
London wie im Bilderbuch: Die Sonne scheint, die Straßen sind leer. Auch auf den Gehwegen sind an diesem Morgen kaum Menschen unterwegs. Nur eine Kurierfahrerin liefert mit ihrem pinkfarbenen Kleintransporter munter Pakete aus. Und im Hintergrund thront die Tower Bridge so prominent über der Themse, dass jegliche Orientierungsschwierigkeiten ausgeschlossen sind.
Info
The Art of Love
Regie: Philippe Weibel,
107 Min., Schweiz/ Großbritannien 2022;
mit: Alexandra Gilbreath, Oliver Walker, Jeremy Swift
Weitere Informationen zum Film
Eine unerfüllte Frau
Eva (Alexandra Gilbreath) wird regelmäßig von der Firma „The Art of Love“ beliefert. Die unglückliche Ehefrau arbeitet seit fünf Monaten für das kleine Unternehmen, um sich nebenbei etwas dazu zu verdienen. Sie will die Welt bereisen und mit ihrem Mann neue Abenteuer erleben, weil der gemeinsamen Beziehung nach 30 Jahren auch der letzte Funke an Leidenschaft abhanden gekommen ist. Ihr Job bei den Londoner Verkehrsbetrieben wirft jedoch weder genug dafür ab, noch füllt er sie aus. Jetzt schreibt sie heimlich begeisterte Testberichte für Erotikspielzeuge, die sie selbst noch nie ausprobiert hat.
Offizieller Filmtrailer
Einflussreichster Hengst im Stall
Ihr jüngerer Kollege Adam (Oliver Walker) kennt sich dafür umso besser mit den Geräten aus – er ist ein erfolgreicher Influencer und das Aushängeschild des Unternehmens. Um seinem coolen Status gerecht zu werden, trainiert er täglich sämtliche Muskeln an seinem Körper und testet sich eifrig durch die gesamte Produktpalette. Mit seinem Chef Hector (Kenneth Collard) ist er schon seit langem per Du.
Als diese beiden ungleichen Mitarbeiter gemeinsam ein neuartiges KI-gesteuertes Liebesspielzeug testen sollen, ist ihre Begeisterung gedämpft. Das Gerät sieht vor, dass sie über Sprache erotisch miteinander interagieren, dabei allerdings ein digitales Wunschbild vor Augen haben. Aber Eva ist schon genug enttäuscht davon, dass sich ihr Mann nicht mehr für sie interessiert – vom Austausch erotischer Zärtlichkeiten gar nicht zu reden. Und Adam kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie ihn eine ältere Frau wie Eva selbst mithilfe modernster Technik zum Höhepunkt bringen soll.
Einsam in der Großstadt
Es braucht nicht viel Phantasie, um zu ahnen, wie es weitergeht. Philippe Weibel setzt in seiner Komödie auf bewährte Zutaten und Zeitgeist-Humor. Seine Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft im Großstadt-Dschungel spielt auf die zunehmende Vereinsamung in unserer Gesellschaft an. Auch Adam und Eva geht es gleich besser, nachdem sie sich gegenseitig eingestehen, wie allein sie sind. Genau das schweißt sie zusammen, bis Adam unter der Last seines Influencer-Daseins zu zerbrechen droht.
Weibel trifft mit seinem Film durchaus einen Nerv beim Publikum – diverse Preise bei kleineren Festivals im europäischen Raum sprechen für sich. Allerdings wirkt der Witz an der Geschichte streckenweise arg platt und angestrengt. Alexandra Gilbreath gelingt es noch am ehesten, ihrer verzweifelt auf ein bisschen späte Romantik hoffenden Ehefrau Würde und Profil zu verleihen.
Neue Probleme, altes Rezept
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Seaside Special – Ein Liebesbrief an Großbritannien" – launige Doku über die letzte Music-Hall-Sommershow in einem englischen Seebad von Jens Meurer
und hier eine Besprechung des Films "Tagebuch einer Pariser Affäre" – prickelnde Liebeskomödie von Emmanuel Mouret
und hier einen Beitrag über den Film "Meine Stunden mit Leo" – subtile Callboy-Sittenkomödie von Sophie Hyde mit Emma Thompson + Daryl McCormack
und hier einen Bericht über den Film "Einsamkeit und Sex und Mitleid" – spöttische Sittenkomödie von Lars Montag nach einem Roman von Helmut Krausser.
Für eine moderne Dramedy muss das nicht unbedingt ein Manko sein. Aber die Geschichte will auch trotz des bewusst provokativen Sex-Toy-Plots nicht richtig zünden. Weibel zeigt, dass die Befriedigung menschlicher Sehnsüchte mit künstlich erzeugten Emotionen keine Illusion mehr ist. Gleichzeitig orientiert sich sein Film dramatisch an den Erfolgskonzepten britischer Komödienklassiker aus den 1990 und 2000er Jahren. Abgesehen von den Problemen, die unsere Faszination für virtuelle Realitäten mit sich bringt, vermeidet er jedoch jede Konfrontation mit der Wirklichkeit. Dadurch entsteht ein seltsames Ungleichgewicht.
Stadt ohne Sorgen
Vor allem sein adrettes, blitzblankes London-Bild stößt dabei unangenehm auf. Die Straßen sind nicht nur leer, sondern auch viel zu sauber, die Wohnungen geräumig und saniert. Von echten Alltagsproblemen wie öffentlicher Armut und überfüllten U-Bahnen keine Spur. Für eine seichte Sommerkomödie mit Freiluftkino-Appeal mag das genügen. Aber von wahrer Komödienkunst ist „The Art of Love“ weit entfernt.