Marco Bellocchio

Die Bologna Entführung – Geraubt im Namen des Papstes

Im Auftrag von Papst Pius IX. (Paolo Pierobon, Mitte) wird der junge Edgardo Mortara (Enea Sala) im Alter von 7 Jahren aus seiner Familie entführt. © Pandora Film, Foto: Anna Camerlingo
(Kinostart: 16.11.) Das Drama des gestohlenen Kindes: Einen authentischen Fall von legaler Kindesentführung beleuchtet Marco Bellochios Film als Historiendrama voller Emotionen und Machtspiele. Während die Sympathie des Films dem jungen Opfer gilt, lässt er ansonsten Ausgewogenheit walten.

In Marco Bellocchios neuem Film „Die Bologna-Entführung“ geht es um die wahre Geschichte eines kleinen Jungen, der in unruhigen Zeiten als Spielball der Macht missbraucht wird und nie wieder seinen Frieden findet. Bellocchio greift in seinen Filmen gerne kontroverse Geschichten auf, zuletzt in dem Drama „Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“ (2019). Auch diesmal nimmt er sich einer ungewöhnlichen Story an, zu der sich gewollt oder ungewollt aktuelle Bezüge herstellen lassen.

 

Info

 

Die Bologna Entführung – Geraubt im Namen des Papstes

 

Regie: Marco Bellocchio,

134 Min., Italien/ Frankreich/ Deutschland 2023;

mit: Paolo Pierobon, Fausto Russo Alesi, Barbara Ronchi

 

Weitere Informationen zum Film

 

Sie führt zurück ins Jahr 1858. Die Familie Mortara verbringt einen fröhlichen Abend, die Kinder werden liebevoll ins Bett gebracht. Mitten in der Nacht klopft es vehement an die Tür. Der schlafende Nachwuchs wird vorsichtshalber versteckt, denn als Juden sind die Mortaras im streng katholischen Italien grundsätzlich nicht sicher. Vor der Tür steht aber kein Mob, sondern Gendarmen, die die Herausgabe des kleinen Edgardo fordern. Der siebenjährige Junge soll angeblich getauft worden sein und gehöre somit in die Obhut der Kirche. Ihn erwarte eine katholische Erziehung.

 

Eine legale Entführung

 

Von dem militärischen Auftreten eingeschüchtert und überrascht, lassen die Eltern den Jungen gehen. Sie nehmen an, dass sich der Irrtum bald aufklären wird. Was die Mortaras nicht wissen, ist, dass an Edgardo tatsächlich eine heimliche Taufe vorgenommen wurde. Das Vorgehen der Gendarmerie ist somit rechtens, denn Bologna ist Teil des Kirchenstaats. Während Edgardo (Enea Sala)  in ein kirchliches Erziehungsheim gebracht wird, versuchen seine Eltern alles, ihn wieder zurückbekommen.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Ausgewogene Schilderung eines ungleichen Kampfes

 

Sie nutzen dafür jegliche greifbare Unterstützung, auch die der internationalen jüdischen Gemeinde. Als der Fall auch in Amerika bekannt wird, ist es schließlich am Papst, über das Schicksal des Jungen zu entscheiden. Pius IX. (Paolo Pierobon) bleibt  unnachgiebig; eine klare Machtdemonstration der damals auch in Italien nicht mehr omnipotenten Kirche. Anhand dieser Konstellation wäre es einfach, ein antiklerikales Lehrstück zu inszenieren. Bellocchio tut dies aber dezidiert nicht und bemüht sich um relative Ausgewogenheit der Charaktere auf beiden Seiten und ihrer unterschiedlichen Interessen.

 

Dennoch ist es ein ungleicher Kampf, da zweifellos ein großes Machtgefälle zwischen den Fronten besteht. Denen geht es nicht nur um ein Kind, das aus seiner liebevoll gezeichneten Umgebung gerissen wird. Auf Edgardos Rücken wird auch ein politischer Kampf ausgetragen, den die ohnehin benachteiligten Juden nicht gewonnen können. Sie müssen schließlich im wahrsten Sinne des Wortes vor dem Papst zu Kreuze kriechen. Derweil schildert der Film, wie der Junge sich in seinem neuen Leben zurechtfindet und dabei die Hoffnung nicht aufgibt, doch noch zurück nach Hause zu können

 

Papst als Ersatzvater

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Il Traditore –Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra" – grandioses Anti-Mafia-Epos von Marco Bellocchio

 

und hier eine Besprechung des Films "The Pope’s Exorcist" – Klerial-Schocker über einen Exorzisten der Diözese Rom von Julius Avery

 

und hier einen Beitrag über den Film "Jenseits der Hügel – După dealuri" – vielschichtiges Exorzismus-Drama im rumänisch-orthodoxen Kloster von Cristian Mungiu, dreifacher Cannes-Preisträger 2012

 

und hier einen Bericht über den Film  "Verteidiger des Glaubens – das Scheitern eines Papstes" – Doku über Josef Ratzinger und sein Pontifikat als Benedikt XVI. von Christoph Röhl.

 

Dafür dienen Details wie das Einkleiden des Jungen in die altmodische Schuluniform mit Bundhosen, steifem Kragen und Halsschleife, die den formalisierten Charakter der neuen Umgebung deutlich machen. Das leidenschaftlich erkämpfte Wiedersehen mit seiner Mutter wird das letzte für viele Jahre sein, was seine Verzweiflung nur noch wachsen lässt. Das weiß Papst Pius IX. (Paolo Pierobon) nun für sich auszunutzen weiß. Er wird quasi zum Ersatzvater und schreckt dabei auch nicht vor der diktatorischen Geste mit Kind auf dem Arm zurück.

 

Dennoch scheint er dem intelligenten Jungen echtes Wohlwollen entgegenzubringen. Kalkül steckt aber sicher auch dahinter. Bellocchio inszeniert Pius IX. nicht als eindeutig böse, eher als machtgierigen Strategen. Andere Zuschreibungen bleiben dem Publikum überlassen. Allerdings ist klar, dass die Sympathie des Regisseurs eindeutig bei Edgardo liegt, der sich über die Jahre immer mehr von seiner eigentlichen Familie entfremdet. Schließlich macht er die Anpassung komplett und legt die Priesterweihe ab.

 

Üppige Bilder, opulente Musik

 

Die „Die Bologna-Entführung“ erzählt eine brisante Geschichte im Gewand eines veritablen Historienfilms mit üppigen, wunderschön ausgeleuchteten, mitunter gemäldeartig erscheinenden Bildern. Zu beginn ersteht die Epoche in epischer Breite wieder auf, um dann gegen Ende zunehmend schlaglichtartig vorwärts gerissen zu werden. Unterstützt wird der Wandel der Zeiten von opulenter, meist klassischer Musik.

 

Übrigens hatte auch Steven Spielberg Interesse an der Geschichte, die unter seiner Regie wahrscheinlich eindeutiger, parteiischer und melodramatischer ausgefallen wäre. Bellochios Schilderung, die teilweise auf der Autobiografie des echten Edgardo Mortara beruht, lässt mehr als eine Lesart zu. Die moralische Botschaft ist aber eindeutig auf Seiten des entwurzelten, instrumentalisierten Kindes, das sich nie wieder irgendwo zu Hause fühlen sollte.