Rendezvous mit einem Superstar: Jan Vermeer (1632-1675) zählt zum halben Dutzend Alter Meister, die weltweit glühend bewundert und verehrt werden. Vor kurzem ergab eine Umfrage in den Niederlanden, dass er dort mittlerweile als der bedeutendste Künstler der Nation geschätzt wird – noch vor Rembrandt. Obwohl nur bei 37 Gemälden als gesichert gilt, dass er sie selbst angefertigt hat; die meisten sind kleinformatig.
Info
Vermeer – Reise ins Licht
Regie: Suzanne Raes,
79 Min., Niederlande 2023;
mit: Gregor Weber, Pieter Roelofs, Abbie Vandivere
Hymnische Berichterstattung
Für die „bisher umfangreichste Werkschau aller Zeiten“ wurde entsprechend laut getrommelt: Zwei Wochen nach Beginn des Online-Vorverkaufs waren bereits 200.000 Zeitfenster-Tickets abgesetzt. Insgesamt kamen in knapp vier Monaten 650.000 Schaulustige zur bestbesuchten Ausstellung, die das Museum je veranstaltet hat. Die Medien quollen über vor hymnischer Berichterstattung; ihre Autoren schwärmten unisono vom einmaligen Erlebnis, derart viele Vermeers auf engstem Raum bewundern und vergleichen zu können. Wobei sich im Anbetracht ihrer Ausmaße fragt, ob man bei diesem Ansturm überhaupt etwas erkennen konnte.
Offizieller Filmtrailer
Old-School-Kunstliebhaber vs. Managertyp
Wer nicht zur gut halben Million Glücklichen zählt, die vor Ort waren, der soll nun mithilfe einer Doku Versäumtes nachholen können. Zwei Jahre lang hat Regisseurin Suzanne Raes den Entstehungsprozess der Ausstellung mit der Kamera begleitet. Wohlgemerkt: Ihr Fokus liegt auf der Realisierung der Retrospektive, nicht auf den Exponaten. Insofern ist der Filmtitel ein Etikettenschwindel. Anstelle von „Vermeer – Reise ins Licht“ sollte er eher „Vermeer-Schau: Reise zum Welterfolg“ lauten.
Um das Mammutvorhaben auf menschliches Maß herunterzubrechen, heftet sich Regisseurin Raes an die Fersen von Gregor Weber. Der deutsche Leiter der Abteilung „Bildende und dekorative Kunst“ am Rijksmuseum steht vor der Pensionierung; er organisiert die Schau quasi als Krönung seines Lebenswerks. Sein Kollege und Antipode ist Pieter Roelofs, für „Gemälde und Skulpturen“ zuständiger Abteilungsleiter. Während Weber als Kunstliebhaber alter Schule auftritt, der ausgiebig über erhabene Eindrücke parliert, markiert Roelofs den alert-effizienten Museumsmanager.
Routinen des Museumsbetriebs
Neben zwei Restauratorinnen zählt zu den Protagonisten noch Jonathan Janson: Er betreibt die renommierte Website „essentialvermeer.com“, auf der sich wirklich alles findet, was sich über den Maler sagen lässt. Geballte Vermeer-Expertise also – doch anstatt sie zu nutzen, um einiges über den Künstler und sein Werk zu vermitteln, beleuchtet der Film bieder die Routinen des Museumsbetriebs.
Sie erscheinen meist so vorhersehbar wie fad, zumal viele Szenen erkennbar gestellt sind. Weber lässt sich irgendein Werk zeigen und preist dessen einzigartige Qualitäten: diese Komposition, diese Lichtführung, diese Details! Dann wird über das weitere Vorgehen beraten; für Museologen gewiss erhellend. Wenn eine Restauratorin demonstriert, dass Vermeer für die Darstellung von Hautpartien überraschend viel Grünerde-Pigmente verwendet hat, ist das ein selten konkreter Moment.
Tauziehen um Flöten-Mädchen
Ansonsten kümmert sich die Filmemacherin kaum um Einzelheiten. Im Vermeers „Musikstunde“ aus dem Buckingham Palace sieht man an der Zimmerwand ein halb angeschnittenes Bild. Weber hat das Original-Gemälde entdeckt, dass dafür Modell stand. Als er es stolz dem schwer beeindruckten Janson vorführt, ist der Film dabei, unterschlägt jedoch dessen Namen und Bedeutung: „Cimon und Pero“ aus der Werkstatt des Barockmalers Dirck van Baburen, eine Allegorie der Nächstenliebe.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Hieronymus Bosch - Schöpfer der Teufel" – Doku zum 500. Todestag des "Malers der Monster" von Pieter van Huystee
und hier eine Besprechung des Films "Tulpenfieber" – facettenreicher Historienfilm über das Goldene Zeitalter der Niederlanden im 17. Jahrhundert von Justin Chadwick
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Vermeer in München - König Max I. Joseph von Bayern als Sammler" in der Alten Pinakothek, München.
Fünf Vermeers in drei deutschen Städten
Eigentlich ein unerhörter Vorgang: Der Leihgeber hält ein Gemälde nicht für echt, der Entleiher hingegen schon – weil 28 Original-Vermeers zugkräftiger sind als 27. Doch die entscheidende Krisensitzung findet hinter verschlossenen Türen statt, und Raes hakt nicht nach. Ebensowenig bei der Frage nach dem Sinn oder Unsinn solcher Blockbuster-Spektakel: Ihr Film endet mit der Ausstellungs-Eröffnung. Bis dahin hat der Zuschauer recht wenig von Vermeer gesehen oder über ihn erfahren. Was sich leicht nachholen lässt: Für die fünf Bilder im Besitz hiesiger Museen reicht eine Kurzreise von Braunschweig über Berlin nach Dresden.