Sally Hawkins

The Lost King

Ein Pferd für den König: Philippa Langley (Sally Hawkins) begegnet Richard III. (Harry Lloyd) auf dem Bosworth Field, Ort der Entscheidungsschlacht von 1485. Foto: X Verleih AG
(Kinostart: 5.10.) Ein Königreich für ein Pferd: Richard III. von England war kein Superschurke wie bei Shakespeare. Das findet eine Amateurhistorikerin heraus – und zugleich seine verschollenen Gebeine. Im federleicht ergreifenden Alltags-Heldenepos von Regisseur Stephen Frears glänzt Sally Hawkins.

Schlechtere Presse kann man kaum haben: Der englische König Richard III. (1452-1485) zählt zur Riege der großen Blutsäufer auf dem Herrscherthron, wie etwa Nero, Dschingis Khan oder Tamerlan. Obwohl er nur zwei Jahre lang an der Macht war, gilt er als Inbegriff von skrupelloser Heimtücke und Grausamkeit. Schuld daran ist Shakespeare (1564-1616), der ihn im gleichnamigen Drama als buckliges Scheusal schmäht, um der ihm nachfolgenden Tudor-Dynastie zu schmeicheln – trotzdem oder gerade deswegen zählt die Tragödie bis heute zu seinen meistgespielten Stücken.

 

Info

 

The Lost King

 

Regie: Stephen Frears,

108 Min., Großbritannien 2023;

mit: Sally Hawkins, Steve Coogan, Harry Lloyd

 

Weitere Informationen zum Film

 

Eine Aufführung in Edinburgh besucht Philippa Langley (Sally Hawkins) – sie ist von seinem Bühnentod ergriffen. Richard (Harry Lloyd) erregt in ihr keine Abscheu, sondern Mitleid, weil er wegen seiner körperlichen Missbildung verunglimpft wird. Am nächsten Tag sieht sie ihn auf einer Parkbank sitzen; als sie zu ihm geht, verschwindet die Gestalt nicht. Später wird sie vernehmlich antworten, wenn sie das Phantom anspricht.

 

Zirkel spleeniger Hobbyhistoriker

 

Philippa verfällt aber nicht dem Wahnsinn, sondern dem Wissensdurst. Sie besorgt sich stapelweise Bücher über diesen Monarchen; erst Populärwissenschaftliches, dann Fachliteratur. Außerdem knüpft sie Kontakt zur „Richard III. Society“ – einem jener Zirkel spleeniger Hobbyhistoriker, die es vor allem in Großbritannien gibt. Ob sie sich wirklich diesem Verein anschließen wolle, wird Philippa von einem betagten Kauz gefragt: Sie wirke doch so normal.

Offizieller Filmtrailer


 

Wurde Leichnam in Fluss geworfen?

 

Das bestreitet sie lächelnd. Auf den Blick möge es so aussehen: Mutter zweier Söhne; getrennt lebend von ihrem Ex-Mann (Steve Coogan), mit dem sie sich noch leidlich versteht; in ihrem PR-Agenturjob ganz gut verdienend. Nur ihr chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS) macht ihr regelmäßig zu schaffen. Doch Philippa fühlt sich unterschätzt, benachteiligt und diskriminiert – so ähnlich wie einst Richard III.. Was sie motiviert, sich um seine Ehrenrettung zu kümmern.

 

Zumal es kein Grab gibt und seine sterblichen Überreste als verschollen gelten. Der Kurzzeit-König fiel am 22. August 1485 in der Schlacht von Bosworth nahe Leicester in den Midlands. Dort sei er zwar bestattet, sein Leichnam aber später in den Fluss Soar geworfen worden, so die Legende. Mithilfe von Recherchen und Gesprächen mit Experten kann Philippa den Begräbnisort in der Stadtmitte bei der so genannten Greyfriars Church eines früheren Klosters lokalisieren. Leider wurde die Kirche vor langer Zeit abgerissen.

 

Grabung auf Sozialamt-Parkplatz

 

Doch das Gelände blieb unbebaut; heute befindet sich dort ein Parkplatz hinter dem Sozialamt. Mit detektivischem Spürsinn und unbeirrbarer Überzeugungskraft gelingt es Philippa, genug Fachleute und Geld für eine professionelle archäologische Grabung aufzutreiben. Deren sensationelles Resultat reklamieren anschließend die üblichen Verdächtigen für sich – vor allem der Stadtrat und die Universität Leicester, an deren Bedenken das Projekt zuvor beinahe gescheitert wäre. DNA-Analysen der Knochen zerstreuen jedoch alle Zweifel.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Victoria & Abdul"  – geistreiche historische Tragikomödie über Königin Viktoria von Stephen Frears

 

und hier eine Besprechung des Films "Florence Foster Jenkins" – Biopic über die schlechteste Sängerin der Welt von Stephen Frears

 

und hier einen Beitrag über den Film "Philomena" – anrührende Tragikomödie um Zwangsadoption von Stephen Frears

 

und hier einen Bericht über den Film "Spencer" – brillantes Psychogramm von Lady Diana im Clinch mit den Windsors von Pablo Larraín mit Sally Hawkins.

 

Man muss weder Monarchist noch Mittelalter-Spezialist sein, um von Philippas Leistung schwer beeindruckt zu sein. Sie spricht für sich. Deshalb beschränkt sich Regisseur Stephen Frears zurecht darauf, ihre unglaubliche, aber wahre Geschichte linear nachzuerzählen, ohne sie dramaturgisch aufzuhübschen oder ihre skurrile Leidenschaft ins Lächerliche zu ziehen.

 

Traum-Verwirklichung im besten Sinne

 

Im Lauf von vier Jahrzehnten hat sich Frears quasi als His Majesty’s Sittenchronist profiliert, der mit seinen Filmen diverse Aspekte der britischen Gesellschaft beleuchtet – seien es Popkultur („High Fidelity“, 2000), Immigranten-Elend („Kleine schmutzige Tricks“, 2002), Kolonialvergangenheit („Victoria & Abdul“, 2017) oder das Staatsoberhaupt selbst („Die Queen“, 2006). Und das stets tongue-in-cheek, also mit ironischem Augenzwinkern und Sinn für schräge Details.

 

Die stecken auch hier in fast jeder Szene. Doch eigentlich ist „The Lost King“ ein Heldenepos der Gegenwart, Subgenre: allein gegen das Establishment. Was umso ergreifender wirkt, weil Sally Hawkins ihre Figur ganz unheroisch anlegt. Eine middle class mum im Alltagsstress, mit besten Vorsätzen, aber leicht schusselig und latent überfordert – dennoch überwindet sie mit jahrelanger Beharrlichkeit alle Hindernisse, bis sie ihr Ziel erreicht und das Phantom verschwindet.

 

Traum-Verwirklichung im besten Sinne: Mit ihrer Entdeckung hat sich Philippa Langley ebenso einen Eintrag in den Geschichtsbüchern gesichert wie dem von ihr rehabilitierten König. 2015 wurde sie für ihre Verdienste um die Exhumierung von Richard III. von der Queen mit dem MBE-Orden geehrt: Sie ist nun Member of the Order of the British Empire.