
Gerhard Gundermann hatte im Osten Deutschlands lange Zeit den Status eines Geheimtipps. Rockstar-Attitüde wäre dem schlaksigen Mann mit den dünnen Haaren und der dicken Brille ohnehin nicht zu attestieren gewesen. Seine mit ungeschliffener Stimme vorgetragenen Lieder kommen beim ersten Hören sperrig daher. Die Texte entfalten jedoch eine sehr eigenwillige Lyrik, die ihresgleichen sucht.
Info
Gundermann
Regie: Andreas Dresen,
128 Min., Deutchland 2018;
mit: Alexander Scheer, Anna Unterberger, Axel Prahl
Bananenrepublik ohne Bananen
Dresen vermeidet Simplifizierungen: Bei ihm ist die untergegangene DDR weder eine putzige Bananenrepublik ohne Bananen noch ein grauer Hort des Bösen, aus dem nur eine gefahrvolle Flucht führt. Stattdessen zeigt er anhand der ebenso komplexen wie ambivalenten Biografie dieses Künstlers exemplarisch die Verstrickungen eines Menschen in den Machtapparat der DDR.
Offizieller Filmtrailer
Von der Schicht zum Konzert
Gerhard Gundermann meinte es ernst mit dem Sozialismus. Gerade deshalb eckte er überall an – im Tagebau bei Hoyerswerda genauso wie in der SED und bei seinen übrigen Mitmenschen. Denen ging er mit seiner unbändigen Energie und der Angewohnheit, stets alles zu hinterfragen, oft gehörig auf die Nerven. Beruflich steuerte der Lausitzer einen jener riesigen Tagebaubagger, die an Urzeitgiganten aus Stahl erinnern.
In der Monotonie und Einsamkeit dieser Arbeit fand er zu seinen Texten, die er mit zunehmendem Erfolg auch öffentlich vortrug. Doch Gundermann wollte nie von der Musik leben – auch nicht, als es später durchaus gekonnt hätte. Von der Schicht ging es auf das Konzert und umgekehrt. Der Preis war hoch: Mit nur 43 Jahren verstarb er plötzlich an einem Hirnschlag.
Künstlerische Freiheiten
Wie wird man einem solchen Lebenslauf gerecht? Dresen und seine langjährige Drehbuchautorin Laila Stieler konzentrieren sich auf die frühen 1980er Jahre und die Nachwendezeit, die sie in einer kunstvollen, nicht-linearen Erzählweise miteinander verschränken, um die Bezüge zwischen zwei entscheidenden Lebensphasen zu verdeutlichen.
Orientierung bei den zahlreichen Zeitsprüngen bieten Details wie Gundermanns Brillengestell oder die veränderten Alltagsgegenstände. Und weil ein Leben sich nicht an die Dramaturgie eines Filmes hält, nehmen sich Dresen und Stieler in ihrer Erzählung einige künstlerische Freiheiten, während sie bei entscheidenden Eckpunkten den Fakten treu bleiben.
Stasi-Mitarbeit verdrängt
Der junge Gundermann (Alexander Scheer) ärgert sich über sinnlose Vorschriften im Tagebau und legt sich wiederholt mit der Betriebs- und Parteileitung an. Nach Feierabend probt er unermüdlich mit der „Brigade Feuerstein“, einem Gesangs- und Theaterkreis aus ambitionierten Laien, die mit ihren Auftritten das Kulturleben in Hoyerswerda bereichern. Insbesondere auf seine Mitstreiterin Conny (Anna Unterberger) hat er ein Auge geworfen, doch sie ist zunächst mit einem anderen Mann zusammen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Als wir träumten" - Teenager-Drama zur Nachwendezeit von Andreas Dresen
und lesen Sie hier ein Interview mit Andreas Dresen über den Film "Als wir träumten".
und hier einen Bericht über den Film “Halt auf freier Strecke” – Porträt eines Krebskranken von Andreas Dresen
und hier einen Beitrag über die Dokumentation “Herr Wichmann aus der dritten Reihe” über einen Lokalpolitiker in Brandenburg von Andreas Dresen
Musik und Rhythmus
Eine weitere Hauptrolle im Film spielt die Musik. Mit Gundermann-Songs unterlegte Szenen werden clipartig ineinander geschnitten und erzeugen einen fließenden Rhythmus. Darsteller Alexander Scheer stellt erneut seine Musikalität unter Beweis, er spielt und singt alle Lieder selbst. Deren Texte spiegeln die zerrissene Seelenlage der Ostdeutschen zur verworrenen Wendezeit wider.
Wirklich zu Hause war der Künstler in keinem der beiden deutschen Systeme – eine Haltung, die viele Menschen im Osten Deutschlands teilen. Nicht zuletzt deshalb ist „Gundermann“ auch ein Türöffner für jene Menschen, die das heutige Deutschland – fast 30 Jahre nach dem Mauerfall – verstehen wollen.