
Auch der Adel hat es bisweilen schwer; wegen der kaum erträglichen Standes-Etikette, die sein Verhalten von früh bis spät regelt. Machtfülle und Luxusleben werden dauernd beschränkt durch die Verpflichtung, zu repräsentieren und sich standesgemäß zu benehmen.
Info
Sisi & Ich
Regie: Frauke Finsterwalder,
132 Min., Deutschland/ Schweiz/ Österreich 2023;
mit: Sandra Hüller, Susanne Wolff, Georg Friedrich, Sophie Hutter
Weitere Informationen zum Film
Skript-Ko-Autor Christian Kracht
„Sisi & Ich“ ist der zweite Spielfilm von Regisseurin Frauke Finsterwalder – zehn Jahre nach ihrer Sitten-Tragikomödie „Finsterworld“. Erneut hat sie das Drehbuch gemeinsam mit ihrem Mann verfasst, dem Pop-Literaten Christian Kracht. Wie schon in ihrem Debütfilm durchtränkt Camp-Ironie das Geschehen. Etliche Male muss Irma beherzt über ihren Schatten springen, bis sie die Gunst von Elisabeth errungen hat. Sodann verfällt sie mit Haut und Haar dem Glanz und Charisma der Monarchin.
Offizieller Filmtrailer
Zwei Kinofilme + zwei TV-Serien
Fernab vom steifen Wiener Hofprotokoll spielt der Film anfangs auf der griechischen Insel Korfu; ihre Lieblingsinsel besucht die Kaiserin ab 1860 regelmäßig. Hier verbringt sie mit ihren Getreuen im gatten- und kinderfreien Refugium unbeschwerte Tage und Nächte. Dabei schaltet und waltet sie, wie es ihr gefällt. Viel Wert legt sie darauf, dass alle dank Kokain-Elixieren schlank bleiben, gut aussehen und niemals Langeweile aufkommt. Indes verlangt Kaiser Franz Joseph bald nach seiner Gemahlin, womit die sorgenfreien Tage gezählt sind.
Nach dem viel beachteten Elisabeth-Porträt „Corsage“ von Regisseurin Marie Kreutzer ist der Film von Finsterwalder bereits der zweite Rückgriff auf den Sisi-Mythos, der binnen eines Jahres ins Kino kommt. Dabei haben beide nichts mit den Sissi-Kostümorgien der 1950er Jahre mit Romy Schneider zu tun. An diese knüpfen eher die beiden TV-Serien „Sisi“ (RTL) und „The Empress“ (Netflix) an – beide von 2021. Kreutzer wie Finsterwalder wollen vielmehr der Legende von der niedlich-kindlichen Kaiserin eigene Interpretationen entgegensetzen.
Rivalität der Zuwendungs-Junkies
Während in „Corsage“ Vicky Krieps als kratzbürstige Sisi einen Kampf für Individualität und gegen die erstickenden Zwänge und Pflichten des höfischen Lebens führt – ähnlich wie Kristen Stewart im brillanten Drama „Spencer“ (2022) von Pablo Larráin über Lady Di im Clinch mit den Windsors –, weitet „Sisi & Ich“ seine Erzählperspektive durch einen veränderten Fokus. Indem der Film aus der Sicht ihrer Untergebenen auf die Monarchin blickt, zeigt er das Leiden an der Macht in verschiedenen Varianten.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Corsage" – brillantes Psychogramm der Kaiserin Elisabeth von Marie Kreutzer mit Vicky Krieps
und hier eine Besprechung des Films "Finsterworld" – episodenhafte Sitten-Tragikomödie von Frauke Finsterwalder
und hier einen Beitrag über den Film "Spencer" – intensives Kammerspiel mit Lady Diana im Clinch mit der Windsor-Etikette von Pablo Larraín mit Kristen Stewart
und hier einen Beitrag über den Film "Ludwig II." – Biopic über den bayerischen Märchenkönig von Peter Sehr + Marie Noëlle mit Hannah Herzsprung als Kaiserin Sisi.
Akteurinnen trällern Popsongs mit
„Sisi & Ich“ verwendet große Sorgfalt auf die Inszenierung von Ausstattung und Kostümen, die der Film in kunstvoll komponierten Bildern mit warmem, körnigen Analogfilm-Look präsentiert. Gegen die Konventionen von Kostümfilmen erklingen jedoch auf der Tonspur zeitgenössische Popsongs, bei denen die Protagonistinnen mitunter inbrünstig mitträllern. Dieser Verfremdungseffekt macht den Film auch für ein Publikum zugänglich, dass sich gemeinhin für historische Stoffe weniger interessieren dürfte.
Obwohl Regisseurin Finsterwalder bei ihrer satirischen Behandlung von Mythen, überzeichneten Nebenfiguren oder orientalistischen Klischees manchmal ins Alberne abgleitet, entwickelt sich „Sisi & Ich“ zu einem ernstzunehmenden Drama. Mit großer Verve verhandelt es die Verletzungen, die Ruhm, Macht und Begehren bei allen Beteiligten verursachen.