Sie mache keine halben Sachen. So bringt Antoine (Grégoire Monsaignon) während einer Unterhaltung das Wesen seiner Frau Chiara (Cécile de France) auf den Punkt. Dem muss sie selbst – in einer Gefühlslage zwischen Lachen und Weinen – zustimmen. Immerhin ist die gebürtige Belgierin ihrem Mann schon vor 20 Jahren, kaum dass sie einander kennengelernt haben, auf seine einsame französische Atlantikinsel gefolgt. Seitdem führen sie ein gemeinsames Leben als Krebsfischer.
Info
Wild wie das Meer
Regie: Héloïse Pelloquet,
93 Min., Frankreich 2022;
mit: Cécile de France, Félix Lefebvre, Grégoire Monsaingeon
Weitere Informationen zum Film
Junger Mann aus gutem Haus
Die Filmerzählung setzt ein, als Chiara den neuen Auszubildenden Maxence (Félix Lefebvre) vom Festland abholt. Er stammt aus wohlhabendem Elternhaus und wird bei der gemeinsamen Überfahrt erwartungsgemäß seekrank. Dann passt er sich aber überraschend schnell an die Umgebung an, die den Launen von Wind und Wetter ausgesetzt ist. Dafür gibt es für ihn allerdings auch einen starken Anreiz: Vom ersten Augenblick an ist er verliebt in seine Chefin und ihre raue, etwas herablassende Art.
Offizieller Filmtrailer
Leidenschaftliche Affäre
Wie er sie in der Folge umgarnt und schließlich mit einer Mischung aus jugendlichem Charme, Ernsthaftigkeit und bourgeoiser Abgeklärtheit für sich interessiert, beobachtet der Film mit bewegter Kamera. In naturalistischen Tableaus lässt er die Gefühlslagen der Charaktere erfahrbar werden: inmitten von Unwettern und Seegang, bei der Arbeit, wo jeder Handgriff sitzen muss, und bei feuchtfröhlichen Festen in der Dorfkneipe.
Im Zentrum steht dabei die leidenschaftliche Affäre, die Chiara und Maxence bald verbindet. Dabei hat Chiara keinen konkreten Anlass, mit Antoine und ihrem Leben auf der Insel zu hadern. Ihre Ehe ist auch nach all den Jahren noch von Körperlichkeit geprägt. Dazu hat sie durchaus Grund, stolz auf ihren Mann zu sein: Im Zuge der Brexit-Verhandlungen in Brüssel setzt er sich als Wortführer für die Belange der wirtschaftlich bedrohten Krebsfischer ein. Auch deswegen ist er in der Dorfgemeinschaft so etwas wie ein Fels in der Brandung.
Nachbarn nehmen Notiz
Andererseits ist die Aufmerksamkeit, die Maxence ihr zuteil kommen lässt, irgendwann so betörend, dass sie sein Drängen nicht mehr zurückweisen kann. Er geht dabei äußerst erfindungsreich vor und artikuliert seine Begehren an ausgesuchten Orten mit erotisch grundierten Rollenspielen. Das Techtelmechtel bleibt den übrigen Einwohnern der kleinen Insel, auf der jeder jeden genau beobachtet, nicht lange verborgen. Chiara muss erleben, wie sie trotz der vielen Jahre, die sie auf dem Eiland verbracht hat, plötzlich wieder zu der Fremden wird, als die sie einst gekommen ist. Häme, Handgreiflichkeiten und der Verlust ihres sozialen Status’ sind die Folgen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Mein fabelhaftes Verbrechen" – turbulente Krimikomödie von François Ozon mit Félix Lefebvre
und hier eine Besprechung des Films "Im Herzen jung" – melancholischer Dritter Frühling von Carine Tardieu mit Fanny Ardant + Cécile de France
und hier einen Bericht über den Film "Die schönen Tage" – leichthändiges Liebesdrama von Marion Vernoux mit hinreißender Fanny Ardant + jungem Liebhaber
und hier einen Beitrag über den Film "La belle saison – Eine Sommerliebe" – berührendes lesbisches Liebesdrama in den 1970er Jahren von Catherine Corsini mit Cécile de France.
Überzeugendes Debüt
Um Chiaras Changieren zwischen impulsiver Leidenschaft und Selbstbeherrschung, Lebensfreude und Gelassenheit zu verkörpern, erweist sich Cécile de France als Idealbesetzung. Dem als Shooting-Star gehandelten französischen Nachwuchs-Schauspieler Félix Lefebvre, der jüngst in François Ozons „Mein fabelhaftes Verbrechen“ zu sehen war, gelingt es glaubhaft, die nötigen jungmännlichen Anreize zu schaffen.
Auch die übrigen Darsteller überzeugen, etwa die teilweise vor Ort gecasteten jugendlichen Inselbewohner. So gelingt Pelloquet ein auf den Punkt erzähltes, gut beobachtetes Debüt. Überzeugend bettet sie die Geschichte ihrer Akteure in eine Welt ein, deren Klima auf mehreren Ebenen zusehends unwirtlicher wird. Höchstens das Ende kommt etwas unvermittelt – andererseits erweist sich der Film aber gerade darin als konsequent und folgerichtig.