films "Churchill" - glänzendes Biopic über den britischen Premier vor der Alliierten-Landung in der Normandie 1944 von Jonathan Teplitzky
und hier eine Kritik des Films "Dunkirk" – monumentales Echtzeit-Epos über die Evakuierung britischer Truppen im Zweiten Weltkrieg von Christopher Nolan
und hier einen Beitrag über den Film "Die Liebe seines Lebens – The Railway Man" – ergreifendes Schuld-und-Sühne-Drama über einen Weltkriegs-Veteranen von Jonathan Teplitzky mit Colin Firth
und hier einen Bericht über den Film „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ – Biopic über das Informatik-Genie Alan Turing im Zweiten Weltkrieg von Morten Tyldum.
Zumal Colin Firth als Hauptfigur in der Pose eines patriotischen Stoikers vom Dienst erstarrt, der jeden Fortschritt oder Rückschlag mit dem gleichen bittersüßen Lächeln quittiert. Da darf es schon als Gefühlsausbruch gelten, wenn er am Ende seinem Kollegen-Konkurrenten um acht Uhr morgens einen Drink spendiert, um die geglückte Sizilien-Invasion zu begießen.
Stoff für Militärhistoriker
Wie sich Weltkriegs-Episoden hinter den Kulissen mitreißend erzählen lassen, hat Regisseur Morten Tyldum 2014 mit „The Imitation Game“ gezeigt: Er schilderte, wie der geniale Informatiker Alan Turing den Verschlüsselungs-Code der deutschen „Enigma“-Chiffriermaschinen knackte – und später der Homophobie der Nachkriegszeit zum Opfer fiel.
Auch Regisseur John Madden hat in seinem letzten Film „Die Erfindung der Wahrheit – Miss Sloane“ (2016) die papierne Welt von Polit-Lobbyisten in eine fesselnde Redeschlacht verwandelt. Doch „Die Täuschung“ bleibt so glatt gebügelt und steif wie die Uniformen seiner Protagonisten. Manche Kriegsgeschichten überlässt man besser den dicken Büchern von Militärhistorikern.