Philippe Weibel

The Art of Love

Eva Parker (Alexandra Gilbreath) begutachtet ein Sexspielzeug. Foto: Film Kino Text /Philippe Weibel
(Kinostart: 13.7.) In einem blitzsauberen London lässt Regisseur Philippe Weibel zwei einsame Herzen aufeinandertreffen. Trotz zahlreicher Sex-Spielzeuge, die das Drehbuch seinen Liebenden zur Verfügung stellt, will diese Komödie nicht recht zünden.

London wie im Bilderbuch: Die Sonne scheint, die Straßen sind leer. Auch auf den Gehwegen sind an diesem Morgen kaum Menschen unterwegs. Nur eine Kurierfahrerin liefert mit ihrem pinkfarbenen Kleintransporter munter Pakete aus. Und im Hintergrund thront die Tower Bridge so prominent über der Themse, dass jegliche Orientierungsschwierigkeiten ausgeschlossen sind.

 

Info

 

The Art of Love

 

Regie: Philippe Weibel,

107 Min., Schweiz/ Großbritannien 2022;

mit: Alexandra Gilbreath, Oliver Walker, Jeremy Swift

 

Weitere Informationen zum Film

 

Zum Auftakt zeichnet Regisseur Philippe Weibel ein idyllisches Bild der britischen Hauptstadt. Mit dieser heiteren Stimmung ist der Ton für das Kommende gesetzt. Wir befinden uns in einem klassischen Comedy-Drama nach britischem Vorbild, das aus der Feder eines Komödien-Gurus wie Richard Curtis stammen könnte, der etwa die Skripte für die „Bridget Jones“-Filme lieferte. Aber diesmal hat sich ein Schweizer Regisseur des Genres angenommen.

 

Eine unerfüllte Frau

 

Eva (Alexandra Gilbreath) wird regelmäßig von der Firma „The Art of Love“ beliefert. Die unglückliche Ehefrau arbeitet seit fünf Monaten für das kleine Unternehmen, um sich nebenbei etwas dazu zu verdienen. Sie will die Welt bereisen und mit ihrem Mann neue Abenteuer erleben, weil der gemeinsamen Beziehung nach 30 Jahren auch der letzte Funke an Leidenschaft abhanden gekommen ist. Ihr Job bei den Londoner Verkehrsbetrieben wirft jedoch weder genug dafür ab, noch füllt er sie aus. Jetzt schreibt sie heimlich begeisterte Testberichte für Erotikspielzeuge, die sie selbst noch nie ausprobiert hat.

Offizieller Filmtrailer


 

Einflussreichster Hengst im Stall

 

Ihr jüngerer Kollege Adam (Oliver Walker) kennt sich dafür umso besser mit den Geräten aus – er ist ein erfolgreicher Influencer und das Aushängeschild des Unternehmens. Um seinem coolen Status gerecht zu werden, trainiert er täglich sämtliche Muskeln an seinem Körper und testet sich eifrig durch die gesamte Produktpalette. Mit seinem Chef Hector (Kenneth Collard) ist er schon seit langem per Du.

 

Als diese beiden ungleichen Mitarbeiter gemeinsam ein neuartiges KI-gesteuertes Liebesspielzeug testen sollen, ist ihre Begeisterung gedämpft. Das Gerät sieht vor, dass sie über Sprache erotisch miteinander interagieren, dabei allerdings ein digitales Wunschbild vor Augen haben.  Aber Eva ist schon genug enttäuscht davon, dass sich ihr Mann nicht mehr für sie interessiert – vom Austausch erotischer Zärtlichkeiten gar nicht zu reden. Und Adam kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie ihn eine ältere Frau wie Eva selbst mithilfe modernster Technik zum Höhepunkt bringen soll.

 

Einsam in der Großstadt

 

Es braucht nicht viel Phantasie, um zu ahnen, wie es weitergeht. Philippe Weibel setzt in seiner Komödie auf bewährte Zutaten und Zeitgeist-Humor. Seine Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft im Großstadt-Dschungel spielt auf die zunehmende Vereinsamung in unserer Gesellschaft an. Auch Adam und Eva geht es gleich besser, nachdem sie sich gegenseitig eingestehen, wie allein sie sind. Genau das schweißt sie zusammen, bis Adam unter der Last seines Influencer-Daseins zu zerbrechen droht.

 

Weibel trifft mit seinem Film durchaus einen Nerv beim Publikum – diverse Preise bei kleineren Festivals im europäischen Raum sprechen für sich. Allerdings wirkt der Witz an der Geschichte streckenweise arg platt und angestrengt. Alexandra Gilbreath gelingt es noch am ehesten, ihrer verzweifelt auf ein bisschen späte Romantik hoffenden Ehefrau Würde und Profil zu verleihen.

 

Neue Probleme, altes Rezept

 

Hintergrund

 

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Umso schwerer hat es Oliver Walker, weil das Drehbuch nicht nur bei der Charakterzeichnung seiner Figur eher eindimensional vorgeht, sondern auch im Hinblick auf ihr Umfeld. Adams Kakteen sammelnde neue Nachbarin, auf die er ein Auge geworfen hat, ist mit ihrer quirlig-chaotischen Art nur ein Beispiel dafür. Der Autor und Regisseur bedient sich sämtlicher Klischees, die das Genre zu bieten hat.

 

Für eine moderne Dramedy muss das nicht unbedingt ein Manko sein. Aber die Geschichte will auch trotz des bewusst provokativen Sex-Toy-Plots nicht richtig zünden. Weibel zeigt, dass die Befriedigung menschlicher Sehnsüchte mit künstlich erzeugten Emotionen keine Illusion mehr ist. Gleichzeitig orientiert sich sein Film dramatisch an den Erfolgskonzepten britischer Komödienklassiker aus den 1990 und 2000er Jahren. Abgesehen von den Problemen, die unsere Faszination für virtuelle Realitäten mit sich bringt, vermeidet er jedoch jede Konfrontation mit der Wirklichkeit. Dadurch entsteht ein seltsames Ungleichgewicht.

 

Stadt ohne Sorgen

 

Vor allem sein adrettes, blitzblankes London-Bild stößt dabei unangenehm auf. Die Straßen sind nicht nur leer, sondern auch viel zu sauber, die Wohnungen geräumig und saniert. Von echten Alltagsproblemen wie öffentlicher Armut und überfüllten U-Bahnen keine Spur. Für eine seichte Sommerkomödie mit Freiluftkino-Appeal mag das genügen. Aber von wahrer Komödienkunst ist „The Art of Love“ weit entfernt.