Miroslav Krstić

Ruben Brandt (Ruben Brandt, Collector)

Holt sich berühmte Meisterwerke ins traute Luxus-Heim: Ruben Brandt vor Botticellis "Die Geburt der Venus". Foto: Drop-Out Cinema eG
(Kinostart: 29.10.) In Gemäldegewittern: Ein Psychotherapeut fühlt sich von Bildern bedroht – und heilt sich, indem er sie klauen lässt. Das inszeniert der ungarische Regisseur Miroslav Krstić als originellen Animationsfilm aus Malerei-Zitaten: ein Rätselspaß für Kunstfreunde.

Kunstgenuss ist nicht ungefährlich; zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Therapeuten. Identifizieren Sie sich mit Gestalten auf Gemälden? Fürchten Sie, diese oder jene Erscheinung auf Bildern könnte sie attackieren? Werden Sie davon in Ihren Träumen heimgesucht? Das können Symptome einer entstehenden Schizophrenie sein.

 

Info

 

Ruben Brandt
(Ruben Brandt, Collector)

 

Regie: Miroslav Krstić,

94 Min., Ungarn 2018;

mit: Iván Kamarás, Gabriella Hámori, Zalán Makranczi

 

Engl. Website zum Film

 

Diese Selbstdiagnose stellt sich der namhafte Psychotherapeut Ruben Brandt, der seine Patienten mit Kunst behandelt: Er lässt sie ihre Ängste und Zwänge in Stein meißeln oder auf Instrumenten spielen. Die extrem gelenkige Stuntfrau Mimi leidet unter Kleptomanie. Also soll sie in Öl auf Leinwand malen, was ihr fehlt – auch wenn sie das selbst nicht weiß: Der Pinsel werde ihre Hand führen, versichert Brandt.

 

Olympias Katze zerkratzt Gesicht

 

Bald finden die Klienten seiner superschicker Privatklinik am See heraus: Am stärksten behandlungsbedürftig ist Brandt selbst. In seinen Alpträumen kämpft er mit Figuren berühmter Meisterwerke: Der Briefträger Joseph Roulin, den Van Gogh porträtierte, wirft ihn aus einem Frachtflugzeug. Der doppelte Elvis Presley in Duell-Pose aus Andy Warhols Siebdruck durchsiebt ihn mit Schüssen. Die Katze von Édouard Manets Olympia zerkratzt ihm das Gesicht – danach wacht Brandt mit Striemen auf den Wangen auf. Seine unbewusste Selbstschädigung darf so nicht weitergehen.

Offizieller Filmtrailer


 

Alles entspringt klassischer Moderne

 

Mimi hat eine zündende Idee: Bevor Brandt endgültig von Gemälden überwältigt werde, müsse er sich ihrer bemächtigen. Als versierte Diebin kennt sie sich in großen Museen aus. Mit ihren Mitpatienten verabredet sie, diejenigen 13 Meisterwerke zu stehlen, die Brandt in seinen Träumen heimsuchen. Gesagt, getan: Alle Raubzüge fielen den blendend eingespielten Langfingern kinderleicht, wäre ihnen nicht der Supercop Mike Kowalski auf den Fersen – und Mafiosi, die von der Versicherung die Belohnung kassieren wollen.

 

Diese Räuberpistole wäre kaum der Rede wert, würde sie nicht so unglaublich originell ausgemalt. Der ungarische Grafiker und Filmemacher Milorad Krstić erfindet dafür eine einzigartige Kunst-Welt. Im Wortsinne: Alle Akteure, Dutzende von Statisten, aber auch sämtliche Schauplätze sehen aus, als seien sie Bildern der klassischen Moderne entsprungen – meist von Picasso, aber auch von Léger, Matisse, Edward Hopper und vielen mehr.

 

Alfred Hitchcock als Eiswürfel

 

Das macht diesen Animationsfilm zum grandiosen Augenschmaus für Kunstliebhaber. Alle Einstellungen sind trickreich komponierte Suchbilder, auf denen sich ungezählte Motive aus dem Kunstkanon entdecken lassen; manchmal möchte sie der Zuschauer in Zeitlupe ablaufen lassen, damit ihm keine der raffinierten Anspielungen entgeht. Zudem zitiert Krstić munter aus der Filmgeschichte: Viele Szenen ähneln Höhepunkten aus Filmklassikern und deren Schöpfern. Bis hin zu eher Abseitigem: Die Eiswürfel für die Whiskys von Ruben Brandt sind geformt wie die Silhouette von Alfred Hitchcock.

 

Von verspielter Zitierfreude zeugt bereits der Name des Titelhelden: Er wird von Rubens und Rembrandt abgeleitet – obwohl Barockmalerei kaum eine Rolle spielt. Krstić´  überbordende visuelle Fantasie geht aber zu Lasten des Inhalts: Wie häufig bei Animationsfilmen mit eindrucksvoll exzentrischer Gestaltung ist die Handlung eher dürftig. Aus seinem Befund, dass Sammeln von Kunst durchaus Züge einer Selbsttherapie haben kann, macht der Regisseur wenig.

 

Spionage-Psychothriller-Kolportage

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension über den Film "Loving Vincent" – brillanter Biopic-Animationsfilm im Van-Gogh-Stil von Dorota Kobiela + Hugh Welchman

 

und hier eine Besprechung des Films "Sohn der weißen Stute" – ungarischer Animationsfilm-Klassiker von 1981 über Mythos im psychedelischen Look von Marcell Jankovics

 

und hier eine Kritik des Films "Shirley – Visionen der Realität: Der Maler Edward Hopper in 13 Bildern" – detailgetreue Verfilmung von Hoppers Gemälden durch Gustav Deutsch.

 

und hier einen Beitrag über den Film "Belladonna of Sadness" – fantastischer psychedelischer Animationsfilm von Eiichi Yamamoto.

 

Die Mechanismen des Kunstmarkts und das Gebaren steinreicher Supersammler, die Trends und Preise diktieren, interessieren Krstić nicht. Stattdessen strickt er eine saftige Kolportage-Story, die in einer Art James-Bond-Luxuswelt mit schnellen Flitzern, teuren Klunkern und verruchten Vamps spielt. Das sorgt zwar für Tempo, Action und Situationskomik, wirkt aber auf Dauer etwas ermüdend: Zwischen wilden Verfolgungsjagden kippen coole Kerle harte Drinks – und Schlangenfrau Mimi lässt alle Widersacher lendenlahm und stocksteif aussehen.

 

Damit die illegale Shoppingtour durch die Musentempel der Welt nicht zu monoton wird, peppt der Regisseur seinen heist movie mit Versatzstücken eines Spionage-Psychothrillers auf. Brandts verstorbener Vater arbeitete für die CIA an Wahrnehmungs-Experimenten; dafür musste sein Sohn als Versuchskaninchen herhalten, was ihm eine Kunst-Neurose und ungeahnte Verwandtschaftsbeziehungen beschert hat. Klingt wie ein Romanheld von Charles Dickens, der sich in ein B-Movie aus den 1950er Jahren verirrt hat.

 

Komplett kubistische Welt

 

Was das Sehvergnügen nicht mindert: Wer schon immer einmal die Welt komplett kubistisch oder surrealistisch sehen wollte, kommt bei „Ruben Brandt“ voll auf seine Kosten. Doch dieses Augenfutter-Feuerwerk ist keine Satire auf den zeitgenössischen Kunstbetrieb, wie der Originaltitel anzudeuten scheint: Diesem Thema geht der Film aus dem Weg – da wäre mehr drin gewesen.