Mohamed Kordofani

Goodbye Julia

Zwischen Mona (Eiman Yousif, li.) und ihrer Haushaltshilfe, der Witwe Julia (Siran Riak), entwickelt sich eine Freundschaft. Foto: Trigon Film
(Kinostart: 14.3.) Ehe-Zwist als Prolog zur Teilung der Nation: Bewunderungswürdig elegant zeigt Regisseur Mohamed Kordofani, wie Rassismus die Zwei-Klassen-Gesellschaft des Sudans prägt – das führte 2011 zur Spaltung. Der wohl erste sudanesische Spielfilm in deutschen Kinos ist ein kleines Meisterwerk.

Der Sudan war bis zur Teilung 2011 das flächengrößte Land Afrikas, aber auf der Kino-Landkarte ist er ein Winzling. Unterentwicklung, politische Instabilität und etliche militärische Konflikte haben bislang verhindert, dass dort Filme gedreht werden, die ihren Weg ins Ausland finden. Vermutlich ist „Goodbye Julia“ der erste sudanesische Spielfilm, der hierzulande auf die Leinwand kommt.

 

Info

 

Goodbye Julia

 

Regie: Mohamed Kordofani,

120 Min., Sudan/ Ägypten/ Vereinigte Arabische Emirate 2023;

mit: Eiman Yousif, Siran Riak, Nazar Gomaa, Ger Duany

 

Weitere Informationen zum Film

 

Umso bewunderungswürdiger ist die kompositorische Eleganz des Spielfilmdebüts von Regisseur Mohamed Kordofani: Er verflicht ein privates Drama um Schuld und Sühne derart geschickt mit der turbulenten jüngsten Geschichte seines Landes, dass letztere durch ersteres erklärt wird – was keine Sekunde lang konstruiert oder didaktisch wirkt. So wird „Goodbye Julia“, obwohl nur eine Handvoll Personen beteiligt ist, zum ausdrucksstarken Gesellschafts-Panorama.

 

Auftrittsverbot aus Eifersucht

 

Angesiedelt ist die Geschichte in der wohlhabenden Mittelschicht der Hauptstadt Khartoum im Jahr 2005: Mona (Eiman Yousif) ist mit dem Tischler Akram (Nazar Goma) verheiratet. Früher war sie eine erfolgreiche Sängerin, bis ihr Mann ihr weitere Auftritte verbot: aus Eifersucht, sie könne untreu werden. Ohnehin ist Akram sehr argwöhnisch. Wenn Mona aus dem Haus geht, muss sie ihm hernach berichten, wo sie war – und im Zweifelsfall die Anrufliste ihres Handys vorzeigen.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Witwe als Haushaltshilfe angestellt

 

Eines Tages fährt Mona mit ihrem Auto den kleinen Jungen einer armen südsudanesischen Familie an. Als dessen Vater sie nach Hause verfolgt, rastet Akram aus und erschießt ihn im Affekt. Dass er so schnell zur Feuerwaffe greift, liegt an der angespannten Lage: Kurz zuvor war John Garang, langjähriger Führer der Südsudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM) bei einem Hubschrauberabsturz gestorben; wenige Wochen nach einem Friedensabkommen, das den jahrzehntelangen Bürgerkrieg des Südens gegen den Norden beenden sollte. Der Gedanke lag nahe, dass Garang beseitigt wurde. Ihrer Wut machten Südsudanesen mit gewalttätigen Unruhen Luft.

 

Ermittlungen wegen Totschlags unterbindet Akram einfach mit Bestechungsgeld. Doch seine Frau wird von Gewissensbissen gequält: Sie macht die junge Witwe Julia (Siran Riak) ausfindig und stellt sie mit ihrem Jungen Daniel als Haushaltshilfe an. Bald freunden sich die beiden Frauen an – zum Unwillen von Akram, der nicht ahnt, wer die neue Mitbewohnerin wirklich ist. Für ihn sind alle Südsudanesen „dumme Sklaven“, wie sie sein Großvater noch besaß.

