Ben Kingsley

A Great Place to Call Home

Der außerirdische Besucher wirbelt den Lebensabend von Joyce (Jane Curtin). Sandy (Harriet Harris) und Milton (Ben Kingsley, v.l.n.r.) ordentlich durcheinander. Foto: Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 1.2.) E.T. für Erwachsene: Ein freundliches Alien mit guten Manieren besucht eine US-Kleinstadt und landet im Vorgarten. Daraus macht Regisseur Marc Turtletaub eine skurrile Komödie mit feinem Humor und hochkarätigem Senioren-Ensemble – der außerirdische Gast kommt gerade zur rechten Zeit.

Milton (Ben Kingsley) ist ein gewöhnlicher Rentner aus der US-Mittelklasse. In seinem Eigenheim in der Kleinstadt Boonton, Pennsylvania, fristet er ein ereignisarmes Leben, das geprägt ist von schrulligen Routinen. Eine davon ist sein wöchentlicher Besuch bei der öffentlichen Sitzung des Stadtrates. Dort trägt er mit stoischer Ruhe stets dieselben zwei Probleme vor, die ihn plagen.

 

Info

 

A Great Place to Call Home

 

Regie: Marc Turtletaub,

87 Min., USA 2023;

mit: Ben Kingsley, Harriet Harris, Jane Curtin

 

Weitere Informationen zum Film

 

Zum einen solle der Slogan der Stadt umbenannt werden. „A Great Place to Call Home“ (etwa: „Ein großartiger Ort, um ihn sein Zuhause zu nennen“), das klänge nicht nach einem Ort, an dem es sich gut leben lässt, sondern nach einem Ort, von dem aus man gut nach Hause telefonieren könne. Zum anderen fordert er einen Zebrastreifen an einer stark befahrenen Straße.

 

UFO im Blumenbeet

 

Eines Tages fügt er einen dritten Punkt hinzu. In demselben ausdruckslosen Ton wie immer erzählt er, dass gestern ein Ufo in seinem Garten eine Bruchlandung hingelegt und damit das Blumenbeet zerstört habe. Er erntet nur ungläubige Blicke und verhaltenes Kopfschütteln. Niemand glaubt ihm. Auch seine dauergestresste Tochter Denise (Zoë Winters) glaubt, in der Geschichte nur ein weiteres Indiz für seine Demenz im Anfangsstadium zu erkennen.

Offizieller Filmtrailer


 

Alles nur Einbildung?

 

Glauben oder nicht glauben, das ist eine Leitfrage in „A Great Place to Call Home“. Regisseur Marc Turtletaub zeigt dem Publikum zwar das UFO. Doch angesichts von Miltons fragwürdiger Zurechnungsfähigkeit bleiben Zweifel, ob der sich das Flugobjekt nicht doch eingebildet hat. Oscar-Preisträger Ben Kingsley („Gandhi“, 1983) spielt Milton derart glaubwürdig, dass stets im Vagen bleibt, ob sein gelegentlicher Blick ins Leere nur eine mimische Spielart seines Zynismus oder eher altersbedingte Verwirrung andeutet.

 

Dann kommen die Rentnerinnen Sandy (Harriet Sansom Harris) und Joyce (Jane Curtin) zu Besuch – und treffen auf Miltons Sofa einen Außerirdischen an. Im Gegensatz zu den beiden Frauen nimmt Milton die Existenz dieses Wesens ohne Schrecken zur Kenntnis. Seine vermeintliche Fantasie ist real. Und furchteinflößend ist der außerirdische Besucher eigentlich nicht, abgesehen von den etwas unheimlichen schwarzen Augen.

 

Ein kauziger Außerirdischer

 

Es ist vielmehr ein kauziges Wesen, das gerne zuhört, aber nicht spricht, sich ausschließlich von Äpfeln ernährt und eine Vorliebe für Katzen hat. Es ist also eher ein Kuscheltier zum Liebhaben als ein blutrünstiges Monster aus einer fernen Galaxie. So verfallen die einzigen drei Menschen, die von seiner Existenz wissen, auf den Gedanken, dieses Alien beschützen zu müssen. Sie halten es versteckt.

 

Regisseur Turtletaub inszeniert das alles sehr unaufgeregt, ohne special effects oder andere teure Insignien. Der Humor speist sich vorwiegend aus absurden Situationen und überraschenden Schnitten statt aus Slapstick. Die Komik nutzt den Spielraum zwischen Sozialkritik und liebenswerter Albernheit. Zum Beispiel zieht Sandy dem zuvor „nackten“ Alien ein T-Shirt über, das ein Bild der Erdkugel mit dem Aufdruck „love your mother“ zeigt.

 

Science-Fiction ohne Spektakel

 

Die meisten Funken schlägt der Film aus seiner Figurenkonstellation: dass die menschlichen Protagonisten, die dem Außerirdischen begegnen, nicht etwa abenteuerlustige Kids oder kernige Kerle mit großkalibrigen Knarren sind, sondern ein Rentner-Trio. Diese Idee ist freilich nicht neu. Schon Ron Howards „Cocoon“ (1985) verknüpfte die Alien-Mode der 1980er Jahre geschickt mit einem Senioren-Ensemble. Turtletaub nutzt das aber auch, um nebenbei schwere Themen anzusprechen, zum Beispiel altersbedingte Melancholie und Einsamkeit.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Asteroid City" – absurde 1950er-Jahre-Komödie mit Besuch eines Außerirdischen von Wes Anderson

 

und hier einen Bericht über den Film "Kin-Dza-Dza!" – herrlich anarchisch-alberne Sci-Fi-Komödie von Georgi Danelija

 

und hier eine Besprechung des Films "Arrival"fesselnder Science-Fiction-Psychothriller von Denis Villeneuve

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Visit – eine ausserirdische Begegnung" – Experten-Doku über möglichen Alien-Kontakt von Michael Madsen.

 

Obwohl es hier anders zugeht als in den meisten Science-Fiction-Filmen mit Außerirdischen – keine Action, keine Schockeffekte, keine Gewalt – so hat Turtletaubs feinsinnige Komödie doch zwei Aspekte mit ihnen gemeinsam. Auch hier geht es nicht wirklich um Aliens, sondern um die Menschen, die mit ihnen konfrontiert werden. Zweitens ist auch hier das Alien eine Allegorie für das Andere, Fremde und Unbekannte. Es dient als Projektionsfläche für alle möglichen menschlichen Unzulänglichkeiten, Wünsche und Ängste. Indem sie sich mit dem Fremden beschäftigen, klären Menschen ihre Beziehungen untereinander.  

 

Wasserglas statt Gewehr

 

In „A Great Place to Call Home“  treibt der Außerirdische die Menschen jedoch nicht auseinander, er bringt sie zusammen. So gewinnt der zuvor recht einsame Milton durch seinen Gast neue Freundinnen aus der Nachbarschaft und versöhnt sich mit seiner ihn bevormundenden Tochter. Der schrullige, aber sympathische Rentner widerspricht zudem dem Hollywood-Klischee des wehrhaften Opas, der Eindringlinge auf seinem Grundstück mit der Schrotflinte im Anschlag begrüßt.   

 

Statt eines Gewehrs hält Milton zu Beginn des Films, als das UFO in seinen Garten stürzt, ein Glas Wasser in der Hand, das er dem Alien hinhält. „Wir müssen es nehmen, wie es ist“, sagt er in einer Szene über den Besucher. Keine triviale Einsicht: In Zeiten der drohenden Wiederwahl eines rassistischen Sexisten zum Präsidenten ist die niedliche Symbolik dieses Films ein geradezu radikales Statement.