Neues Leben nicht so leicht gemacht: Als Catherine (Marina Foïs) auf dem Flughafen der nordostbrasilianischen Metropole Recife landet, wirkt sie ausgelaugt und etwas verhärmt. Daheim in Frankreich kümmerte sie sich um ihren Vater, bis er starb. Nun will sie sich bei ihrer Schwester Aude (Anna Mouglalis) erholen; diese lebt offenbar sorglos mit ihrem betuchten Mann in einem weitläufigen Penthouse an der Strandpromenade der Stadt.
Info
Salamandra
Regie: Alex Carvalho,
120 Min., Brasilien/ Frankreich/ Deutschland 2021;
mit: Marina Foïs, Maicon Rodriguez, Anna Mouglalis
Weitere Informationen zum Film
Die älteste Anmache, seit es Sonnenöl gibt
Dort geht der dunkelhäutige Gilberto (Maicon Rodrigues) auf sie zu: groß und sehnig, durchtrainiert und charmant. Gil nimmt Tuchfühlung auf mit der ältesten Anmache, seit es Sonnenöl gibt: ob sie ihm bitte den Rücken eincremen könne? Dafür lädt er sie in die Disco-Bar ein, in der er als Kellner jobbt. Natürlich geht sie abends hin, natürlich ziehen beide weiter in den nächsten Club; schon nach dem ersten Caipirinha knutscht sie mit ihm auf der Tanzfläche. Und blüht im Nu auf.
Offizieller Filmtrailer
Keine Hausfremden im Pool
Vor dem ersten Mal – heimlich im Apartment ihrer Schwester – werden sie aber gestört: Gil muss zuvor noch ein Werkstück in ein Künstler-Atelier transportieren und einen dementen Greis am Strand abbrausen. Solche kleinen Störmomente lassen den Debütfilm von Alex Carvalho angenehm realistisch wirken. Anstelle von moralisierenden Klischees fügt der Regisseur genau beobachtete Details aneinander.
Etwa zum brasilianischen Alltagsrassismus; dafür genügt ihm der schneidende Satz „Der Pool ist nur für Hausbewohner!“, mit dem eine Hausangestellte Gil aus dem Schwimmbecken des Luxus-Wohnblocks verscheucht. Oder Audes knappe Bemerkung: „Er kann nicht hierherkommen“ – ohne Begründung, weil sich das von selbst versteht. Oftmals verzichtet der Regisseur völlig auf verbale Erläuterungen und verlässt sich ganz auf bedeutungsschwangere Blicke oder angedeutete Gesten.
Erst Motorrad, dann Nachtclub
Da der Film sehr elliptisch erzählt, wird es zuweilen schwierig, die Auslassungen im Fortgang der Handlung zu verstehen. Fürs nächste Stelldichein lockt Gil seine Liebhaberin in eine fremde Wohnung – aus der werden sie vom Sicherheitsdienst vertrieben. Nun bezieht Catherine ein kleines Strandhaus und schenkt ihrem Lover ein Motorrad, was der nur widerstrebend annimmt. Psychologisch geschickt zeigt er sich an Materiellem nicht sonderlich interessiert – zunächst.
Nach einer Weile überredet er Catherine, ein verwaistes Ladenlokal zu kaufen und dort einen Nachtclub einzurichten. Die Szene, in der das Paar ihrer Schwester und ihrem Schwager den Kaufvertrag zur Begutachtung vorlegt, ist ein Kabinettstück aus lächelnder Abfuhr und nachsichtiger Verachtung. Nicht ohne Grund: Irgendwie ergattert Gils Ex-Chef Pacha den Laden, Catherine ist ihn plötzlich los – und der Versuch ihres Partners, den Kaufpreis mithilfe eines dilettantischen Kunstraubs wieder zu beschaffen, kann nur schiefgehen.
Kein glaubhaftes Frühlingserwachen
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Vamos a la playa" - Culture-Clash-Drama über jugendlichen Sextourismus auf Kuba von Bettina Blümner
und hier eine Besprechung des Films "A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe" – intergenerationelle Amour fou mit Sophie Rois von Nicolette Krebitz
und hier einen Beitrag über den Film "Paulista" – Episodenfilm über das Liebesleben von Großstädtern in São Paulo von Roberto Moreira
und hier einen Bericht über den Film "Sand Dollars" – Drama über lesbischen Sex-Tourismus in der Karibik von Laura Amelia Guzmán + Israel Cárdenas mit Geraldine Chapline.
Allerdings legt Carvalho seine interkulturelle Amour fou als Kammerspiel an: Von einer Handvoll Statisten abgesehen, spielt sich in der Millionenstadt Recife alles zwischen sechs Personen ab. Auf deren Ausdruckskraft vertraut der Regisseur zu sehr, vor allem bei Marina Foïs in der Hauptrolle. Sie mag in Frankreich eine vielbeschäftigte Schauspielerin sein, aber ihr Minenspiel ist nicht genügend differenziert, um emotionales Frühlingserwachen glaubhaft darzustellen. Zumal sie, kaum aufgetaut, gleich wieder die Maske der Abgeklärtheit überstreifen muss, um sich im Ränkespiel zu behaupten.
Doppelte Sprachlosigkeit
Das Catherine mehr erahnt als begreift, weil sie die Landessprache kaum beherrscht. So ergeht es auch dem Zuschauer: Manches ist wortlos verständlich, anderes bleibt unklar, und einiges davon irritiert. Diese Parallelführung hat Regisseur Carvalho wohl beabsichtigt, doch damit bugsiert er den Betrachter in eine ähnliche Frustration wie seine Hauptfigur – auch ohne verbrannte Erde zu hinterlassen.