David Bowie

Moonage Daydream

David Bowie Anfang der 1970er Jahre in Aktion. Foto: © Universal Pictures
(Kinostart: 15.9.) The Man Who Sold the World: David Bowie war einer der vielseitigsten und einflussreichsten Künstler der Pop-Ära. Ihm widmet Regisseur Brett Morgen eine schillernde Hommage: mit einem farbensprühenden Doku-Essayfilm, der vor Ideen birst – und allein auf Bowies Worten beruht.

Kaum ein Künstler ist auch nach seinem Tod so lebendig in der Populärkultur wie David Bowie (1947-2016): ob als Konterfei auf T-Shirts, als Reklame-Soundtrack oder auf Radio-Playlists. Mittlerweile gibt es auch mehrere Dokumentarfilme über ihn, denen eines gemeinsam ist: Es wird viel über ihn geredet, doch man hört weniger von ihm selbst – was daran liegt, dass er nur ungern Interviews gab und Persönliches erst spät in seinem Leben preisgab.

 

Info

 

Moonage Daydream

 

Regie: Brett Morgen,

134 Min., USA 2022;

mit: David Bowie

 

Website zum Film

 

Der Doku-Essayfilm von Regisseur Brett Morgen, der beim Filmfestival in Cannes lief, hat einen völlig anderen Ansatz: Er lässt David Bowie ausschließlich selbst sprechen. Damit versucht Morgen, Bowies facettenreicher Persönlichkeit als vielseitig begabter und sehr reflektierter Mensch auf die Spur zu kommen.

 

Vier Jahre Archivarbeit

 

Dafür erhielt Morgen von Bowies Nachlassverwaltern exklusiven Zugang zu seinem Gesamtwerk, inklusive Tagebüchern, Zeichnungen, Gemälden und kaum bekannten Filmaufnahmen; all das kompilierte er vier Jahre lang zu einem schlüssigen visuellen Konzept. Weitere 18 Monate dauerte es, die Tonspur abzumischen und Animationssequenzen zu erstellen.

Offizieller Filmtrailer


 

Durch Bowies Biographie mäandern

 

Regisseur Morgen ist ein versierter Dokumentarfilmer; er hat bereits mehrere Dokus über Rockmusiker wie die Rolling Stones („Crossfire Hurricane“, 2012) und den Nirvana-Bandleader („Kurt Cobain – Montage of Heck“, 2017) vorgelegt. Dem Chamäleon Bowie nähert er sich ebenso behutsam wie respektvoll an. Das Ergebnis ist weder eine klassische Doku noch eine Filmbiografie, sondern eine im besten Sinne immersive Erfahrung.

 

Um Einblicke in Bowies Lebens- und Erfahrungswelt zu bieten, bedient sich Morgen aller möglichen visuellen Mittel. Er geht weniger chronologisch vor, sondern mäandert vor allem assoziativ in Bowies Biografie vor und zurück. Dabei greift er nacheinander verschiedene Themenfelder auf, etwa Kindheit und Jugend, seine künstlerischen Anfänge als Pantomime oder sein späterer Durchbruch mit der Kunstfigur Ziggy Stardust.

 

Ursprung von Kreativität aufspüren

 

Den meisten Raum nimmt der Versuch ein, den Ursprung von Bowies sagenhafter Kreativität aufzuspüren: Das Multitalent war nicht nur Musiker und Songwriter, sondern auch begabter Maler, Performer und nicht ganz so begabter Schauspieler. Dafür breitet Morgen jede Menge Archivmaterial aus, wie Abbildungen seiner Gemälde oder Tonaufnahmen diverser Herkunft.

 

Sie werden mit Bowies offensichtlichen Inspirationsquellen verschränkt. Das Spektrum reicht von expressionistischen Stummfilmen wie „Metropolis“ von Fritz Lang oder „Nosferatu“ von F. W. Murnau über Beispiele klassischer Pantomime bis zu kurzen TV-Schnipseln. Ausgiebig wird auch die Ziggy-Stardust-Phase Anfang der 1970er Jahre behandelt. Ganz privat oder menschelnd wird es aber nie.

 

Berliner Jahre fast ausgespart

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Krautrock 1" – vielschichtige Doku über die deutsche 1970er-Jahre-Strömung, die David Bowie inspirierte, von Adele Schmidt + José Zegarra Holder

 

und hier eine Besprechung des Films "Julian Schnabel – A Private Portrait" – facettenreiche Doku über den US-Künstler und Regisseur, in dessen Biopic über den Maler Jean-Michel Basquiat David Bowie als Andy Warhol auftritt, von Pappi Corsicato

 

und hier einen Beitrag über den Film "Mishima - Ein Leben in vier Kapiteln" – eindrucksvolles Biopic über den japanischen Schriftsteller Yukio Mishima, den David Bowie verehrte, von Paul Schrader.

 

Als Leitfaden durch diese visuell überbordende Collage mit innovativer Bildsprache fungiert einzig Bowies Stimme und ein sehr stimmiges Farbkonzept. Durch die Materialfülle gelingt es Morgen zugleich, vorzuführen, wie die Stationen von Bowies langer Karriere den jeweiligen Zeitgeist widerspiegelten. Dazwischen wabern immer wieder Farbexplosionen, die einer ausgefeilten Dramaturgie folgen und Kontrapunkte als Pausen im Bilderstrom schaffen.

 

Diese Bilderflut auf Anhieb zu erfassen, ist schier unmöglich und sicher auch nicht beabsichtigt. Wer etwas Vorwissen über Bowies Biographie mitbringt, wird sich aber zurechtfinden und manches womöglich auch vermissen – so nehmen etwa Bowies Berliner Jahre 1976/8 oder sein Bandprojekt „Tin Machine“, das 1989/91 floppte, nur wenig Raum ein. Ein Grund dafür dürfte Morgens konsequente Beschränkung auf tatsächliche Aussagen des Künstlers sein, der damit sehr sparsam umging.

 

Tagtraum + Trip

 

Natürlich ist unverkennbar, dass der Regisseur mindestens große Sympathie für seinen Protagonisten empfindet. So wird diese Doku, deren Titel selbstredend einem Song entlehnt ist, zu einer farbensprühenden Verneigung vor Bowies Ausnahmetalent. Der Film ist wie ein Tagtraum, eine Vision im besten Sinne, die keinen Anspruch auf biografische Vollständigkeit erhebt. Dieser mehr als zweistündige Trip in Bowies Gedankenwelt langweilt in keiner Sekunde – und ist damit seines Gesamtwerks würdig.