Paolo Sorrentino

Parthenope

Parthenope (Celeste Dalla Porta) hat eine komplizierte Dreiecksbeziehung mit Sandrino (Dario Aita) und Raimondo (Daniele Rienzo, v.l.n.r.). Foto: Wild Bunch Germany
(Kinostart: 10.4.) Wie eine schaumgeborene Schönheit: Regisseur Paolo Sorrentino umschwärmt eine moderne Sirene, die in Neapel allen Männern den Kopf verdreht, während sie unbeirrt ihren Weg geht. Sein Hymnus auf eine Idealfigur glänzt mit perfekt inszenierten Oberflächenreizen – was auf Dauer ermüdet.

„Flackere auf wie eine Flamme und wirf große Schatten, in denen ich mich bewegen kann. Lass alles mit dir geschehen: Schönheit und Schrecken. Geh einfach weiter. Kein Gefühl ist endgültig.“ Diese Zeilen aus Rainer Maria Rilkes Gedicht „Geh an die Grenzen deiner Sehnsucht“ klingen wie eine poetische Kurzbeschreibung von „Parthenope“, dem neuen Film von Regisseur Paolo Sorrentino. Wer solche Poesie mag, der dürfte auch die des Filmes zu schätzen wissen. Sie ist die größte Stärke, aber auch die größte Schwäche des Films.

 

Info

 

Parthenope

 

Regei: Paolo Sorrentino,

136 Min., Italien/ Frankreich 2024;

mit: Celeste Dalla Porta, Gary Oldman, Stefania Sandrelli

 

Weitere Informationen zum Film

 

In Neapel um 1970 streift Parthenope durch die Stadt, auf der Suche nach sich selbst. Die junge Frau aus gutem Hause wird von der Schauspiel-Debütantin Celeste Dalla Porta mit einer Mischung aus Koketterie, Intellekt und kühler Distanz verkörpert – was gut zur ambivalenten, oft entrückten Aura der Figur passt. Dabei wird selbst ein Spaziergang quasi zum Auftritt auf der Opernbühne, was typisch für Sorrentinos ästhetisierenden Regiestil ist – alles wird penibel durchkomponiert, sinnlich aufgeladen und pathetisch überhöht.

 

Inzestuöses Dreiecksverhältnis

 

Parthenopes Schönheit und Schlagfertigkeit ziehen die Männer unwiderstehlich an. Ihr Name entspringt der antiken Mythologie: Die gleichnamige Sirene lockte mit ihrem Gesang Bewunderer ins Verderben. Dagegen gliedert sich der poetische Fluss des Films in zahlreiche, nur lose verbundene Episoden: Mit ihrem Bruder Raimondo (Daniele Rienzo) und Sandrino (Dario Aito), dem Sohn einer Hausangestellten, hat Parthenope ein verstörender Dreiecksverhältnis am Rande des Inzests – als sie sich Sandrino hingibt, begeht Raimondo Selbstmord.

Offizieller Filmtrailer


 

Diven raten von Schauspiel-Laufbahn ab

 

Auch später bleibt ihr Liebesleben kompliziert und problematisch. Während ihrer Affäre mit dem Mafioso Roberto wird sie Zeuge eines Camorra-Rituals, bei dem eine Frau vor aller Augen ein Kind empfängt, um die Fehde zwischen beiden Clans zu beenden. Als sie von Roberto schwanger wird, lässt sie den Embryo jedoch abtreiben. Und das eindeutige Angebot eines zynischen Kardinals (Peppe Lanzetta) in der Kathedrale von Neapel schlägt Parthenope souverän aus.

 

Stattdessen spielt sie mit dem Gedanken, eine Karriere als Schauspielerin einzuschlagen. Bis ihr zwei frühere Filmdiven davon abraten: Flora Malva (Isabella Ferrari) versteckt nach missglückten Schönheits-Operationen ihr Antlitz hinter Masken; sie ist zu Einsamkeit in Selbstisolation verurteilt. Dagegen zieht Greta Cool (Luisa Ranieri) gegen Neapel und seine nichtsnutzigen Bewohner vom Leder; sie brächten vor lauter Hochmut und Willensschwäche nie etwas Gutes zustande.

