Sou Abadi

Voll verschleiert (Cherchez la femme)

Armand (Félix Moati) wird von Leilas (Camelia Jordana) Bruder Mahmoud (William Lebghil) umgarnt. Cherchez la femme - © The Film. Fotoquelle: NFP marketing & distribution*
(Kinostart: 28.12.) Im Ganzkörpergewand zum Stelldichein: Um seine Liebste vor ihrem Islamisten-Bruder zu retten, mutiert ein säkularer Student zur Scheherazade. Rasant geistreiche Sittenkomödie der franko-iranischen Regisseurin Sou Abadi.

Der junge Student Armand (Félix Moati) liebt seine Kommilitonin Leila (Camélia Jordana). Armands Eltern, ein Kommunist und eine Feministin, haben den Iran 1979 verlassen; er selbst ist daher säkular aufgewachsen. Neben seinem Jurastudium unterstützt er ehrenamtlich Asylbewerber. Leilas arabische Eltern sind dagegen schon gestorben; sie lebt mit ihrem älteren Bruder Mahmoud (William Lebghil) und dem jüngeren Sinna zusammen.

 

Info

 

Voll verschleiert (Cherchez la femme)

 

Regie: Sou Abadi,

88 Min., Frankreich 2017;

mit: Félix Moati, Camélia Jordana, William Lebghil

 

Website zum Film

 

Die jungen Liebenden freuen sich auf ein Praktikum bei der UNO in New York. Doch dann kehrt Leilas Bruder Mahmoud nach einem längeren Aufenthalt aus dem Jemen zurück. Er trägt nun Bart und will aus der gemeinsamen Wohnung ein frommes Haus machen. So weit die Ausgangslage: Sie wäre eine Standardsituation für eines der üblichen Problem-Dramen über Islamismus, Ehrenmord und Terror.

 

Lachtherapie gegen Vorurteile

 

Doch die franko-iranische Regisseurin Sou Abadi nutzt diese Konstellation für eine burleske Komödie mit allem, was dazu gehört: slapstick, Travestie, Verwechslungen und Verfolgungsjagden. Dabei werden durchaus ernste Dinge mit verhandelt: Poesie, Recht und Religion, Erinnerung und Trauma, Asyl und Exil, Familien- und Geschlechterliebe. Und natürlich dient das Ganze quasi lachtherapeutisch auch zum Abbau von Vorurteilen.

Offizieller Filmtrailer


 

Islamist verliebt sich in scheue Schöne

 

Es geht schnell und derb zur Sache. Mahmoud erweist sich als ziemlich hirngewaschener Grobian auf dem Dschihad-Kriegspfad; er verbrennt den Reisepass seiner Schwester und lässt sie bis auf weiteres nicht aus der Wohnung. Damit will sich Armand nicht abfinden. Um Leila zu sehen, schlüpft er unter einen Nikab-Gesichtsschleier samt Tschador-Umhang und dringt unter einem Vorwand zu ihr vor.

 

Normalerweise könnte er trotz Beratung durch seinen afghanischen coach keinen Blinden narren: Diese Pseudo-Scheherazade tritt in jeden Fettnapf, den ihr Rollenfach vorsieht. Doch nach denselben Regeln lässt sich Mahmoud von Armands Tricks tatsächlich blenden. Schlimmer noch: Er verliebt sich in die scheue Schöne. Sie spricht zwar kein Arabisch und kennt sich in europäischer Dichtung besser aus als im Koran, aber gerade das scheint den Möchtegern-Islamisten zu faszinieren.

 

Zur Freude von Billy Wilder

 

So büffelt der fleißige Student Armand daheim arabische Lyrik und Theologie, um sich mit seiner angeblichen Nachhilfelehrerin Leila treffen und ihre gemeinsame Flucht vorbereiten zu können – um den Preis, dass seine säkularen Eltern befürchten, er sei religiös geworden. Gleichzeitig muss er Mahmoud auf Distanz halten, der bald um Scheherazades Hand anhalten will.

 

Kunstvoll führt Abadis Drehbuch ständig neue Charaktere in die Handlung ein, die immer mehr Tempo aufnimmt. Am Ende donnert eine ganze Handvoll Fraktionen Richtung Flughafen, um beim showdown dabei zu sein. Billy Wilder, der Großmeister der rasanten Verwechslungskomödie, hätte an diesem Film seine helle Freude gehabt. Denn was Regisseurin Abadi mit scheinbar leichter Hand zusammenbringt, ist eigentlich gesellschaftliches Dynamit.

 

Schleier eröffnet neue Welten

 

Allein die vielen Assoziationen, die beim Wort „Schleier“ mitschwingen! Der doppeldeutige deutsche Verleih-Titel liegt da gar nicht falsch – obwohl der kaum übersetzbare Original-Titel „Cherchez la femme“ in diesem Zusammenhang auch unübertrefflich bleibt. Der Schleier dient dabei nicht nur einer Verschleierungstaktik; er öffnet auch zahlreiche neue Möglichkeiten.

 

Hintergrund

 

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und hier eine Besprechung des Films "Nur wir drei gemeinsam" – bewegende iranisch-französische Migranten-Tragikomödie von Kheiron

 

und hier einen Bericht über den Film "Jacky im Königreich der Frauen" – herrlich groteske Geschlechter-Komödie mit Charlotte Gainsbourg von Riad Sattouf

 

und hier eine Besprechung des Films "Monsieur Claude und seine Töchter" – französische Multikulti-Komödie von Philippe de Chauveron.

 

Unter dem Nikab kann Armand mit Mahmoud Gespräche führen, die unter echten Männern nie möglich wären, ohne dass es aufs Maul geben würde. Gleichzeitig lernt Armand, wie es ist, als Frau gesehen, beurteilt und zum Liebesobjekt gemacht zu werden. Und: Selten wurde der muslimische Schleier als komisches Mittel pointierter und lustiger eingesetzt – Kompliment an Félix Moati für sein expressives Spiel unter Vollverhüllung.

 

Farbklecks des Optimismus‘

 

Vieles in dieser Komödie hat mindestens zwei Seiten: von den liebevoll gezeichneten Charakteren bis zu gepfefferten Dialogen, die pausenlos mit Wortspielen auf mehreren Ebenen arbeiten. So bildet der Film ganz unprätentiös einen Farbklecks des Optimismus‘ innerhalb der immer verdrießlicher und aggressiver werdenden Debatte über Muslime in Europa.

 

Dabei bleibt die Figur der Leila leider am langweiligsten: Sie hat sich bereits emanzipiert und muss eigentlich nur auf ihre Rettung am Ende des Films warten. Dagegen zelebriert Regisseurin Abadi geradezu die Transformationen, zu denen die Handlung die beiden anderen Protagonisten zwingt: Armand gelingt es irgendwie, dauernd zwischen den Identitäten zu wechseln.

 

Wandlungsfähiger Kulturbegriff

 

Mahmoud muss seine Identitätskrise noch in den Griff bekommen. Dass er für einen knallharten Klerikalfaschisten eigentlich viel zu weichherzig ist, ahnt man natürlich schon bald. So feiert „Voll verschleiert“ auch einen dynamischen, wandlungsfähigen und universalen Kulturbegriff – im Gegensatz zur alten Mär vom culture clash.