Von Anfang an ist klar: Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Zu bombastischen Bildern aus der Mikro- und Makrosphäre des Planeten raunen bedeutungsschwere Sätze von der Leinwand: „Wir haben das Leben in die Welt gebracht. Wir sind Schöpfung, Auferstehung, Regeneration…“ Die Rede ist nicht etwa von irgendeiner Gottheit, dem Genom oder gar dem Higgs-Boson-Teilchen – sondern von Pilzen.
Info
Fantastische Pilze – Die magische Welt zu unseren Füßen
Regie: Louie Schwartzberg,
81 Min., USA 2019;
mit: John Staments, Michael Pollan, Eugenia Bone
Fremde Welt mit 3,8 Millionen Arten
„Fantastische Pilze – Die magische Welt zu unseren Füßen“ vermittelt auf sehr kurzweilige Art Basiswissen aus der Welt der Mykologie. Etwa, dass Pilze weder Pflanzen noch Tiere, sondern eine ganz eigene Lebensform sind. Von den geschätzten 3,8 Millionen Arten sind bislang nur etwa 120.000 Arten wissenschaftlich beschrieben. Daraus speist sich nach Ansicht von Pilzexperten ein schier unerschöpfliches Reservoir an Forschungs- und Anwendungsmöglichkeiten.
Offizieller Filmtrailer
Putzende Pilze
So könnten Pilze dazu beitragen, Umweltverschmutzungen zu beseitigen, weil manche Arten in der Lage sind, selbst Ölverbindungen aufzuspalten. Schließlich wirken Pilze im Ökosystem als sogenannte Destruenten, die dafür sorgen, dass abgestorbenes organisches Material kompostiert wird.
Wie weit praktische Anwendungen wie die Beseitigung von Ölteppichen mittels Pilzen mittlerweile gediehen sind, erfährt man allerdings nicht. Das Publikum wird mit oberflächlichen, leicht konsumierbaren Infoschnipseln gefüttert – populärwissenschaftliche Dokumentationen wie diese sind eher Infotainment mit starken Bildern als profunde Auseinandersetzung mit dem Thema. Aber genau diese eindrucksvollen Bilder gelingen Regisseur und Kameramann Louie Schwartzberg rundum.
Schimmel auf der Leinwand
Um die Welt der Pilze sichtbar zu machen, setzt der US-Amerikaner vor allem auf spektakuläre Zeitraffer- und Makroaufnahmen: Da entfalten sich ganze Pilzlandschaften auf der Leinwand. Schimmelpilze in allen Farben breiten sich rasend schnell aus und eine arme Maus verwest gar innerhalb von Sekunden. Die Hochglanzbilder sind ständig in Bewegung, allesamt larger than life.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Das geheime Leben der Bäume" - visuell eindrucksvolle Dokumentation mit Peter Wohlleben von Jörg Adolph und Jan Haft
und hier eine Besprechung des Films "Little Joe – Glück ist ein Geschäft" - raffiniert-intelligente Gentechnik-Dystopie über eine psychoaktive Pflanze von Jessica Hausner
und hier einen Bericht über den Film "The Substance: Albert Hofmann’s LSD" - informative Dokumentation über die halluzinogene Droge von Martin Witz
und hier einen Beitrag über den Film "Das grüne Wunder – Unser Wald" - Langzeit-Dokumentation von Naturfilmer Jan Haft.
Ein Missionar der Mykologie
Egal ob er von seinen eigenen Erfahrungen mit psychoaktiven Pilzen berichtet, die unternehmerischen Möglichkeiten des Pilzbusiness‘ anpreist oder gar den Beitrag der Pilze zur Weltrettung unterstreicht – stets ist offensichtlich: Dieser Mann befindet sich auf einer Fungi-Mission. Da verwischt bisweilen die Grenze zum Agitatorischen.
Werden die meisten Themenbereiche nur kurz angerissen, widmet sich der Film ausführlich den Einsatzmöglichkeiten von psychoaktiven Pilzen in der Medizin. Psilocybine, die bewusstseinserweiternden Substanzen der Pilze, sollen bei Depressionen, psychischen Traumata und Todesängsten sehr gute Erfolge erzielen. Doch auch gegen Krebserkrankungen werden Pilzpräparate als Wunderheilmittel angepriesen: Paul Stamets Mutter wird als lebender Beweis vorgeführt.
Diese ganze herausgestellte Begeisterung ruft auf Dauer eine gewisse Skepsis hervor. Doch selbst, wenn man mit einer gewissen Nüchternheit auf die Fungi schaut, kann man sich ihrer Faszination nur schwer entziehen. Und vielleicht macht man sich beim nächsten Waldspaziergang bewusst, dass der Boden unter den eigenen Füßen tatsächlich lebt: weil er zu einem großen Teil aus Pilzmyzel besteht.