
„Monsieur Chocolat“ war kein französisches pendant zum Sarotti-Mohr, sondern der Bühnenname des ersten farbigen Clowns. Über ihn lachte Anfang des 20. Jahrhunderts ganz Frankreich; später wurde er vergessen. Nun widmet ihm Regisseur Roschdy Zem eine sinnliche und mitreißende hommage: Der Außenseiter hatte so lange Erfolg, wie er sich den ungeschriebenen Gesetzen der weißen Mehrheit unterwarf.
Info
Monsieur Chocolat
Regie: Roschdy Zem,
110 Min., Frankreich 2016;
mit: Omar Sy, James Thiérée, Clothilde Hesme
Erster schwarzer Bühnenkünstler
Zwischen 1895 und 1910 waren George Footit und sein schwarzer Partner Raphaël Padilla alias Chocolat die wohl erfolgreichsten clowns in Frankreich. Dass die beiden klassischen Figuren – der weiße clown und der dumme August – als Duo auftraten, war neu; dass ein Schwarzer die August-Rolle übernahm, war eine Sensation. Es gab zuvor schlicht keine farbigen Bühnenkünstler. Beide wurden so berühmt, dass sie als Werbeträger fungierten; selbst die Brüder Lumière filmten einige ihrer Auftritte. Als die clowns getrennte Wege gingen, verließ sie der Erfolg.
Offizieller Filmtrailer
Aus der Provinz direkt nach Paris
Ihre Geschichte hat Roschdy Zem, Schauspieler und Regisseur marokkanischer Herkunft, erstmals für die Leinwand aufbereitet. Dabei geht er mit den historischen Tatsachen locker um, doch die wesentlichen Eckdaten stimmen. Der Film beginnt mit der ersten Begegnung von Footit (James Thierrée), der schon bessere Tage gesehen hat, und Padilla (Omar Sy) in einem schäbigen Wanderzirkus irgendwo in der Provinz.
Footit entdeckt das komische Potential des Farbigen, der als Negerkönig Kinder erschreckt. Er überredet ihn, es mit einer gemeinsamen Nummer zu probieren: Rasch lacht sich das Publikum über die beiden kaputt. Ihr Ruf eilt ihnen voraus; so bietet ihnen der Direktor des populären „Nouveau Cirque“ in Paris ein engagement an. Doch die Metropole ist ein hartes Pflaster: Padilla erlebt bald, dass sein Erfolg auch Missgunst anlockt.
Eigenbrötelei gegen Lebenslust
Regisseur Zem erzählt konventionell in chronologischer Folge; die opulente Ausstattung lässt die belle époque lebendig werden. Dynamische Szenenwechsel sorgen ebenso für Kurzweil wie die beiden fulminanten Hauptdarsteller, die ganz in ihren Rollen aufgehen: James Thierrée ist ein zugeknöpfter, perfektionistischer Footit; Omar Sy glänzt als lebenslustiger und charmanter Padilla.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Heute bin ich Samba" - beschwingte Tragikomödie über illegale Einwanderer in Frankreich von Olivier Nakache + Eric Toledano mit Charlotte Gainsbourg + Omar Sy
und hier eine Besprechung des Films "Dido Elizabeth Belle" - Biopic einer schwarzen Aristokratin im England des 18. Jahrhunderts von Amma Asante mit Emily Watson
und hier einen Beitrag über den Film "Der Schaum der Tage" - wunderbar verspielte Verfilmung des surrealen Roman-Klassikers von Boris Vian durch Michel Gondry mit Audrey Tautou + Omar Sy.
Kein schwarzer Schauspieler erwünscht
Auch für Omar Sy ist seine Rolle eine Rückkehr zu komödiantischen Wurzeln. Bevor der Autodidakt mit dem Kassenschlager „Ziemlich beste Freunde“ zum Superstar in Frankreich wurde, bildete er mit Fred Testot ein in Frankreich bekanntes sketch-Duo.
Sein Padilla/ Chocolat genießt den Ruhm in vollen Zügen, trinkt gern, verspielt viel Geld und ist den Frauen sehr zugetan. Sein Erfolg schützt ihn jedoch nicht vor polizeilicher Willkür. Nach dieser Erfahrung will er die Rolle des dummen August ablegen – muss aber feststellen, dass ihn das weiße Publikum nicht als ernsthaften Schauspieler akzeptiert.
So zeigt der Film auch den unterschwelligen bis offenen Rassismus der Epoche. Etwa als Padilla eine der damals populären Völkerschauen besucht, bei denen „exotische Völker“ wie Tiere im Zoo vorgeführt wurden – quasi als lebende Trophäen des Kolonialsystems. Dabei redet ihn ein junger Farbiger an, der zum ensemble zählt. Doch Padilla versteht seine Sprache nicht; er sieht nur, wie fassungslos der Mann darüber ist, dass auf der anderen Seite des Zaunes ein gut gekleideter und genährter Schwarzer steht.