Mark Rylance

The Outfit – Verbrechen nach Maß

Der Schneider Leonard (Mark Rylance) spielt ein doppeltes Spiel. Foto: Nick Wall / Focus Features
(Kinostart: 2.6.) Als todschicke Anzüge für Männer von Halbwelt noch Arbeitskleidung waren: Regisseur Graham Moore siedelt seinen 1950er-Jahre-Thriller im Atelier eines Herrenschneiders an. Das er nicht verlässt – als sorgfältig konstruiertes und glänzend gespieltes Film-Noir-Kammerspiel.

Filme über Chicago-Gangster gibt es viele, ebenso über berühmte Modeschneider. Beide, sagen wir: Handwerke miteinander zu verbinden ist tatsächlich ein neuer Ansatz dieses Thrillers. Er führt zurück in die 1950er Jahre, als die Glanzzeiten der klassischen US-Mafia bereits vorbei, die alten Syndikate der 1920/30er Jahre aber noch aktiv waren.

 

Info

 

The Outfit – Verbrechen nach Maß

 

Regie: Graham Moore,

105 Min., USA 2022;

mit: Mark Rylance, Zoey Deutch, Johnny Flynn

 

Weitere Informationen zum Film

 

„Wenn man etwas Gutes schaffen will, sollte man wissen, für wen man das tut“, ist das Credo von Leonard Burling (Mark Rylance). Er hat sein Handwerk in der Londoner Savile Row gelernt, wo die besten Schneider des Vereinigten Königreichs ansässig sind, und viele Jahre lang perfektioniert. Der Brite betreibt in Chicago ein kleines Atelier für Maßanzüge und stellt jeden Kunden mit dem passenden Schnitt und Stoff zufrieden.

 

Beobachtung, Empathie + Diskretion

 

In die Metropole am Michigansee hat ihn ein persönlicher Schicksalsschlag geführt. Was genau, erzählt er selbst seiner jungen Assistentin Mable (Zoey Deutch) nicht, zu der er ansonsten ein väterliches Verhältnis hat; er betrachtet sie sogar als potentielle Nachfolgerin. Dafür sind nicht nur Handwerk, sondern auch Beobachtungsgabe und Einfühlungsvermögen gefragt. Über beides verfügt der zurückhaltende Junggeselle sehr wohl – dazu über Diskretion.

Offizieller Filmtrailer


 

Mordsmäßig gut gekleidet

 

Die ist essentiell, denn einige seiner besten Kunden gehören zur Chicagoer Mafia. Sie nennen ihn einfach „English“, weil sie es sich erlauben können, ohnehin Spitznamen bevorzugen und den Begriff „todschick“ buchstäblich mit Leben füllen. In seinem kleinen Laden fühlen sich die mordsmäßig gut gekleideten Herren wie zu Hause.

 

Zwischen Maßnehmen und Anprobe ist immer noch Zeit für ein Schwätzchen oder das Leeren des Briefkastens im Hinterzimmer, in dem etliche harte Jungs Umschläge hinterlassen. Einer von ihnen hat einen besonderen Stempel. Der Brief ist von „The Outfit“; diesem berüchtigten Chicagoer Mafia-Syndikat hatte auch Al Capone angehört. Nun wird der aufstrebende Gangsterboss Roy Boyle (Simon Russell Beale) zum Gespräch gebeten; mit einem zuvor versteckten Tonbandgerät soll eine „Ratte“ enttarnt werden, also ein Verräter in den eigenen Reihen.

 

Skript zu Biopic über Alan Turing

 

Das alles geschieht im Beisein des unauffälligen Schneidermeisters. Als am späten Abend zwei von Boyles Nachwuchs-Gangstern an Burlings Tür klopfen und Unterschlupf verlangen, beginnt eine lange Nacht für alle Beteiligten. Einer der beiden namens Richie (Dylan O´Brien) ist schwer verletzt; zudem folgt ihnen die Polizei auf den Fersen. Der Schneider ist in der Zwickmühle – aber er wird in den kommenden Stunden mehr als eine unvorhersehbare Entscheidung treffen.

 

Dass er historische Stoffe spannend erzählen kann, hat Regisseur und Drehbuchautor Graham Moore bereits 2014 mit seinem Skript zu „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ bewiesen. Dieses ungewöhnliche Biopic zeichnete nach, wie der geniale Mathematiker Alan Turing im Zweiten Weltkrieg den Code der deutschen „Enigma“-Verschlüsselungsmaschine knackte – und trotz seiner Verdienste im homophoben Nachkriegs-Großbritannien in den Tod getrieben wurde.

 

So präzise wie Maßanzug gefertigt

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Bridge of Spies - Der Unterhändler" – fesselnder Spionage-Thriller über Agenten-Austausch im Kalten Krieg von Steven Spielberg mit Mark Rylance

 

und hier eine Besprechung des Films "Motherless Brooklyn" – stilsicher inszenierter Neo-Noir-Krimi im New York der 1950er Jahre von + mit Edward Norton

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der seidene Faden" über einen exzentrischen Schneider im London der 1950er Jahre von Paul Thomas Anderson

 

und hier einen Artikel über den Film "The Drop – Bargeld" – fesselnder Krimi über Mafia-Außenstelle in einer Bar in Brooklyn von Michaël R. Roskam mit Tom Hardy

 

und hier einen Bericht über den Film "The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben" – grandioses Biopic über das Informatik-Genie Alan Turing von Morten Tyldum nach Drehbuch von Graham Moore.

 

„The Outfit“ ist Moores Debüt als Regisseur; dass er viel Sorgfalt hineingesteckt hat, merkt man ihm an. Schon der doppelsinnige Titel deutet an, dass in diesem an klassische Film-Noir-Vorbilder angelehnten Kammerspiel nichts so läuft, wie es anfangs erscheinen mag. Die Handlung läuft weitgehend in Echtzeit ab. Dabei enthüllen fast alle Beteiligten ein Geheimnis – was nicht alle überleben.

 

Die brisante Tonbandaufnahme wird zum gleichermaßen gehüteten wie gejagten Schatz; auch eine rivalisierende Bande ist daran interessiert, und das FBI ohnehin. Derweil setzt Moore nicht auf Effekte, sondern auf recht viele dramatische Wendungen und falsche Fährten. Er legt bei der Konstruktion der Geschichte quasi dieselbe Genauigkeit an den Tag wie die Hauptfigur bei der Herstellung eines Anzugs; die dafür nötigen Arbeitsschritte fängt die Kamera minutiös ein.

 

Atelier wie im Theater

 

Ähnliches ausgefeilt sind die pointierten Dialoge. Wobei die gesamte Handlung sich im Schneideratelier abspielt, das stilecht mit Nußholz-Schränken, flaschengrünen Wänden und graubraunen, fein säuberlich gestapelten Stoffen ausgestattet ist – diese Einrichtung lässt mitunter an eine Theaterinszenierung denken.

 

Was Hauptdarsteller Mark Rylance entgegen kommt: Er fühlt sich nach eigener Aussage auf Theaterbühnen ohnehin wohler als in Filmstudios. Hier ist er unübersehbar in seinem Element und trägt die Handlung durch stille, energische Präsenz. Das ist großes Schauspielerkino im besten, altmodischen Sinne – und ein mutiges Regiedebüt von Graham Moore.