Blitz Bazawule

Die Farbe Lila

Die Freundinnen Shug Avery (Taraji P. Henson), Celie (Fantasia Barrino) und Sophia (Danielle Brooks, v.l.n.r.) singen und tanzen durch Celies Modegeschäft. Foto: © 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.
(Kinostart: 8.2.) Frauenpower im La-La-Land: Inszeniert vom ghanaischen Regisseur Blitz Bazawule erlebt die Musical-Version des schwarzen Bildungsroman-Bestsellers von Alice Walkers ihre Wiedergeburt als feministisch-versöhnliches Kino-Fest für alle Sinne. Und offenbar im Auftrag des Herrn.

Selbst für den erfolgsverwöhnten Steven Spielberg war es ein Höhepunkt seiner Laufbahn: 1986 wurde sein Drama „Die Farbe Lila“ für sage und schreibe elf Oscars nominiert. Samt kalter Dusche: Die Verfilmung des gleichnamigen Briefromans von Alice Walker gewann keine einzige Auszeichnung. In sieben Kategorien unterlag sein Werk ausgerechnet „Jenseits von Afrika“, Sydney Pollacks Breitwand-Adaption des Romans von Karen Blixen, in dem sie melodramatisch ihr Leben als Farmerin im kolonialen Kenia schildert.

 

Info

 

Die Farbe Lila

 

Regie: Blitz Bazawule,

141 Min., USA 2023;

mit: Taraji P. Henson, Danielle Brooks, Colman Domingo, Fantasia Barrino, Halle Bailey

 

Weitere Informationen zum Film

 

Dabei hatte auch Spielberg für sein Drama, das Anfang des 20. Jahrhunderts im Süden der USA spielt, reichlich Gefühlsseliges aufgeboten; etwa die kongeniale Filmmusik von Quincy Jones. Dennoch zeigte die Ignoranz der Academy, welche die Awards vergibt, wie weit sich beide mit ihrem Projekt vorgewagt hatten.

 

Ein Bündel unbequemer Themen

 

In „Die Farbe Lila“ gab es kaum weiße Darsteller. Überdies wurden reihenweise unbequeme Themen wie häusliche Gewalt, Vergewaltigung in der Familie, lesbische Liebe sowie Rassismus und Diskriminierung in der Jim-Crow-Ära zwischen der Abschaffung der Sklaverei 1865 und der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre angesprochen.

Offizieller Filmtrailer


 

Regie-Senkrechtstarter aus Ghana

 

Außerdem mangelte es an männlichen Helden. In „Die Farbe Lila“ sind es Frauen, die sich den Widrigkeiten des Lebens entgegenstellen, einander unterstützen und am Ende triumphieren. Auf ihrem Weg sind Männer eher hinderlich bis bösartig. Bestenfalls kann ihnen geholfen werden, zum Beispiel mit einem Fluch und Gottes Beistand.

 

2005 entstand aus dem Stoff ein Broadway-Musical. Für dessen Verfilmung wurde Jahre später als Regisseur ein im Westen kaum bekannter Senkrechtstarter aus Ghana engagiert. In seiner Heimat war Blitz Bazawule bereits ein beliebter Rapper, als er mit seinem Spielfilmdebüt „The Burial of Kojo“ auf sich aufmerksam machte: dem originell stilisierten Porträt eines Mannes, der von seinen Schuldgefühlen dahingerafft wird.

 

Whoopi Goldberg als Hebamme wieder da

 

Der 2019 bei Netflix gezeigte Film – der erste afrikanische bei diesem Streamingdienst – und seine Mitarbeit am überkandidelten Musikfilm „Black is King“ (2020) von R&B-Superstar Beyoncé ebneten ihm den Weg zum Regiestuhl von „Die Farbe Lila“. So wie Spielbergs Verfilmung von 1985 folgt auch die neue Musical-Adaption der zentralen Figur Celie (als junges Mädchen: Phylicia Pearl Mpasi).

 

Damals feierte Whoopi Goldberg mit dieser Rolle ihr Leinwanddebüt – in Bazawules Fassung hat sie nun einen Auftritt als Hebamme. Auch diesmal muss Celie sich umgehend von ihrem Neugeborenen trennen. Sein Erzeuger, den Celie für ihren Vater hält, übergibt das Kind umgehend der Kirche. Kurz danach verliert sie nach ihrer ungewollten Hochzeit mit dem Tunichtgut „Mister“ (Colman Domingo) auch noch ihre geliebte Schwester Nettie (Halle Bailey) aus den Augen.

 

US-Süden leuchtet wie in „Jim Beam“-Reklame

 

Wie sie mithilfe neuer Freundinnen die Fragmente ihres Lebens wieder zusammensetzt, wird nun von Gesang und Choreographien begleitet. Obwohl weiterhin durchgängig gesprochen wird, bilden neue und alte Songs die sinnlichen Höhepunkte. Oft tanzen die Protagonisten unter freiem Himmel; als Kulissen dienen etwa ein Wasserfall, eine Spelunke im Sumpf oder auch mal ein gigantisches Grammophon. Die Musik zapft dabei alle bekannten Quellen der dreißigjährigen Erzähl-Periode an, von lokaltypischem Banjo-Blues über Jazz und Swing bis zum Gospelchor – mitsamt anachronistischen Vorgriffen auf R&B und Soul.

