
Ein junger Mann telefoniert in einem Hotel in Kanada. Offenbar wird er bedroht, so dass er seinen Aufenthaltsort ständig wechseln muss. Wer der Mann ist und warum er verfolgt wird, erfährt man erst später. Geraunte Andeutungen, bedeutungsschwangere Streichermusik und ständige Schauplatzwechsel sollen den Spannungsbogen in „The Dissident“ oben halten.
Info
The Dissident
Regie: Bryan Fogel,
119 Min., USA 2020;
mit: Hatice Cengiz, Mohammed bin Salman, Omar Badulaziz
Weitere Informationen zum Film
Halbherziges Eingeständnis
Die Unverfrorenheit dieser Tat schockierte damals die Weltöffentlichkeit. Nach einigen halbherzigen Verschleierungsversuchen wurde Kashoggis Ermordung 18 Tage später durch offizielle saudi-arabische Stellen bestätigt; zugleich bestritten sie jede persönliche Verantwortung von MBS. Ein Jahr später wurden dann einige Beteiligte in Saudi-Arabien verurteilt; fünf von ihnen zum Tode, was man später in langjährige Haftstrafen umwandelte. Die Führungsspitze der Monarchie blieb davon allerdings unberührt. Internationale Konsequenzen für Saudi-Arabien: Im Grunde keine. So weit, so wenig überraschend.
Offizieller Filmtrailer
Lockerungen + Kritikverbot
Obwohl dieser Film wenig Neues zu Tage fördert und seine reißerische Machart gewöhnungsbedürftig ist, lohnt sich „The Dissident“: Regisseur Fogel sieht über den Tellerrand der unmittelbaren Geschehnisse hinaus. Für seinen Vorgänger „Icarus“ (2017), in dem er das russische Staatsdoping-System im Spitzensport beleuchtet, wurde er 2018 mit dem Oscar für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet.
Mit „The Dissident“ vermittelt Fogel nun Einblicke in ein Regime, das unter MBS zwar ein paar vorsichtige gesellschaftliche Lockerungen eingeführt hat. So dürfen Frauen seit 2018 Auto fahren und ohne Erlaubnis eines Mannes verreisen. Zugleich wird jedoch erbarmungslos die Redefreiheit beschränkt. Der Machtanspruch des Kronprinzen ist total: Es gibt keinerlei Raum für Kritik am politischen und gesellschaftlichen Kurs, weder in der realen noch in der digitalen Welt.
Regime-Günstling wird Exilant
Auch außerhalb des Landes sind Oppositionelle nicht in Sicherheit. Als Kronzeuge wird Omar Abdulaziz eingeführt, der junge Mann vom Beginn des Films. Der Saudi greift im kanadischen Exil via Twitter und Youtube schneidend die Machthaber in seiner Heimat an. Dabei kam er auch mit Kashoggi in Kontakt, der Mitte 2017 in die USA ausgereist war. Dieser stammte aus einer hochrangigen Familie, die dem saudischen Königshaus nahe stand. Jahrzehntelang hatte er einflussreiche Posten in der dortigen Medienlandschaft; in den 1990er Jahren war er Vertrauter des Prinzen, der den saudischen Geheimdienst leitete. Kashoggi kannte also seinen Spielraum.
Allerdings wurde der im Laufe der Jahre immer enger; die Gefahr einer Verhaftung wuchs. In den USA wandelte sich Kashoggi zum scharfen Kritiker von MBS. Gemeinsam sollen er und Abdulaziz nach dessen Worten versucht haben, vom Ausland aus die Schlagkraft der saudi-arabischen Trollarmeen zu begrenzen, die auf Twitter Riads Gegner mit Schmähungen niedermachen. Der Film inszeniert diesen virtuellen Schlagabtausch mit eher grobschlächtig animierten Sequenzen, die mit pathetischer Musik untermalt sind.
Türkisches Vorgehen bleibt unklar
Diese in sozialen Medien ausgetragenen Schlammschlachten haben für viele Menschen dramatische Folgen; sie können ohne Begründung im Gefängnis landen. Greifbar wird das vom Regime verursachte Leid am Schicksal von Hatice Cengiz, der türkischen Verlobten Kashoggis. Er hatte das Istanbuler Konsulat am 2.10.2018 aufgesucht, um Papiere für seine Heirat mit der jungen Frau abzuholen. Was der Auftakt zur Hochzeit hätte werden sollen, wurde für sie zum Alptraum.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die perfekte Kandidatin" – facettenreiches Porträt einer saudi-arabischen Wahlkämpferin von Haifaa Al Mansour
und hier eine Besprechung des Films "Ein Hologramm für den König" – sarkastisches Globalisierungs-Sittengemälde aus Saudi-Arabien von Tom Tykwer mit Tom Hanks
und hier einen Bericht über den Film "Der Fall Chodorkowski" – Dokumentation über den langjährig in Russland inhaftierten Oligarchen von Cyril Tuschi.
Aufgesetzte Empörung
Es bleibt die zutiefst bittere Ironie, dass Kashoggis Ermordung seine Stimme wesentlich bekannter gemacht hat als alle seine Texte; ab 2017 hatte er für die „Washington Post“ geschrieben. Diese Dynamik haben die saudischen Machthaber anscheinend unterschätzt. Zugleich wirkt die moralische Entrüstung des Films darüber, wie sehr die Menschenrechte politischen Interessen untergeordnet werden, etwas aufgesetzt. Schließlich werden täglich weltweit viele Verbrechen gegen die Menschenrechte begangen, die ungesühnt bleiben – ihre Opfer sind weniger prominent als Kashoggi.