Sally Hawkins + Ethan Hawke

Maudie

Everett Lewis (Ethan Hawke) und Maud Lewis (Sally Hawkins), © Photo by Duncan Deyoung, Courtesy of Mongrel Media. Fotoquelle: NFP marketing & distribution*
(Kinostart: 26.10.) Kunst gedeiht in der kleinsten Hütte: Im Biopic über die Malerin Maude Lewis erzählt Aisling Walsh von der engen Beziehung zweier Außenseiter, die ihr Kraft zum Malen gibt. Bildgewaltiges, gefühlvolles Drama über das Glück im Winkel.

Die populäre Vorstellung von einem Künstler ist geprägt vom intellektuellen bohèmien. Schöpferkraft muss aber nicht mit Intellektualität gepaart sein. Für Autodidakten in der bildenden Kunst gibt es den unglücklichen Begriff der „naiven Malerei“ – ihren Bildern fehlt es vermeintlich an Raffinesse in der Ausführung. Doch oft berühren sie Betrachter mit der Darstellung unverstellter Emotionen, ohne diskursiven Überbau. International berühmt werden solche Maler selten. Wie Maude Lewis (1903-1970), die als Pionierin der kanadischen Volkskunst gilt, bislang aber nur in ihrem Heimatland bekannt ist – vielleicht ändert sich das jetzt, fast 50 Jahre nach ihrem Tod, durch diesen Film.

 

Info

 

Maudie

 

Regie: Aisling Walsh,

115 Min., Kanada 2016;

mit: Ethan Hawke, Sally Hawkins, Kari Matchett

 

Website zum Film

 

Die irische Regisseurin Aisling Walsh zeichnet ihr Leben in einem biopic mit Starbesetzung nach. Alles beginnt mit einer schmutzig grauen Wand, die Maude (Sally Hawkins) mit Blumen und Tieren bedeckt. Danach malt sie vor allem auf alten Postkarten. Die gefallen einer Nachbarin so gut, dass sie ihr einige abkauft – für wenige kanadische Dollar. Die Nachfrage steigt, bis Maude zur lokalen Berühmtheit wird.

 

Schwere Arthritis-Erkrankung

 

Der Weg dahin war nicht leicht. Seit ihrer Kindheit plagt die kleine Frau eine schwere Arthritis, die sie kaum wachsen ließ und ihre Knochen verformte. Auch als Erwachsene wird sie nicht ernst genommen und nach dem Tod der Eltern bei der lieblosen Tante abgeladen, während ihr Bruder sich das Erbe allein unter den Nagel reißt.

Offizieller Filmtrailer


 

Flucht aus der Familie

 

Als der Fischhändler Everett Lewis (Ethan Hawke), ein mürrischer Mann ohne Sozialkompetenz, nach einer Haushälterin sucht, sieht Maude darin eine Chance, der Familie zu entfliehen. Nach anfänglichem Misstrauen merken beide, dass sie einiges gemeinsam haben. Sie sind ohne viel Liebe aufgewachsen: Maude als scheinbar wertloser Krüpppel; Everett im Kinderheim, wo er immer noch als Hausmeister arbeitet.

 

Der scheinbare Gegensatz zwischen der Künstlerin und dem seltsamen Handwerker interessiert Regisseurin Aisling Welsh besonders. Sie glorifiziert das ungleiche Paar nicht, sondern zeigt sie als liebevolle Gemüter. Gemeinsam sind sie keine traurigen Gestalten mehr, sondern lernen einander lieben und trotzen allen Anfeindungen. Als Maudes anfangs belächelte Bilder so populär werden, dass sogar das Fernsehen darüber berichtet, bleiben sie auf dem Boden.

 

Sehnsucht nach einfachem Leben

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Paula" – Biopic über die Malerin Paula Modersohn-Becker von Christian Schwochow

 

und hier eine Besprechung des Films "Schloss aus Glas" – präzises Drama über nomadische US-Familie von Destin Daniel Cretton mit Naomi Watts + Woody Harrelson

 

und hier einen Beitrag über den Film "Captain Fantastic" – gelungene Tragikomödie über Dropout-Familie von Matt Ross mit Viggo Mortensen

 

und hier eine Besprechung des Films "Big Eyes" – Kunstskandal-Ehedrama um eine naive Malerin von Tim Burton mit Amy Adams + Christoph Waltz.

 

„Maudie“ ist nicht nur eine ungewöhnliche Künstlerbiografie, sondern auch ein Lobgesang auf das einfache Leben; das erinnert an Filme wie die Aussteiger-Komödie „Captain Fantastic“ (2016) oder das Nomaden-Drama „Schloss aus Glas“ (2017). Sie feiern ein selbst gewähltes, ländliches Dasein. Maude hat sich dieses Leben aber nicht bewusst ausgesucht, sondern nur das Beste daraus gemacht. Nach jahrelangem Verzicht kann sie sich endlich auf die Malerei konzentrieren, hat einen Mann, der sie liebt, und ein Heim, das winzig ist, aber nach ihren Wünschen gestaltet.  

Vermutlich fasziniert Filmemacher die Idee, dass das Streben nach einem schlichten Dasein glücklich machen kann – auch wenn dieser Lebensstil nicht ohne Verzicht umzusetzen ist. So wird Maudes Arthritis in den grimmigen Wintern an der Ostküste Kanadas immer schlimmer, bis sie sich kaum noch bewegen kann.

 

Langsame Entwicklung

 

Die Zurückgezogenheit der Protagonisten bestimmt auch die Erzählweise des Films: Sein Fokus bleibt konsequent auf dem Paar. Die Kamera ist stets nah an ihnen dran, was die Enge des Lebensraums betont, aber auch Nähe zu den Figuren schafft. Veränderungen geschehen kaum merklich für den Zuschauer – plötzlich ist der Film in den 1960er Jahren angekommen, und die Protagonisten sind grau geworden. Währenddessen ist der Wechsel der Jahreszeiten wichtiger als weltgeschichtliche Ereignisse. Vielleicht auch, weil es in der Hütte weder Strom noch fließendes Wasser gibt.

 

Wäre da nicht die süßliche Musik, ließe sich in den grandios inszenierten Landschaftsaufnahmen romantisch schwelgen. Deswegen wird „Maudie“ nicht zum Meisterwerk, ruft aber wohltuend leise in Erinnerung, dass Kreativität nicht nur in bestimmten Zirkeln gedeiht, sondern nur Raum braucht, um sich zu entfalten. Maude hatte dieses Glück.