Patrick Muroni

Fierce: A Porn Revolution

Füßelspiele im Halbdunkel: Julie Folly, Nora Smith, Mahalia Taje Giotto (v.l.n.r.)
(Kinostart: 30.11.) Queere Pornos, selbstbestimmt und lustbetont: Das schwebt einem Frauen-Filmkollektiv aus Lausanne vor. Die Doku von Regisseur Patrick Muroni beobachtet sie bei Aktivitäten und Dreharbeiten – doch verspieltes Geplauder und Antiklimax-Aufnahmen wirken eher abtörnend.

Am Thema Pornographie scheiden sich die feministischen Geister. Die prüde Fraktion will sie verbieten oder zumindest stark einschränken, wie 1987 die berühmt-berüchtigte „PorNO“-Kampagne von Alice Schwarzer forderte, weil sie männliche Unterdrückung von Frauen reproduziere. Die sexpositive Fraktion sucht nach einem Gegenentwurf zu kommerziellen Pornoproduktionen: selbstbestimmt und nicht diskriminierend, genderdivers und lustbetont. Mekka dieser alternativen Pornoszene ist das alljährlich in Berlin stattfindende „Pornfilmfestival“.

 

Info

 

Fierce: A Porn Revolution

 

Regie: Patrick Muroni,

96 Min., Schweiz 2022;

mit: Mélanie Boss, Nora Smith, Olivia Schenker, Julie Folly, Mahalia Taje Giotto

 

Weitere Informationen zum Film

 

Mélanie, Nora, Olivia, Julie und Mahalia zählen gewiss zur sexpositiven Fraktion. Die fünf teils queeren Frauen zwischen Mitte 20 und Anfang 30 haben Ende 2018 in Lausanne das Filmkollektiv „Oil Productions“ gegründet, um „ethische und dissidente Pornos unter respektablen Dreh- und Arbeitsbedingungen“ zu drehen, wie sie einer Radiomoderatorin erklären. Was genau sie darunter verstehen, wird allerdings in dieser Doku nie erläutert.

 

Bedeutung durch extreme Nähe

 

Stattdessen hat Regisseur Patrick Muroni jahrelang das Quintett bei seinen Treffen und Aktivitäten begleitet und gefilmt, was ihm vor die Kamera kam. Gern mit Gesichtern in extremer Nahaufnahme, damit expressives Minenspiel dem Gesagten mehr Bedeutung verleiht. Vergebens: Das Geplauder der Damen ist meist zu verspielt und belanglos, um erhellend zu sein.

Offizieller Filmtrailer


Pornodrehs als Sexsucht-Autotherapie

 

Muronis Vorgehensweise leidet unter dem Problem vieler Dokumentarfilme im Direct Cinema-Stil: Menschen reden meist redundant daher. Wenn ein Regisseur darauf verzichtet, sie mit Fragen auf den Punkt zu bringen, muss er viel Material zusammentragen und es sehr durchdacht schneiden, damit das Ganze aussagekräftig wird. Das ist hier nicht der Fall. Muroni lässt es laufen und vertraut leichtfertig darauf, das pikante Sujet werde den Zuschauer schon irgendwie bei der Stange halten.

 

Am ehesten ergiebig sind noch die Auftritte von Mélanie Boss, offenbar Wortführerin der Gruppe. Zu Beginn ist sie an ihrem Arbeitsplatz als Käse-Fachverkäuferin zu sehen, wobei sie von der sinnlichen Verführungskraft der 100 Sorten Käse im Sortiment schwärmt. Später erzählt sie, wie sie über Jahre hinweg täglich oft stundenlang zu Internet-Pornos masturbiert habe – seitdem sie selbst Pornos drehe, habe sie kein Interesse mehr daran. Ein Beispiel für gelungene Sexsucht-Autotherapie.

 

Charme des Dilettantismus

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Pornfluencer" – aufschlussreiche Dokumentation über Amateurporno-Filmer von Joschka Bongard

 

und hier eine Besprechung des Films "Pleasure" – einfühlsames Dokudrama über die US-Porno-Branche von Ninja Thyberg

 

und hier einen Beitrag über den Film "Violently Happy" – eindrucksvolle Doku über die SM-Tanz-Kommune "Schwelle 7" von Paola Calvo

 

und hier einen Bericht über den Film "La Maison – Haus der Lust" – prägnant plausibles Dokudrama über den Prostituierten-Alltag im Bordell von Anissa Bonnefont.

 

Die mitteilungsfreudige Mélanie ist die einzige, die über ihre Motivation spricht. Alle anderen machen einfach mit, wobei unklar bleibt, wer was tut und was sie dafür qualifiziert. Oder auch nicht: Bei einer Art Krisentreffen beklagen die fünf, dass ihre bislang aufwändigste Produktion ohne Ergebnis blieb, weil die Bilder unbrauchbar waren. Überraschende Erkenntnis: Beim nächsten Anlauf wollen sie erstmals eine Rollenverteilung festlegen – etwa einen Aufnahmeleiter bestimmen, der im Blick hat, wer sich um was kümmern muss. Gute Idee.

 

Der Charme des Dilettantismus prägt auch die Making-of-Passagen. Bei mehreren Pornodrehs der Gruppe, bei denen teils auch Männer mitspielen, ist Muroni dabei; er dokumentiert sie ausgiebig mit kaum geschnittenen Sequenzen. Das gerät so langatmig und zähfließend, dass man sich fragt, welche Pornokonsumenten, ob alternative oder Normalos, sich davon animiert fühlen sollen. Ein Fall für die Schnellvorlauf-Taste.

 

Privat-Tagebuch ohne Dramaturgie

 

Ohnehin hat der Regisseur einen ausgeprägten Sinn für Antiklimaxe. Als Mélanie zu einer TV-Diskussionsrunde über Pornograpie eingeladen wird, schneidet er ihre Anfahrt im Auto samt Unterhaltung mit Nora über dies und das knapp zehn Minuten lang mit. Von der eigentlichen Debatte sind nur wenige, kontextfreie Schlagworte über Patriarchat und Männergewalt zu hören. Ähnlich ausführlich wird ein Ausflug der Frauen nach Italien ausgebreitet. Bei ihren durchaus fantasievollen Pornodrehs in freier Natur bleibt die Kamera aber diskret auf Distanz.

 

So hinterlässt diese Doku den Eindruck eines visuellen Tagebuchs für den Privatgebrauch, dem Drehbuch und Dramaturgie fehlen. Das Aufregendste an „Fierce: A Porn Revolution“ ist der Titel.