 

Lieder im Chor singen als Affront

 

Damit macht der Film explizit, was ihn durchgängig prägt: die Zwei-Klassen-Gesellschaft im Sudan. Die Mittel- und Oberschicht stellen die hellhäutigen Sudan-Araber im Norden; sie sprechen Arabisch und gehören eher konservativen Strömungen des Islam an. Dagegen werden Sudanesen aus dem Süden, die nilotische Sprachen sprechen, dunklere Haut haben und meist Christen sind, traditionell diskriminiert: Ihr Bildungsgrad ist gering, sie wohnen in Slums und leben von Gelegenheitsarbeiten. Ihre Vorfahren wurden jahrhundertelang von arabischen Sklavenhändlern gejagt und verkauft.

 

Die Grenze zwischen beiden Klassen scheint unüberwindlich; sie leben Tür an Tür und nehmen doch kaum Notiz voneinander. Mona überschreitet diese Grenze des Alltags-Rassismus zaghaft, etwa indem sie – aber im Tschador – mit Julia ein Musikcafé besucht, das Alkohol ausschenkt, oder gemeinsam mit einem südsudanesischen Kirchenchor Lieder singt. Das mag auf hiesige Betrachter harmlos wirken – für ihre sittenstrengen Landleute ist es ein Affront.

 

Ehedrama wie bei Ingmar Bergman

 

Den Eklat löst allerdings Majier (Ger Duany), ein Ex-Kommandant der SPLA-Guerilla. Ende 2010 agitiert er, beim bevorstehenden Referendum für die Trennung des Südens vom Norden zu stimmen. Dass er zugleich Julia den Hof macht, verknüpft sein Geschick mit dem ihres Haushalts. Als Monas jahrelange Wiedergutmachungs-Aktion auffliegt und damit zerbricht, wird das zum Prolog der großen Politik: Im Januar 2011 stimmen 99 Prozent der Südsudanesen für die Unabhängigkeit ihres Landesteils.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Mami Wata" – faszinierend stilisierte Schwarzweiß-Parabel über Konflikte zwischen Tradition und Moderne in Nigeria von C. J. "Fiery" Obasi

 

und hier eine Besprechung des Films "Lingui"  – eindrucksvolles Mutter-Tochter-Drama im Tschad über illegale Abtreibung von Mahamat-Saleh Haroun

 

und hier einen Beitrag über den Film "Das Mädchen Hirut - Difret" – grandioses Drama über Vergewaltigung und Zwangsheirat aus Äthiopien von Zeresenay Berhane Mehari.

 

Dieses Ergebnis habe ihn schockiert, erzählt Regisseur Kordofani; in „Goodbye Julia“ wolle er die Gründe für die soziale Spaltung bloßlegen. Das erreicht in manchen Szenen die Intensität eines Ehedramas von Ingmar Bergman, wenn Akmar – obwohl ein vergleichsweise moderner Großstädter – seiner Frau ein rigides Regelkorsett vorschreibt. Oder wenn der Film ein sarkastisches Sittenbild zeichnet: Sudan-Araber mögen lügen und gegeneinander intrigieren, doch gegen die Südsudanesen halten sie stets zusammen.

 

Dienstmädchen war Miss Südsudan

 

Beachtlich ist auch, welche Nuancen die beiden Laien-Hauptdarstellerinnen ihrer Beziehung zueinander entlocken. Eiman Yousif – eine sudanesische Sängerin, die der Regisseur auf Facebook entdeckte – changiert anrührend zwischen Melancholie und Lebensfreude. Siran Riak tritt für ein Dienstmädchen bemerkenswert selbstbewusst auf: Sie war Miss Südsudan, ist also Rampenlicht gewöhnt. Dagegen sind die männlichen Akteure professionelle Schauspieler.

 

Dass auf das Referendum die Aussiedlung von Schwarzen aus Karthoum in den Süden folgt, verwundert nicht. 2019 folgte im Norden der Sturz des langjährigen Diktators Omar al-Baschir. Gegen die demokratische Übergangsregierung putschte 2021 das Militär, dagegen gab es im Folgejahr Massenproteste – während Kordofanis Dreharbeiten wehte manchmal Tränengas über den Set.

 

Langer Weg bis zum Südsudan-Film

 

Seit April 2023 herrscht im Norden Krieg zwischen Armeechef Burhan und seinem Ex-Vize Daglo. Eine ähnliche Konstellation verheerte vorher den Südsudan: Von 2013 bis 2018 kämpften Präsident Salva Kiir und sein ehemaliger Stellvertreter Riek Machar mit Waffengewalt um die Macht. Es dürfte noch lange dauern, bis der erste südsudanesische Spielfilm in die deutschen Kinos kommt.