 

Das ist wohl Musical-Konventionen geschuldet. Der Film betont jederzeit, dass er eine Show ist, in der Traum und Realität auch visuell nahtlos ineinander übergehen. So wirkt es zwar amüsant, dass der ghanaische Regisseur den ländlichen US-Süden in sanft güldenes Licht taucht wie die Reklame für „Jim Beam“-Whiskey. Doch seine Verklärung schwarzer Lebensrealität ist immerhin selbstbestimmt.

 

Black Atlantic verbindet und trennt

 

Regisseur Bazawule hat ein Auge für zeitgenössische Videoclip-Ästhetik mit ihrer effektiven Inszenierung von Tanz und Musik. Er tränkt jede Szene in eine andere Lichtstimmung: immer ein wenig übertrieben, aber auch ein Augenschmaus. Dem Farb- und Klangrausch mischt er überdies allegorische Bilder unter, die an seinen Debütfilm erinnern: etwa vom Atlantik an der Küste von Georgia, der die Kontinente von Amerika und Afrika verbindet – und zugleich auch trennt.

 

Kurze Szenen, die von Netties zeitweiliger Emigration nach Ghana erzählen, hat Bazawule konsequenterweise am gleichen Strand gedreht – wobei in der Dramaturgie düstere und hoffnungsvolle Momente und das popkulturelle Wechselspiel der Kontinente einander geschmeidig ergänzen. Die sexuellen Aspekte der Romanvorlage werden dabei nicht ausgeblendet, aber so keusch wie möglich abgehandelt – offenbar, um das Familienerlebnis nicht zu stören.

 

Zarter Kuss statt lesbischer Love Story

 

Auch ansonsten dominiert Kontinuität statt Brüche: Stephen Spielberg fungiert abermals als Produzent, ebenso wie Quincy Jones und Oprah Winfrey; die heutige US-Talkshow-Queen übernahm 1985 die Rolle der Shug Avery (Taraji P. Henson). Diese selbstbewusste und trinkfeste Nachtclub-Sängerin wird zur schillerndsten Figur in Celies Leben; nach einem zarten Kuss wachen beide am nächsten Morgen fast beiläufig nebeneinander auf. Ihre im Buch zentrale Liebesgeschichte soll wohl, drückt man ein Auge zu, als schwesterliche Zuneigung aufgefasst werden.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "West Side Story" – mitreißende Neuverfilmung des Musical-Welthits von Leonard Bernstein durch Steven Spielberg

 

und hier eine Besprechung des  Films "The United States vs. Billie Holiday" – gelungenes Biopic über die Tragik ihres Lebens als Afroamerikanerin von Lee Daniels

 

und hier einen Beitrag über den Film "Loving" – subtiles Doku-Drama über Rassendiskriminierung in den 1950/60er Jahren von Jeff Nichols

 

und hier einen Bericht über den Film "Moonlight" – Coming-of-Age-Drama eines schwarzen Ghetto-Kid von Barry Jenkins, Oscar für den besten Film 2017.

 

Von Shug lernt Celia, sich durchzusetzen. Ein anderer wichtiger Einfluss ist die rauflustige Sophia, hinreißend gespielt von Danielle Brooks. Beide recht füllige Damen verköpern ebenso wenig das gängige Schönheitsideal wie Hauptdarstellerin Fantasia Barrino. Sie kann der Energie ihrer Kolleginnen darstellerisch zunächst nicht viel entgegensetzen, was an ihrer passiv gezeichneten Figur liegt.

 

Finales Großfamilien-Picknick

 

Celia braucht eine Weile in der Gegenwart ihrer resoluten Freundinnen, um ihr Schicksal selbst aktiv in die Hand zu nehmen. Mit Erfolg: Von Jahr zu Jahr geht es ihr besser. Pläne werden umgesetzt, Wünsche erfüllen sich, allmähliche Bemühungen führen zum Erhofften. Als sich am Ende eine wiedervereinigte Großfamilie zur Picknick-Feier unterm Baum versammelt, stellt Celia mit Genugtuung fest, dass sie es ist, die all diese Menschen zusammengebracht hat.

 

Diese archetypische Geschichte malte Romanautorin Alice Walker vor vier Jahrzehnten in eher düsteren Farben. Mittlerweile ist sie Teil der kollektiven US-Erinnerungskultur. Bazawules Film will dieses Erbe mit der afro-amerikanischen, aber auch der afrikanischen Gegenwart verbinden: Die früheren Sklaven-Forts an Ghanas Küste werden jedes Jahr von Tausenden afro-amerikanischen Touristen besichtigt.

 

US-Afro-Evangelikalen-Connection

 

Dass es in Bazawules Film bunter, fröhlicher und versöhnlicher zugeht als in Spielbergs Adaption – warum nicht? Versöhnung und Vergebung sind keine üblen Botschaften. Allerdings waltet in der neuen Version weniger der Geist von – geschweige denn queer-feministischer – Aufbruchsstimmung als derjenige evangelikaler Freikirchen; je näher der Film auf sein Happy-End zusteuert, desto stärker. Auch das repräsentiert eine starke Verbindung zwischen Amerika und Afrika; im Guten wie im Schlechten.