Isabelle Huppert + Lambert Wilson

Mrs. Harris und ein Kleid von Dior

Monsieur Carré (Bertrand Poncet, li.) und Marguerite (Roxane Duran, re.) kümmern sich um das Kleid von Mrs. Harris (Lesley Manville, mi.). Foto: Dávid Lukács / © 2021 Ada Films Ltd - Harris Squared Kft..
(Kinostart: 10.11.) Nichts geht über schicken Fummel vom Nobelschneider: Dafür tut eine Putzfrau alles. Paul Gallicos Aschenputtel-Erfolgsroman von 1958 hat Regisseur Anthony Fabian neu verfilmt: als charmante Sittenkomödie mit Retro-Flair, liebevoll ausgestattet und konsequent märchenhaft.

Ein fashion victim avant la lettre: Als der Roman „Flowers for Mrs. Harris“ (dt: „Ein Kleid von Dior“) vom US-Erfolgsautor Paul Gallico 1958 erschien, war seine Idee, dass eine bescheidene Londoner Putzfrau nach Paris reist, um ihre gesamten Ersparnisse beim Haute-Couture-Modehaus Dior auszugeben, reichlich unerhört. Wohl deshalb wurde die Geschichte der patenten Hauptfigur schnell zum Bestseller.

 

Info

 

Mrs. Harris und ein Kleid von Dior

 

Regie: Anthony Fabian,

116 Min., Großbritannien/ Kanada/ Frankreich 2022;

mit: Lesley Manville, Isabelle Huppert, Lambert Wilson

 

Weitere Informationen zum Film

 

Daher schickte Gallico sie in weitere Abenteuer, zum Beispiel 1960 nach New York und 1974 sogar nach Moskau. Der Dauerbrenner blieb aber ihr märchenhafter Ausflug in die sehr spezielle Pariser Modewelt, der mehrmals verfilmt worden ist. 1982 ließ etwa das westdeutsche Fernsehen die bodenständige Inge Meysel als Ada Harris auf große Reise gehen, allerdings weniger mondän, als es die Vorlage verlangt.

 

Warten auf den Kriegsheimkehrer

 

In dieser neuen britischer Verfilmung von Regisseur Anthony Fabian ist das anders. Er belässt die Figur und Geschichte in ihrer Entstehungszeit der 1950er Jahre, wo sie auch am besten aufgehoben sind. Mrs. Ada Harris, mit viel gutgläubigem Charme gespielt von Lesley Manville, wartet immer noch auf ihren im Zweiten Weltkrieg vermissten Ehemann; sie hält sich mit Haushalts- und Putzjobs über Wasser.

Offizieller Filmtrailer


 

Robe für ein kleines Vermögen

 

Bei ihrer noblen Kundin Lady Dant entdeckt sie beim Aufräumen ein wunderschönes Kleid von Dior und verliebt sich auf der Stelle in das Kleidungsstück. So etwas Schönes möchte sie auch ihr eigen nennen. Allerdings kostet die aufwändige Robe 500 britische Pfund – damals umgerechnet 5800 D-Mark, also auch nach heutigen Maßstäben ein kleines Vermögen.

 

Das Schicksal aber ist Mrs. Harris hold; es spielt ihr die nötige Summe für das Objekt ihrer Begierde sowie das Flugticket nach Paris zu. Was sie natürlich nicht weiß: Jedes Kleid wird maßgefertigt und erfordert einen längeren Aufenthalt in der Stadt – ein willkommener Anlass für ein kleines Sittengemälde der französischen Metropole, in der Existentialismus und Jazz den Ton angeben.

 

Galanter Marquis als Retter

 

Zunächst einmal muss die einfach gekleidete Frau am dünkelhaften Zerberus des Modehauses vorbeikommen. Dior-Direktorin Claudine Colbert wird von Isabelle Huppert gewohnt zickig verkörpert; später zeigt sie aber auch eine zutiefst menschliche Seite. In dieser Szene wird so subtil wie komisch das soziale Gefälle zwischen den wortwörtlich Gutbetuchten und dem einfachen Volk sichtbar; mehr Sozialkritik darf sich ein modernes Märchen allerdings wohl nicht erlauben.

 

Also kommt alsbald der galante Marquis de Chassagne (Lambert Wilson) als Retter daher. Er nimmt sich der deplazierten Britin an und schleust sie nicht nur an der Dior-Direktorin, sondern auch an reichen Pariserinnen vorbei ins Allerheiligste: Im Showroom führen Mannequins die neusten Modelle vor. Schon glaubt sich Mrs. Harris ihrem Traumkleid ganz nah.

 

Solidarität der Arbeitsbienen

 

Selbstverständlich ist der Marquis kein Gutmensch, sondern nur ein gelangweilter Adliger, der die Sehnsüchte der kleinbürgerlichen Londonerin schlicht amüsant findet. Dagegen trifft sie bei den, den Näherinnen und dem Assistenten André Fauvel (Lucas Bravo), unvermutet auf Solidarität – schließlich schaffen sie fleißig jeden Tag solche schönen Stücke, können sie sich aber ebenso wenig leisten.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der seidene Faden" – Psychothriller über exzentrischen Schneider im London der 1950er Jahre von Paul Thomas Anderson mit Lesley Manville

 

und hier eine Besprechung des Films "Haute Couture – Die Schönheit der Geste" - gelungene Sozialstudie in der Modebranche von Sylvie Ohayon

 

und hier einen Bericht über den Film "House of Gucci" - turbulentes Fashion-Familien-Drama von Ridley Scott

 

und hier einen Beitrag über den Film "Yves Saint Laurent" - einfühlsames Biopic über den legendären Modeschöpfer von Jalil Lespert.

 

Die Arbeitsbienen von Dior nehmen sich der außergewöhnlichen Kundin an; nun darf sie sowohl hinter die Kulissen des Nobel-Ateliers blicken als auch am Pariser Bohème-Leben teilnehmen. Das lässt Regisseur Fabian detailversessen wieder auferstehen: Soiréen, bei denen Mannequins kostbare Kleider tragen; Jazzkeller, wo Existentialisten in schwarzen Rollkragen-Pullovern der Musik lauschen; dazu pittoreske Straßen mit regennassem Kopfsteinpflaster. Selbst ein versoffener Clochard, der auf Englisch philosophiert, hat seinen Auftritt.

 

Lieblingskleid für neue Liebe

 

Diese Retro-Attitüde behält Regisseur Fabian konsequent bei. Auch die Tonlage bleibt ganz dem Zeitgeist der späten 1950er Jahre verhaftet, was auf Dauer ein wenig befremdet. Mit Beharrlichkeit und Güte wischt die Hauptfigur sämtliche Vorurteile beiseite; dabei setzt sie ihre Stärken wie etwa Menschenkenntnis rein intuitiv ein. So führt sie ein bislang rein platonisches Liebespaar zusammen; wie zur Belohnung schenkt ihr dafür die Vorsehung über Umwege ihr Lieblingskleid.

 

Im Kern ist dieser Stoff eine Aschenputtel-Geschichte. Wie es sich dafür gehört, kann Mrs. Harris am Ende beim Kriegsveteranen-Ball dank ihres hinreißenden Kleides auch eine neue Liebe bezirzen. Zwar ist das wenig überraschend – dennoch wünscht man sich beinahe, dort auch eingeladen zu sein.