Ein letztes Rendezvous mit der ersten großen Liebe: „Ich wollte sehen, ob es ihm gut geht“, erklärt Christi Angel. Sie hat in einem Online-Chat gerade ihrem verstorbenen Partner Cameroun geschrieben und ihn gefragt, wie es ihm gehe und wo er jetzt sei. Als der digitale Avatar antwortet, er sei in der Hölle gelandet, umgeben von Junkies, ist Christi schockiert. Mit Tränen in den Augen schiebt sie den Laptop weg.
Info
Eternal You –
Vom Ende der Endlichkeit
Regie: Hans Block + Moritz Riesewieck,
87 Min., Deutschland 2024;
Mit Risiken und Nebenwirkungen
Ein heavy user solcher Angebote ist Joshua Barbeau: Monatelang verließ er kaum das Haus, um Tag und Nacht mit seiner verstorbenen Freundin zu chatten. Warum manche Leute sein Verhalten problematisch finden, ist ihm unverständlich; Trauer sei offenbar ein großes gesellschaftliches Tabu. Für Menschen wie Christi und Joshua ermöglichen digitale Simulationen, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) beruhen, ihre Verbindung mit ihren verstorbenen Liebsten zu erneuern – samt emotionalen Risiken und Nebenwirkungen.
Offizieller Filmtrailer OmU
Persönlichkeit aus Daten-Algorithmen
Die Konsequenzen für die Wahrnehmung, Gefühle und Geldbörsen der Hinterbliebenen sind noch nicht abzusehen. Einen informativen und ergebnisoffenen Versuch zur Folgenabschätzung unternehmen Filmemacher Hans Block und Moritz Riesewieck mit ihrer Doku. „Eternal you“ zeichnet ein nuanciertes Bild davon, wie variantenreich KI-Technologie eingesetzt wird, um Tote vermeintlich wieder auferstehen zu lasssen.
Startup-Geschäftsführer wie Jason Rohrer und Justin Harrison, Gründer von „You, Only virtual“, lehnen schulterzuckend jede Verantwortung für die Benutzer solcher Dienste ab. „Es ist nicht unsere Aufgabe, den Leuten zu sagen: ‚Denk dran, das ist alles nur eine Illusion. Ich bin nicht real’“, betont Rohrer. Harrison verweist nüchtern darauf, dass der Chatbot, mit dem ein User kommuniziert, die Verhaltensmuster einer Persönlichkeit widerspiegelt, die Algorithmen aus Datenmassen gefiltert haben, mit denen sie zuvor trainiert wurden.
Trauerarbeit + teures zweites Leben
Einen Schritt weiter geht die neuseeländische Firma „Soul Machines“. Mitgründer Mark Sagar hat eine virtuelle Kopie seines eigenen Babys erstellt. Dieser digitale Klon mit virtuellem Nervensystem soll sich autonom entwickeln und lernen wie ein analoges Wesen – führt das in Richtung der Entstehung eines menschenähnlichen Bewusstseins?
Psychologen, KI-Kritiker und Digital-Ethiker kommen ebenfalls zu Wort. Die MIT-Professorin Sherry Turkle hebt hervor, dass immer weniger Menschen in Gesellschaft anderer trauern können – ihnen könnten virtuelle Nachbildungen von Toten helfen, mit der eigenen Trauer zurecht zu kommen. Dagegen erinnert Big-Data-Kritikerin Sara M. Watson an die Profitinteressen der Anbieter. Diese „Afterlife Industry“ könnte laut KI-Ethik-Experte Carl Öhman moralischen Druck ausüben, die Toten kostspielig „am Leben zu halten“ – etwa, indem der Avatar eines toten Kindes dessen Mutter anfleht: „Mama, lass mich nicht ein zweites Mal sterben!“.
Alptraum-Therapie + Generationen-Folge
Nahe dran an einem solchen Szenario ist eine Passage über den Auftritt der Südkoreanerin Jang Ji-sung in der TV-Show „Meeting You“. Vor laufender Kamera begegnet sie in einer virtuellen Realität einem Avatar ihrer kleinen Tochter, die mit sieben Jahren starb; dabei versucht die Mutter, ihre lebensecht wirkende Tochter zu umarmen, obwohl sie diese nicht berühren kann. Die Szene ist zutiefst bestürzend – faszinierend und zugleich beängstigend. Später wird Jang Ji-sung erklären, diese Erfahrung habe ihr geholfen, Alpträume von ihrem toten Kind zu überwinden.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Cleaners" – packende Doku über digitale Zensoren von Hans Block und Moritz Riesewieck
und hier eine Besprechung des Films "Watching you – Die Welt von Palantir und Alex Karp" – fesselnde Doku über den Hersteller von Überwachungs-Software von Klaus Stern
und hier einen Berich über den Film "Ich bin dein Mensch" – raffiniertes Kammerspiel über Partnerschafts-Beziehungen zwischen Menschen und Androiden von Maria Schrader, prämiert mit Silbernem Bären 2021
und hier einen Beitrag über den Film "Ex Machina" – kluges Sci-Fi-Psychodrama über künstliche Intelligenz von Alex Garland.
Transzendentale Obdachlosigkeit
Die Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck enthalten sich jeglicher Wertungen und Interpretationen; sie lassen Menschen und ihre Erfahrungen für sich selbst sprechen. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Sachbuch, das beide 2022 veröffentlicht haben – wobei sie angesichts der rasanten Entwicklung nicht den Anspruch erheben, auf dem neuesten technischen Stand zu sein.
Vielmehr interessieren sie sich für die psychologischen Auswirkungen von simulierter Unsterblichkeit. Diese sei eine Antwort auf die „transzendentale Obdachlosigkeit“ in der Moderne, die der marxistische Philosoph Georg Lukács diagnostiziert hat: Die Heilsversprechen der Religionen sind für Abermillionen von Menschen unglaubwürdig geworden. Nun müsse ein neues „Gleichgewicht zwischen technischem Fortschritt und ethisch-moralischer Verantwortung“ gefunden werden, resümieren die Filmemacher – treffend, aber auch trivial.