Gerd Kroske

SPK Komplex

Rudi Mährländer war früher SPK-Aktivist. Foto: Edition Salzgeber
(Kinostart: 19.4.) Anti-Psychiatrie aus Heidelberg: Das Sozialistische Patientenkollektiv wollte alles besser machen – doch viele Mitstreiter landeten im Umfeld der RAF. Die Kollektiv-Geschichte rekonstruiert Regisseur Gerd Kroske detailreich und etwas langatmig.

„Kapitalismus und Irrenhaus – beides löscht der Volkskrieg aus“: Als Wolfgang Huber 1962 in den Fächern Philosophie und Medizin promovierte, hätte er sich selbst wohl kaum vorstellen können, dass er wenige Jahre später solche linksradikalen Slogans verbreiten würde. Nach seiner Promotion arbeitete er zunächst an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg als Assistenzarzt. Die Methoden, mit denen die Patienten dort ruhiggestellt und weggesperrt wurden, störten Dr. Huber allerdings sehr.

 

Info

 

SPK Komplex

 

Regie: Gerd Kroske,

111 Min., Deutschland 2018;

mit: Karl-Heinz Dellwo, Lutz Taufer, Edgar Seitz

 

Website zum Film

 

So entwickelte er einen eigenen Therapieansatz, den er im Rahmen des so genannten  „Sozialistischen Patientenkollektivs“ (SPK) realisieren wollte, das er im Februar 1970 gründete. Psychische Erkrankungen betrachtete Huber nicht als individuelle Leiden, sondern als Auswirkungen einer krank machenden kapitalistischen Gesellschaft. Ohne radikale gesellschaftliche Veränderung, so seine Überzeugung, könne es auch keine Genesung des Individuums geben.

 

Krankheit als Waffe

 

Das SPK kommunizierte über Flugblätter („Patienteninfos“) und mit markigen Sprüchen. Neben dem eingangs erwähnten Slogan sorgte auch die Forderung „Krankheit als Waffe“ für Irritationen in der Öffentlichkeit – und für eine wachsende Anhängerschar. Bald hatte das SPK 500 Mitglieder; praktiziert wurde in einer Wohnung in Heidelberg.

Offizieller Filmtrailer


 

Gefeuert, aber weiter bezahlt

 

Dass jene gegenüber einer Polizeiwache lag, führte zu einer wechselseitigen Überwachung, die nicht einer gewissen Komik entbehrte. Es trug aber auch zur Eskalation des Konflikts zwischen SPK und der Staatsgewalt bei. Nach einer kurzen, heftigen Phase der Radikalisierung wurde Huber knapp anderthalb Jahre nach Gründung des SPK verhaftet.

 

Zwischenzeitlich wusste offenbar auch sein Arbeitgeber nicht, wie mit seiner Organisation umzugehen sei. Huber wurde entlassen, doch die Uni bezahlte sein Gehalt und die Therapieräume weiter. Einige Mitglieder der Gruppe radikalisierten sich nach Zerschlagung des SPK noch stärker und landeten bei der Roten Armee Fraktion (RAF).

 

Genauer Blick für Details

 

Wie es zu alledem kam und wie die Geschichte weiterging – so waren etwa zwei Ex-SPKler 1975 an der Geiselnahme in der deutschen Botschaft in Stockholm beteiligt, mit der inhaftierte RAF-Mitglieder freigepresst werden sollten – dröselt der Regisseur Gerd Kroske in seinem Dokumentarfilm „SPK Komplex“ akribisch auf. Dabei beweist er eine sichere Hand für respektvolle Gesprächsführung und einen genauen Blick für die Details.

 

Einen wirkungsvollen, wenn auch zwiespältigen Kunstgriff erlaubt sich der Filmemacher, indem er die Interviewten nicht vorstellt. Wer Kroskes Gesprächspartner sind, erfährt man erst im Abspann – und auch da finden sich nur Namen, keine Zusammenhänge. Die erschließen sich nur durch eigene Recherche.

 

Arg viel Zeit zum Zuhören

 

So kommt zum Beispiel Carmen Roll ausführlich zu Wort. Sie war erst beim SPK aktiv war, wurde dann wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung inhaftiert und war nach ihrer Entlassung in Italien als Krankenschwester und Sozialarbeiterin tätig. Die Ex-RAF-Mitglieder Karl-Heinz Dellwo und Lutz Taufer sprechen über die Stockholmer Geiselnahme. Auch damalige „Gegenspieler“, etwa der Heidelberger Kripo-Chef Edgar Seitz, reflektieren die Ereignisse.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Doku "Heino Jaeger - Look Before You Kuck" Porträt des 70er-Jahre-Kabarettisten mit gewagten NS-Parodien von Gerd Kroske

 

und hier eine Besprechung des Films "Das Wochenende" subtiles Kammerspiel über ein Ex-RAF-Mitglied von Nina Grosse mit Sebastian Koch + Katja Riemann

 

und hier einen Bericht über den Film "Side Effects" spannender Psychopharmaka-Thriller von Steven Soderbergh mit Jude Law.

 

Die mangelnde Kontextualisierung sorgt gelegentlich für Frustration; bisweilen wünscht man sich weiterführende Erklärungen. Doch zugleich hat Kroskes Kunstgriff einen positiven Effekt: Man steckt die Aussagen der Interviewpartner nicht sofort in eine geistige Schublade, sondern hört genauer hin und versucht, sich die Zusammenhänge zu erschließen. Zeit zum Zuhören nimmt sich auch der Filmemacher – bisweilen etwas arg viel. Die Interviews wirken kaum verdichtet. Der Sog der Dramaturgie ist ähnlich sanft wie die Gesprächsführung.

 

Seinerzeit radikal, heutzutage gängig

 

Besonders erhellend ist Kroskes Blick auf die zwiespältige Geschichte dieses speziellen Antipsychiatrie-Projekts immer dann, wenn er das große Ganze im Blick behält und ein Gesellschaftspanorama dieser Zeit vermittelt. Doch dem Regisseur geht es außerdem um das SPK an sich: Sein Anliegen ist auch die (Teil-) Rehabilitierung dieser Organisation, die durch ihre Nähe zum terroristischen Untergrund in Misskredit geriet.

 

Tatsächlich war einiges, was das SPK seinerzeit radikal erscheinen ließ, durchaus innovativ. Heutzutage ist es gängige Praxis: Wohngruppen für Psychiatrie-Patienten etwa, oder auch die Erkenntnis, dass zwischen gesellschaftlichen Verhältnissen und psychischen Erkrankungen – Stichworte: Arbeitswelt und Burn-Out – durchaus ein Zusammenhang besteht.

 

Spannendes westdeutsches Kapitel

 

Wolfgang Huber selbst wurde nach viereinhalb Jahren aus der Haft entlassen; er lebt heute an einem unbekannten Ort. Seine Approbation wurde ihm seinerzeit entzogen. Im Film taucht er nur in Archivmaterial auf. Ein Manko ist das nicht: Kroske zeichnet ein spannendes Kapitel westdeutscher Nachkriegsgeschichte nach, dem sein zentraler Protagonist vielleicht gar nicht viel hinzuzufügen hätte.