
Ein Wanderer zwischen den Welten: Wenige westliche Kreative sind mit Ostasien so vertraut wie Christopher Doyle. Der gebürtige Australier hat mehr als die Hälfte seines Lebens in China und dessen Nachbarländern verbracht. Er spricht fließend Mandarin und Kantonesisch; seit langem wohnt er in Hongkong.
Info
Hong Kong Trilogy: Preschooled Preoccupied Preposterous
Regie: Christopher Doyle,
90 Min., Hongkong 2015;
mit: Ching Man Lip, Alex Bedwell, Jason Cheung
Beijing verweigert freie Wahlen
Beste Voraussetzungen also, sollte man meinen, für eine eindrucksvolle Doku über die Anti-Beijing-Proteste in Hongkong 2014: Ende August hatte der kommunistische „Nationale Volkskongress“ beschlossen, dass die Hongkonger nicht 2017 ihren Regierungschef frei wählen dürften, wie vorher in Aussicht gestellt. Stattdessen sollen die Kandidaten vorab von einem Gremium aus 1200 Beijing-treuen Notabeln ausgewählt werden.
Offizieller Filmtrailer
Downtown camping-Platz mit 2000 Zelten
Das löste Massenproteste aus, bei denen sich Demonstranten mit Regenschirmen vor Pfeffer-spray der Polizei schützten – rasch sprachen Medien von einer „Umbrella Revolution“. Ab Ende September besetzten „Occupy Central“- Aktivisten Kreuzungen im Stadtzentrum und blockierten den Zugang zum Regierungssitz. Ihr downtown camping-Platz mit rund 2000 Iglu-Zelten wurde erst Mitte Dezember von der Polizei geräumt.
Wer wäre berufener als Christopher Doyle, Geschichte und Verlauf des zivilen Ungehorsams nachzuzeichnen und dem westlichen Publikum verständlich zu machen? Allerdings hat Doyle auch ein faible für schrägen Experimental-trash: als Kameramann etwa für die krude deutsch-japanische Koproduktion „Underwater Love – A Pink Musical“ (2011) oder das wüste Spektakel „Ruined Heart“ (2014) von Khavn de la Cruz, dem Schlingensief der Philippinen.
Irrlichternder Stadtbummel
Seine Neigung zu Abseitigem lebt er in der „Hong Kong Trilogy“ voll aus; sie entstand auf der Basis von Interviews mit Laien. „Wir haben nicht Regie geführt, wir sind den Menschen einfach gefolgt“, sagt Doyle – und genauso sieht das Ergebnis aus: ein irrlichternder Stadtbummel durch die Häuserschluchten der Sieben-Millionen-Metropole, bei dem der Filmemacher und sein team offenbar jeder Augenblickslaune nachgaben und -gingen.
Der erste der drei halbstündigen Teile ist unsäglich uninteressant: Irgendwelche Schüler erzählen auf der Tonspur von alterstypischen Erlebnissen und Sorgen. Irgendwelche Figuren werden eingeführt: etwa eine ABC-Schützin mit Religions-Tick. Oder ein dicker Junge, der eine Schildkröte haben will. Oder ein pummeliger Halbwüchsiger, der mit miserablem rap eine schöne Nachwuchslehrerin bezirzen möchte. Diese Gestalten geistern auch durch die folgenden beiden Teile.
Low cost-Surrealimus mit Neo-hippies
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "A Touch of Sin" – schonungsloses Sozialdrama über Ausbeutung + Gewalt im heutigen China von Jia Zhangke
und hier eine Besprechung des Films "Shanghai, Shimen Road" – stimmungsvolles Generationen-Porträt der Jugend in China 1989 von Haolun Shu
und hier einen Beitrag über den Film "The Grandmaster" – ästhetisiertes Kampfkunst- Epos aus Hongkong von Wong Kar-Wai
und hier einen Bericht über den Film "Underwater Love – A Pink Musical" – schräges „Pink Movie“ aus Japan von Shinji Imaoka mit Christopher Doyle als Kameramann.
Leider kreuzt Doyle das mit Szenen über eine Schar Neo-hippies. Sie machen Musik oder tragen trivial-esoterische Lebensweisheiten vor: Man solle für das Gute kämpfen, sich treu bleiben und Glück verbreiten – solche Sachen eben. Damit es nicht gar zu fad wird, passieren allerlei Seltsamkeiten: aus Kühlfächern steigen CGI-animierte Regenschirme auf, in einer Polizeiwache steht ein Pferd auf dem Flur. Low cost-Surrealimus als acte gratuit.
Government fucks me everyday
Der dritte Teil ist der bizarrste – und zugleich gelungenste. In einer Straßenbahn werden Rentner zu einem speed dating event gekarrt: Bei ihrer Fahrt durch die Straßen sieht man wenigstens etwas von der Stadt. Zudem bleibt der Film lange genug bei der Sache, damit die Protagonisten an Profil gewinnen können. Bis sich Akteure aller drei Teile zu einem bunten Riesen-picknick am Strand einfinden – schon klar, die Utopie lebt weiter.
An diesem Film mitzuwirken, hat gewiss allen Beteiligten großen Spaß gemacht – ihnen dabei zuzusehen, deutlich weniger. Dieses formlose Kaleidoskop erinnert an leidige Improvisations-Filme der 1970er Jahre; damals nahmen Regisseure gern alles Mögliche auf und klebten es irgendwie zusammen, weil sie glaubten, so ungefiltert „wahres Leben“ einzufangen. Mag sein, dass dieses Werk voller Anspielungen steckt, die Hongkonger verstehen – für den Export ist es völlig ungeeignet. Am ehesten beeindruckt die derbe Parole auf einem „Occupy Central“-Banner: „I dont need sex cuz government fuck me everyday“.