
Ein teenager-Junge lebt auf dem Mars und trifft im online chatroom ein gleichaltriges Mädchen, das auf der Erde lebt. Er kennt ihre Welt nicht und hat Sehnsucht nach ihr, sie ist ihrer Welt überdrüssig und möchte nur noch weg. So beginnen Romanzen – oder science fiction-Filme. „Den Sternen so nah“ vom britischen Regisseur Peter Chelsom ist irgendwie beides. Er verschaltet ein SciFi-Szenario mit klassischen Narrativen menschlicher Leidenschaften.
Info
Den Sternen so nah
Regie: Peter Chelsom,
121 Min., USA 2017;
mit: Asa Butterfield, Britt Robertson, Gary Oldman
Lieblingsfilm: „Der Himmel über Berlin“
Dort – isoliert von Luft, Feuer und Wasser, aber auch von Schokoriegeln, Rock-Konzerten und Freunden – suchen ihn schon bald menschliche Sehnsüchte heim. Gardner ist inzwischen 16 Jahre alt und möchte endlich die Erde besuchen. Die kennt er bisher nur aus Filmen auf dem Bildschirm. Etwa aus seinem Favoriten „Der Himmel über Berlin“ (1987) von Wim Wenders: Darin gibt der Engel Damiel aus Liebe seine Unsterblichkeit auf, zum Entzücken des romantisch veranlagten Jungen.
Offizieller Filmtrailer
In Begleitung seiner Adoptivmutter
Gardners Organe und Knochen, die sich auf dem Mars bei nur einem Drittel der Gravitation auf der Erde ganz unterschiedlich entwickelt haben, sind nicht für die irdische Atmosphäre geeignet. Nicht nur das spricht gegen einen Ausflug zum blauen Planeten: Die NASA hat die wahre Ursache von Sarah Elliots Tod vertuscht, und damit auch die Geburt ihres Sohnes.
Um seiner Einsamkeit zu entkommen, chattet Gardner seit einigen Monaten mit der hübschen Tulsa (Britt Robertson) aus Colorado. Er könne sie leider nicht besuchen, da er an einer schlimmen Krankheit leide, erzählt er ihr, um seine vermeintlich aussichtslose Situation zu vertuschen. Doch irgendwann kann Gardners Adoptivmutter Kendra (Carla Gugino) seinen Wunsch nach Kontakt zur Menschheit nicht mehr ignorieren; sie setzt durch, ihn trotz medizinischer Bedenken auf einer Reise zur Erde zu begleiten.
Beflügelt vom Wind im Nacken
Nun beginnt ein road movie im Stil von „Bonnie und Clyde“ (1967). Der teenager, beseelt von der nie zuvor gefühlten Schwere seines Körpers und dem Gefühl von Wind im Nacken, flieht im erstbesten Moment aus den Fängen der NASA und steigt in einen Greyhound-Bus, um Tulsa zu finden. Die ist zunächst skeptisch, hilft ihm aber dann bei der Flucht vor seinen Vormunden, die ihn schon bald mit Hubschraubern verfolgen.
Mit gestohlenen Autos schlägt sich das Paar nach New Mexico durch; dort will Gardner seinen Vater finden. Zwischendurch lernt er die Liebe im Schnellverfahren kennen. Dann liegen die beiden plötzlich mitten in einer Felswüste nebeneinander im Schlafsack und starren in den Nachthimmel. Den Sternen so nah. Dem Klischee aber noch viel näher.
Elementare Freiheit des Autofahrens
Hintergrund
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Die Ausgangsidee des Films ist durchaus interessant. Zwei teenager wachsen beide auf ihre Weise unglücklich auf: er unter Wissenschaftlern, sie in ständig wechselnden Pflegefamilien. Trotz ihres unfreien Daseins haben sie die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht aufgegeben. Doch warum benötigt Regisseur Chelsom dafür das genre der science fiction? War das nicht mal ein Freiraum für ungebremste Fantasie, in dem Welten verhandelt wurden, die ganz anders waren als diejenige, in der sie entstanden?
Ressourcen-Knappheit bei Mut
Heute scheint dieses genre kaum mehr der verengten Perspektive der Gegenwart zu entkommen. Im Zeitalter der vermeintlichen Alternativlosigkeit wagen nur noch wenige zu träumen; stattdessen zieht man vor, sich in coming-of-age-stories weißer Mittelschicht-kids zu flüchten. Anstelle fremder Planeten und außerirdischer, vielleicht sogar hybrider Lebensformen bleibt allein der Mensch das Maß aller Dinge; und damit auch seine – gemessen an der Größe des Universums – winzigen Zivilisations-Problemchen.
„Es gibt nur eine Ressource, die unbegrenzt ist“, sagt Projektleiter Shepherd in einer Rede zu Beginn des Films, bevor die crew ihre Reise zum Mars antritt; diese sei „Mut“. Recht hat er; und dasselbe sollte auch für Filmemacher gelten, die sich ein genre vornehmen, das ohne jene Ressource stets dem verhaftet bleibt, was ist – anstatt etwas auszuformulieren, was sein könnte.