Joana Mallwitz dirigiert nicht nur mit dem Taktstock. Jede Partitur, die sie sich vornimmt, löst ein Feuerwerk der Mimik und Gestik aus, eine Tour de Force durch ihr körperliches Repertoire. Allein ihr Gesicht gibt preis, wann es gut läuft und wann nicht. Schade, dass die hochkonzentrierte Frau mit dem blonden Pagenkopf im entscheidenden Moment oft mit dem Rücken zum Publikum steht.
Info
Joana Mallwitz – Momentum
Regie: Günter Atteln,
88 Min., Deutschland 2024;
Weitere Informationen zum Film
Powerfrau mit Taktstock
Mallwitz’ Anspannung dabei ist spürbar, und das nicht erst, wenn sie die Bühne betritt. Sie ist eine Powerfrau, die jeden Tag in die Vollen geht. Hochschwanger blättert sie zu Beginn von Günter Attelns Film in ihrem Terminkalender, plant Reisen und Auftritte für die Zeit vor und nach der Geburt. Damals, 2021, lebt sie noch in Nürnberg; gemeinsam mit ihrem Mann, dem Tenor Simon Bode.
Offizieller Filmtrailer
Regisseur mit klassischem Ansatz
Zwei Jahre zuvor wurde sie von der Zeitschrift Opernwelt zur „Dirigentin des Jahres“ gewählt. Als Atteln sie 2016 im Rahmen der Dreharbeiten zu seinem Film „Maestras“ kennenlernte, konnte er noch nicht wissen, wie schnell und konsequent Mallwitz durchstarten würde. Aber er habe es im Gefühl gehabt, sagt er. Das mag daran liegen, dass der Filmemacher sich auf Dokus zu Kunst und Musik spezialisiert hat.
An Mallwitz fasziniert ihn „ihre Musikalität, der Umgang mit ihrem Orchester und dem Publikum, ihre Offenheit und Biografie.“ All das versucht er in seinem Film unter einen Hut zu bringen. Sein Ansatz ist klassisch – aber längst nicht so virtuos, wie die Werke, welche Mallwitz dirigiert.
Die Frau hinter der Marke
Am eindrucksvollsten sind jene Szenen, in denen die Dirigentin allein mit sich und den Notenblättern hadert. Immer wieder aufs Neue studiert und entziffert sie die Seiten, die sie mit Markierungen und Notizen versieht. In der akribischen Auseinandersetzung mit den Stücken stoße sie bisweilen an ihre Grenzen, gesteht die gebürtige Hildesheimerin. In ihrer Stimme klingen ihre Leidenschaft und tiefe Ehrfurcht für die Musik stets mit.
Aber „Joana Mallwitz – Momentum“ interessiert sich für mehr als nur für die Dirigentin bei der Arbeit. Der Regisseur hat den Anspruch, gleichzeitig ein Bild von der Frau hinter dem Markenzeichen zu zeichnen, die erste Chefdirigentin und künstlerische Leiterin des Berliner Konzerthausorchesters zu sein. Lange vor ihrem Wechsel aus Nürnberg in die Hauptstadt hat man ihr Kommen mit einer großflächigen Werbekampagne angekündigt. Mallwitz sei, hieß es auf den Plakaten, „das nächste große Ding“.
Porträt ohne Spannung
Privat sieht man sie als junge Mutter, die mit der Herausforderung kämpft, Job und Familie in den Griff zu bekommen. Aber auch diese Doppelbelastung meistert Mallwitz scheinbar perfekt. Ohne Teamarbeit ist ihr Pensum allerdings nicht zu schaffen. Ihr Ehemann und die Großeltern tragen dazu bei, dass Mallwitz ihre Karriere verfolgen kann. Viel mehr als das verrät der Film allerdings nicht.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Maestro" – feinfühliges Psychogramm von Leonard Bernsteins Ehe von und mit Bradley Cooper
und hier eine Besprechung des Films "Tar" – fesselndes Psychogramm einer Star-Dirigentin mit Cate Blanchett von Todd Field
und hier einen Beitrag über den Film "Ennio Morricone – Der Maestro" – informative und komplexe Doku über den berühmten Filmkomponisten von Guiseppe Tornatore.
Interessante Schlüsselmomente
Dennoch: Interessant sind die biografischen Eckpunkte, die der Film zur Sprache bringt, allemal. Wenn Mallwitz sich an ihre ersten Versuche am Klavier erinnert oder von dem Schlüsselmoment erzählt, der sie überhaupt erst dahin gebracht hat, wo sie heute steht. Hals über Kopf verliebte sie sich als Teenagerin in Franz Schuberts „Unvollendete“ Sinfonie – das Werk hat es ihr bis heute angetan.
Besonders gut erklärt die Ausnahmedirigentin die Struktur klassischer Musik. Sie vermittelt ihren Zuhörern dabei einen Eindruck davon, was sie fühlt, wenn sie Noten liest. Allein dafür lohnt es sich, ihr einen Moment zuzuhören. Dabei ist es sogar egal, ob man sich selbst für klassische Werke und ihre Aufführung begeistern kann oder nicht.