Omar Sy

Mein Sohn, der Soldat

Bakary Diallo (Omar Sy) und sein Sohn Thierno (Alassane Diong) im Schützengraben. © 2022 Unite-Korokoro-Gaumont-France3 Cinema-Mille Soleils-Sypossible Africa. Foto: Marie-Clemence David
(Kinostart: 2.11.) Kameraden aus den Kolonien: Im Ersten Weltkrieg kämpften 200.000 Schwarze für Frankreich. Dem widmet Regisseur Mathieu Vadepied erstmals einen Spielfilm. Omar Sy will seinen zwangsrekrutierten Sohn retten, doch im Schützengraben zerrüttet sich ihr Verhältnis – wie das von Europa zu Afrika.

Schwarze in Weltkriegs-Uniformen? Das lässt hierzulande stutzen. Doch die Kolonialmächte haben in beiden Weltkriegen auch Soldaten aus den von ihnen beherrschten Territorien eingesetzt. Insbesondere Frankreich hob Truppen in seinen afrikanischen Gebieten aus. Die Einheiten der tirailleurs sénégalais (Senegal-Schützen) wurden bereits 1857 gebildet; ihr gehörten nicht nur Senegalesen, sondern Bewohner von ganz Französisch-Westafrika an.

 

Info

 

Mein Sohn, der Soldat

 

Regie: Mathieu Vadepied,

100 Min., Frankreich/ Senegal 2022;

mit: Omar Sy, Alassane Diong, Jonas Bloquet

 

Weitere Informationen zum Film

 

Im Ersten Weltkrieg dienten auf französischer Seite rund 200.000 Schwarzafrikaner; etwa 30.000 fielen. Ihr Anteil am Kriegsverlauf ist lange Zeit kaum beachtet worden; dieser Spielfilm ist der erste über dieses Thema. Im Original heißt er sachlich „Tirailleurs“, auf Deutsch melodramatischer „Mein Sohn, der Soldat“. Beide Titel betonen je einen Aspekt des Films: Er verknüpft die spezifische Perspektive von Afrikanern auf das Kriegsgeschehen mit einer komplexen Vater-Sohn-Beziehung.

 

Herzensprojekt für Fulbe-Sohn

 

Die Vaterrolle des Bakary Diallo übernimmt Star-Schauspieler Omar Sy; er hat den Film auch koproduziert. Offenkundig war er für ihn ein Herzensprojekt – Sys Vater gehört wie die Hauptfiguren dem Volk der Fulbe an. Regie führte Mathieu Vadepied in seiner zweiten Arbeit als Regisseur. Er und Sy kennen sich seit dem Kassenschlager „Ziemlich beste Freunde“ von 2011, bei dem Vadepied als Kameramann tätig war.

Offizieller Filmtrailer


 

Soldaten verstehen einander kaum

 

Bereits die ersten Szenen sprengen übliche Kriegsfilm-Klischees. In der senegalesischen Savanne werden junge Schwarze von der französische Kavallerie wie wilde Tiere gejagt; sie verschleppt Bakarys Sohn Thierno (Alassane Diong) ins Musterungs-Camp. Um ihm vor dem Abtransport zu bewahren, meldet sich der Vater freiwillig dort und lässt sich pro forma rekrutieren. Doch ihr nächtlicher Fluchtversuch scheitert; beide finden sich unversehens auf dem europäischen Kriegsschauplatz wieder.

 

Vor ihrem Marsch an die Front verspricht ein General den Gefreiten pathetisch, sie würden nach dem Sieg zur Belohnung französische Bürger werden. Der Kriegsalltag ist ernüchternder: Aus ganz Westafrika zusammengewürfelt, verstehen die Soldaten einander kaum. Kommandos der Offiziere muss Thierno, der etwas Französisch beherrscht, seinem Vater übersetzen. Von Solidarität keine Spur: Schon in der ersten Etappe wird der Sohn von Kameraden zusammengeschlagen und ausgeraubt. Als Bakary ihn in der Feldküche unterbringen will, verlangt der Koch ein horrendes Schmiergeld.

 

Traditionelles Dasein vs. sozialer Aufstieg

 

Auch die Schlachtszenen in den Schützengräben nehmen bald eine eigentümliche Wendung. Anfangs folgt Thierno noch den Ratschlägen seines Vaters. Als er sich aber im Kampf auszeichnet und vom weißen Leutnant Chambreau (Jonas Bloquet) zum Korporal befördert wird, dreht sich ihr Verhältnis um. Der Sohn ist nun Vorgesetzter seines Vaters und muss ihm Befehle erteilen – was Bakary, ganz afrikanischer Patriarch, nicht akzeptiert. Weshalb Thierno sich von ihm abwendet: Anstatt weiter Fluchtpläne zu schmieden, strebt er vom Leutnant protegiert eine militärische Karriere an.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "1917" – meisterlich suggestiv gefilmtes Drama über den Ersten Weltkrieg von Sam Mendes

 

und hier eine Besprechung des Films "They Shall Not Grow Old" - eindrucksvolle Dokumentation über den Ersten Weltkrieg mit Archivmaterial von Peter Jackson

 

und hier einen Beitrag über den Film "Frantz" - subtiles Kammerspiel über Hinterbliebene nach dem Ersten Weltkrieg von François Ozon

 

und hier einen Bericht über den Film "Heute bin ich Samba" - beschwingte Tragikomödie über illegale Einwanderer in Frankreich von Olivier Nakache und Eric Toledano mit Omar Sy.

 

Mit dieser Konstellation lässt der Film europäische Nabelschau hinter sich und beleuchtet die Folgen für Afrika. Jeder Krieg bewirkt auch einen Modernisierungsschub, weil er alte Strukturen zerstört, auf deren Trümmern Anderes entsteht. Doch auf dem schwarzen Kontinent ist die Diskrepanz besonders groß. Bakary lebt mit seiner Familie als halbnomadischer Hirte und möchte zur herkömmlichen Daseinsform zurückkehren. Sein Sohn wittert hingegen die Chance, aus dieser engen Welt auszubrechen; ihn lockt sozialer Aufstieg bis zum Status der Kolonialherren.

 

Komplett in Fulfulde-Sprache gedreht

 

Natürlich gelingt ihm das nicht. Aber das gesamte Dilemma der Dekolonialisierung bis heute ist im widersprüchlichen Verhältnis von Vater und Sohn enthalten – sie können nicht ohne einander, aber auch nicht mehr miteinander. Wenn zurzeit wütende Jugendliche in Senegal, Niger und Mali skandieren: „Frankreich, hau ab!“, bringen sie Ähnliches zum Ausdruck: die Enttäuschung über eine Hegemonialmacht, die ihr Versprechen einer Entwicklung zu Modernität und Wohlstand nie eingelöst hat.

 

Insofern weist der Film weit über historische Gemetzel hinaus in die Gegenwart. Dazu trägt auch die kluge Entscheidung bei, ihn komplett in der Fulbe-Sprache Fulfulde zu drehen. Das macht die verstörende Unbehaustheit der Protagonisten in jedem Moment spürbar; man sollte ihn tunlichst in der untertitelten Fassung ansehen. Damit der fremdartige Blickwinkel, den Regisseur Mathieu Vadepied auf den Ersten Weltkrieg wirft, seine ganze Wucht entfaltet.