King Hu

Dragon Inn (WA)

Der Obereunuch Cao Shaoqin (Ying Bai) kämpft gegen eine Übermacht. Foto: © kinofreund eG 2023
(Kinostart: 16.11.) Im Wirtshaus der fliegenden Helden: Der Kampfkunst-Klassiker „Dragon Inn“ von Regisseur King Hu prägte das ganze Wuxia-Genre. Mehr als fünfzig Jahre nach der Premiere beeindruckt der Film noch immer mit spektakulären Stunts, Slapstick und Spannung auf engstem Raum.

Mit physikalischen Gesetzmäßigkeiten muss sich ein Wuxia-Kämpfer nicht herumärgern. Helden solcher Kampfkunst-Filme können die Fassade eines mehrstöckigen Haus erklimmen, als schlenderten sie die Straße herunter. Oder sie können mit Essstäbchen die Flugbahn eines beherzt geschleuderten Dolchs umlenken. Denn sie schweben einfach über allem, so wie Jesus einst angeblich übers Wasser wandelte.

 

Info

 

Dragon Inn (WA)

 

Regie: King Hu,

112 Min., Taiwan 1967;

mit: Lingfeng Shangguan, Chun Shih, Ying Bai

 

Weitere Informationen zum Film

 

Zu den international erfolgreichsten Vertretern des Genres zählen „Tiger & Dragon“ (2000), der philosophisch angehauchte Kampfkunstfilm von Regisseur Ang Lee, und „Hero“ (2002), ein politisch kontroverser Bilderrausch von Zhang Yimou. Durch sie hat diese Ästhetik auch außerhalb von Ostasien viele Fans gefunden. Bis Wuxia weltweit anschlussfähig wurde, war es jedoch ein weiter Weg. Das lässt sich am Beispiel des 2014 restaurierten Genre-Klassikers „Dragon Inn“ nachvollziehen, der 1967 in Deutschland unter dem Titel „Die Herberge zum Drachentor“ lief und nun wieder ins Kino kommt.

 

Fantasy-Welt am Draht

 

Der Film von Regisseur King Hu wirkte stilprägend auf alle weiteren Filme mit Wuxia-Ästhetik bis hin zu „Kill Bill“ (2003/4) von Quentins Tarantino. In der Entwicklung des Genres gilt „Dragon Inn“ als Meilenstein – insbesondere, was die technischen Aspekte betrifft. Erstmals kamen sogenannte wireworks zum Einsatz: auf der Leinwand unsichtbare Drähte, an denen die Darsteller durch den Raum schweben und bei Bedarf Fußtritte austeilen können. Dramaturgisch dürfte der Film trotz seiner schlichten Handlung das westliche Publikum bisweilen jedoch überfordern. Das Gewimmel auf der Leinwand wirkt schlichtweg verwirrend.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

 

Über Roman und Oper zum Film

 

Immer neue Kämpfer marschieren in immer neuen Uniformen auf und sind kaum als Freund oder Feind zu identifizieren – bis sie aufgespießt auf dem Boden liegen. Dort landen nämlich vor allem die Bösen. Das in Fernost höchst populäre Genre Wuxia erzählt von „im Wushu bewanderten ritterlichen Helden“. So lautet die wörtliche Übersetzung – wobei Wushu ein Oberbegriff für verschiedene chinesische Kampfkünste ist. Ursprünglich bezeichnete Wuxia eine Literaturgattung.

 

Doch spätestens mit dem Boom des Hongkong-Kinos in den 1960er Jahren setzte sich Wuxia als Bezeichnung für ein Subgenre von Martial-Arts-Filmen durch, die zudem von der Ästhetik der Peking-Oper geprägt sind. Die Helden dieser Filme folgen einem strengen Moralkodex; meist kämpfen sie gegen Korruption und Machtmissbrauch. Dabei mischten schon vor einem guten halben Jahrhundert auch Heldinnen mit. In „Dragon Inn“ etwa hatte die später höchst erfolgreiche Schauspielerin und Kampfkünstlerin Polly Shang-Kuan Ling-feng ihren ersten eindrucksvollen Auftritt.

 

Kampf zwischen Gut und Böse

 

In Wuxia-Geschichten trifft ein historisches oder auch pseudohistorisches Setting auf phantastische Elemente, die sich in übernatürlichen körperlichen Fähigkeiten der Darsteller manifestieren. Ob sich „Dragon Inn“ auf reale Ereignisse bezieht oder nicht, erfährt man nicht. Doch der historische Kontext scheint sowieso zweitrangig, erzählt die Geschichte doch ganz archetypisch vom Kampf Gut gegen Böse.

 

Nach einer Intrige, die zur Ermordung eines integren Generals durch des Kaisers Obereunuchen führt, will der sinistre Strippenzieher Xiao Shaozi (Chun Shih) nun auch dessen Kinder töten lassen. Die befinden sich allerdings schon auf dem Weg ins Exil. So planen Regierungstruppen in der letzten Herberge vor der Grenze einen Hinterhalt. Zunächst versuchen sie, das ganze Gebäude anzumieten, um freie Hand zu haben. Doch ganz so einfach werden sie ihre Widersacher nicht los. Einige Gefolgsleute des ermordeten Generals haben sich zusammengetan, um die Kinder zu retten.

 

Stunts und Slapstick

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "A Touch of Zen" – legendärer Kampfkunst-Klassiker (1971) aus Taiwan von King Hu

 

und hier eine Besprechung des Films "The Assassin" – raffinierter Meta-Martial-Arts-Historienfilm aus Taiwan von Hou Hsiao-Hsien

 

und hier einen Bericht über den Film "The Grandmaster" – ästhetisiertes Martial-Arts-Epos aus Hongkong von Wong Kar-Wai

 

und hier einen Beitrag über den Film "Drachenmädchen" – Doku über Chinas größte Kung-Fu-Schule von Inigo Westmeier.

 

Historische Einblicke oder auch ein tieferes Verständnis in Philosophie und Kultur der Zeit bietet die Geschichte nicht, anders als King Hus inhaltlich ambitionierter Nachfolger „A Touch of Zen” (1971). Und doch hat „Dragon Inn” Unterhaltungswert: Etwa dank der komplexen Choreografien und der spektakulären Stunts, die immer wieder durch Situationskomik ausgebremst werden. Überhaupt entwickelt der Film einen geradezu slapstickhaften Humor.

 

Freund und Feind belauern sich auf engsten Raum. In der Herberge teilen sie Nudelsuppe und Wein – und müssen stets aufpassen, an welchem Becher sie nippen. Wie sich bald herausstellt, sind hier nicht nur Schwertkämpfer, sondern auch Giftmischer am Werk. Die Ausstattung und das Set-Design wirken zudem recht authentisch.

 

Showdown in der Wüste

 

Die düsteren Innenräume des Gasthofs verleihen dem Film über weite Strecken die Anmutung eines Kammerspiels. Und auch der Showdown in den eindrucksvollen Weiten einer felsigen Wüstenlandschaft sorgt für Schauwerte, an denen sogar Gelegenheits-Liebhaber des Genres ihre Freude haben dürften. Wer sich mit Martial-Arts-Kino auskennt, wird zudem zahlreiche Filmzitate auf ihren Ursprung zurückverfolgen können