Geht es um Dekadenz und Ausschweifung, sind meist auch exklusive und exotische Speisen im Spiel, die sich nur eine solvente Klientel leisten will, während Spitzenköche in ihrer Selbstdarstellung über Texturen und Mundgefühl räsonieren. Dass es ihnen tatsächlich um gutes Essen geht, sei unbenommen – ihrer betuchten Kundschaft, die Top-Köche mitunter wie Popstars verehrt, liegt neben Genuss stets auch an Prestige und Distinktion.
Info
The Menu
Regie: Mark Mylod,
107 Min., USA 2022;
mit: Anya Taylor-Joy, Ralph Fiennes, Nicholas Hoult, Hong Chau
Weitere Informationen zum Film
Vier Paare + drei IT-Neureiche
Außer den beiden sind noch ein altes, wortkarges Ehepaar, ein abgehalfterter Hollywood-Star mit seiner Assistentin/Freundin, drei neureiche Hightech-Führungskräfte und eine einflussreiche Restaurantkritikerin samt Redakteur unter den erlesenen Gästen. Ihnen wurde für diesen Abend ein ganz besonderes Menü versprochen, das bereits bei der Überfahrt beginnt.
Offizieller Filmtrailer
Meister im Blockhaus, andere in Schlafsälen
Wahrend Tylor die dargebotenen Häppchen analysiert, trotz Verbots von allen Seiten fotografiert und mit seinem Wissen über Haute Cuisine und absurd teure Küchengeräte prahlt, zeigt sich Margot wenig beeindruckt. Wie er gehört sie eigentlich nicht zur restlichen elitären Klientel, mehr noch: Sie steht nicht auf der Gästeliste, wie die gestrenge Zeremonienmeisterin Elsa (Hong Chau) bereits vor der Überfahrt irritiert feststellt. So bringt ihre Anwesenheit das nur Slowik und seinem Personal bekannte Konzept des Abends ins Wanken.
Zunächst aber erhält die Gruppe eine Führung durch das Anwesen auf der Insel. Der Meister residiert einsam in einem Blockhaus, während seine Angestellten, die ihm wie einem Guru hörig sind, in kasernenartig kargen Schlafsälen nächtigen. Zum Menü-Auftakt klatscht der geniale Küchenmeister durchdringend laut und richtet ein paar Worte an seine eher unaufmerksamen Gäste – weitere, immer weniger launige Ansprachen folgen.
Menügänge enden mit blutigen Zutaten
Störfaktor in der perfekten Inszenierung bleibt indes Margot, über die zwar niemand etwas weiß, in der Slowik aber schnell eine Dienstleisterin erkennt. Tyler hat sie angeheuert, weil ihn seine Freundin verlassen hat, denn im „Hawthorn“ gibt nur es Zweiertische. Margot kennt eine solche Klientel, die immer neue Reize braucht und nie zufrieden ist, aus ihrem Job als Escort-Lady; sie bemerkt auch als erste, dass etwas nicht stimmt. Nur sie zieht Slowik ins Vertrauen, indem er sie über den geplanten Ausgang des Abends informiert, und lässt ihr später die Wahl.
Wie es dem wunderbar stilvollen und dezent beleuchteten Ambiente des „Hawthorn“ angemessen ist, werden vor jedem Menügang die servierten Gerichte schön drapiert und blumig beschrieben. Ohne Zweifel hat der Meister daran mit Herzblut gearbeitet, was kaum bei den Gästen ankommt, die in entlarvend banale Gespräche vertieft sind. Als jedoch jeder Gang mit einer blutigen Zutat endet und sich nicht nur die Zahl der Angestellten vor aller Augen dezimiert, erwachen die Gäste aus ihrer egozentrischen Blase, bleiben aber passiv.
Wie soziologische Versuchsanordnung
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Film "Triangle of Sadness" – brillant ätzende Klassengesellschafts-Satire auf All-inclusive-Luxusliner von Ruben Östlund, prämiert mit Goldener Palme 2022
und hier eine Besprechung des Films "The Dinner" – komplexes Schuld-und-Sühne-Drama im Haute-Cuisine-Restaurant von Oren Moverman mit Richard Gere
une hier einen Beitrag über den Film "Nurejew - The White Crow" – virtuoses + spannendes Biopic über den Tänzer Rudolf Nurejew von und mit Ralph Fiennes
und hier einen Bericht über den Film "Last Night in Soho" – Horror-Komödie im Swinging-Sixties-London von Edgar Wright mit Anya Taylor-Joy.
Anders als in albernen Gourmet-Komödien wie „Brust oder Keule“ (1976) mit Louis de Funès macht sich Mylod nicht nur über den grotesken Starkult um Sterneköche und deren Kreationen lustig. Seine Zusammenstellung der Gästeschar wirkt wie eine soziologische Versuchsanordnung mit Vertretern tonangebender Kreise, die den Rachegelüsten eines so genialen wie auch resignierten Küchendiktators hilflos ausgeliefert sind – seine menschliche Seite kann nur noch eine Außenseiterin rühren.
Cheeseburger als Ausweg
Der ausgebrannte Küchenchef, den Fiennes mit großer Spiellust verkörpert, steht repräsentativ für das Dilemma jedes Kreativen, der Schönheit schaffen will, aber sich dabei den ökonomischen Zwängen profitorientierter Märkte beugen muss und letztlich keine echte Wertschätzung erfährt. Diese zwar nicht neue, doch kunstvoll böse angerichtete Gesellschaftskritik mundet dank der exzellent kombinierten Zutaten sehr. Und wer hätte gedacht, dass ein schnöder Cheeseburger der Ausweg sein kann?