
Zwei Liebende, die einander im Verlauf einer aufgeheizten Nacht nichts schenken: Das in Schwarzweiß gedrehte Kammerspiel „Malcolm & Marie“ ist auf den ersten Blick ein modernes Update des klassischen Beziehungsdramas „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ (1962) von US-Dramatiker Edward Albee. Leider ging die handwerkliche Güte des Dramas aus dem Hause Netflix im Kreuzfeuer der Kritik unter – die zog diese fast in Echtzeit erzählte Geschichte nämlich geballt auf sich.
Info
Malcolm & Marie
Regie: Sam Levinson,
106 Min., USA 2021;
mit: Zendaya, John David Washington
Missglückte Dankesrede
Erst als Malcolm bei einer Portion Käsemakkaroni von seinem Adrenalin-Hoch herunterkommt und sich nun zum verdienten Siegersex vorarbeiten will, platzt ihr der Kragen. Nicht nur versteht sie es, seinem Selbstverständnis als neue Speerspitze des schwarzen US-Kinos treffsicher die Luft rauszulassen: Sie prophezeit ihm, dass er seine steile Karriere wohl mit einem politisch blitzsauberen LEGO-Film krönen wird. Wir erfahren auch Stück für Stück den wahren Grund ihrer Verstimmtheit: Malcolm hat in seiner Dankesrede wirklich alle bedacht, die ihm auf seinem Weg geholfen oder ihn behindert haben. Nur sie nicht.
Offizieller Filmtrailer
Ein Streit, so hässlich wie notwendig
Und das, obwohl sein Drehbuch zu guten Teilen von Maries eigener prekärer Lebensgeschichte inspiriert wurde. Malcolm gerät in die Defensive. Bald geht es ums Eingemachte und Verdrängte, um Machtgefälle, Herkunft und Identität. Marie erweist sich dabei schnell als die Schlauere. Obwohl der Streit beständig eskaliert und zudem jede Menge Alkohol fließt, gleitet ihr Konflikt nie in (Selbst-)Hass und Zynismus ab – anders als bei dem aus einer ähnlichen Situation heraus erzählten Theaterstück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, das 1966 von Mike Nichols verfilmt wurde, mit Elizabeth Taylor und Richard Burton in den Hauptrollen.
An dem Band aus Liebe und Respekt, das Malcolm und Marie verbindet, halten beide fest, auch wenn sie realisieren, dass darin auch Machtverhältnisse und Abhängigkeiten eingewoben sind. Hier wird ein hässlicher, aber notwendiger Streit ausgetragen – perfekt bebildert, in furiosen Dialogen und präzisen Pointen; dadurch ist das Zuschauen eine Freude. Das Drehbuch von Regisseur Sam Levinson lässt Raum für Improvisation; Privates und Politisches, Persönliches und Professionelles überlagern sich ständig.
Eskalation entlarvt Klischees
In einigen Szenen bestimmen Popsongs – etwa Dionne Warwicks „Get Rid of Him“ – nicht nur den Rhythmus des Films, sondern auch die Aussage. Die Sympathien für die Figuren wechseln mit jeder neuen Enthüllung: Ist er nicht zu selbstgerecht? Geht sie jetzt zu weit? Immer liegt die Möglichkeit physischer Gewalt in der Luft. Jede neue Eskalationsstufe führt den Disput weiter in Richtung Erkenntnis, wie ein platonischer Dialog.
Dabei wird vor allem mit Klischees abgerechnet; etwa über den Zorn des jungen Künstlers und die leicht neurotische Vorzeigefreundin an seiner Seite. Männliches Genie- und weibliches Musentum werden ebenso hinterfragt wie die Idee vom allwissenden Autorenfilmer. Dabei hat Levinson, Sohn des Regisseurs Barry Levinson, mehrfach darauf hingewiesen, dass er das Filmemachen im Allgemeinen und „Malcolm & Marie“ im Speziellen als Team-Leistung betrachtet.
Berühmt ohne Nachnamen
Hintergrund
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Da half es Levinson auch nicht, dass ihm seine Hauptdarstellerin beisprang und Respekt für ihren eigenen, ziemlich großartigen Beitrag einforderte. Zendaya, die den Film mit eindringlicher Präsenz über die Ziellinie peitscht, mag für ein europäisches Publikum aus dem Nichts kommen. In den USA dagegen ist sie so berühmt, dass sie nicht einmal einen Nachnamen braucht. Vom Disney-Kinderstar hat sie sich zur Hollywood-Hoffnungsträgerin hoch gespielt.
Covid-kompatible Alternative
Zuletzt drehte sie mit Levinson die HBO-Serie „Euphoria“, die sich als Prolog zu „Malcolm & Marie“ lesen lässt – und ihre Rolle darin unschwer als Vorläuferin der Marie. Weil die Produktion der Serie wegen Corona pausieren musste, entwickelten Levinson und Zendaya die Idee zu diesem Kammerspiel, das sich – seuchenhygienisch kompatibel – mit einem kleinen Team realisieren ließ. Für ein Verlegenheitsprojekt ist dieser schnelle, schlaue Film eine ziemliche Wucht. Auch der 2016 gestorbene Edward Albee hätte daran wohl seine Freude gehabt.