 

Voyeur-Zuschauer bei Flirt mit Kamera

 

Also orientiert sich Parthenope um. Anstelle von Liebes-Chaos oder Kollateralschäden ihrer Schönheit widmet sie sich dem Studium der Anthropologie und strebt eine Hochschul-Laufbahn an. Mit Erfolg, dank ihres Professors: Marotta (Silvio Orlando) nimmt sie als Mensch ernst und behandelt sie als unabhängigen Geist auf Augenhöhe – zu einer Zeit, in der es für Frauen häufig nicht leicht war, sich in der akademischen Sphäre Achtung zu verschaffen.

 

Was von der Bildsprache scheinbar konterkariert wird: Paolo Sorrentino, der für seine Rom-Elegie „La Grande Bellezza“ 2014 den Auslands-Oscar erhielt, rückt seine Protagonistin immer wieder hyper-erotisierend ins Zentrum, lässt sie verführerisch mit der Kamera flirten und macht den Zuschauer zum Voyeur. Etliche Szenen wirken, als seinen sie Werbespots für Luxus-Produkte der Reichen und Schönen. Ob der Film in solchen Passagen begehrliche Blicke affirmativ oder ironisch-kritisch inszeniert, bleibt uneindeutig.

 

Überstilisierung lässt Bodenhaftung verlieren

 

Neben seiner Heldin spielt Neapel die zweite Hauptrolle – Sorrentino ist gebürtiger Neapolitaner. In diesem Film beschwört er noch einmal das einzigartige Flair einer Stadt, die es so nicht mehr gibt: vom Elend der bassi genannten, feuchten und lichtlosen Erdgeschoss-Wohnungen in der Innenstadt über die sozialen Revolten der 1970er Jahre bis zu paradiesischen Ausblicken auf die Steilküsten der Region, die immer mehr zersiedelt werden.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Loro – Die Verführten" – monumentales Biopic über Silvio Berlusconi von Paolo Sorrentino

 

und hier eine Besprechung des Films "Ewige Jugend" – wunderbare Tragikomödie übers Altern von Paolo Sorrentino 

 

und hier einen Beitrag über den Film "La Grande Bellezza" – herrliche üppige Rom-Hommage + Dekadenz-Kritik von Paolo Sorrentino, prämiert mit dem Auslands-Oscar 2014

 

und hier einen Bericht über den Film "Nostalgia" – eindringliches Neapel-Porträt von Mario Martone.

 

Dass alles so hinreißend aussieht, liegt vor allem an der Kamera von Daria d’Antonio. Mit sonnendurchglühten Einstellungen, satten Farben und detailverliebten Kompositionen setzt sie Architektur, Körper und Landschaften strahlend in Szene. Fast jede Einstellung wirkt wie ein Gemälde – ausgefeilt, betörend und überwältigend. Worin sich aber auch die eingangs erwähnte Schwäche zeigt: Durch visuelle Überstilisierung verliert der Film oft seine Bodenhaftung.

 

Wilder Mix als Geschmackssache

 

Parthenope erscheint weniger als Mensch denn als mythisches Wesen, das unnahbar über den Dingen schwebt. Diese aufreizende Künstlichkeit ermüdet auf Dauer, zumal der Film sich eindeutigen Kategorien entzieht und vieles zugleich sein will: Coming-of-Age, Drama der Leidenschaften, Reflexion über Schönheit und Hymnus auf eine Idealfigur. Ob dieser Mix gefällt, ist letztlich Geschmackssache.

 

Dazu zählt auch eine ungewöhnliche Klanggestaltung. Immer wieder werden sowohl Musik als auch Dialoge und Alltagsgeräusche durch Filtereffekte verfremdet. Manchmal erscheinen sie ganz nah, dann wieder sehr weit weg. Zuweilen ist Musik nur als Brummen im Hintergrund zu hören; manchmal rauscht sie heran wie eine Welle, nur um plötzlich zu verstummen.

 

Akustischer Raum spiegelt Innenwelt

 

Diese Klangereignisse vermitteln Parthenopes Weltwahrnehmung nicht durch Dialoge, sondern über akustische Distanzverhältnisse. Nähe und Fremdheit, Intimität und Entfremdung werden so hörbar gemacht. Eine Frau, die ständig fremden Blicken ausgesetzt ist, hört jedoch genauer hin als andere. Eindrucksvoll etwa, als Parthenope allein am Meer steht: Der Klang zieht sich zurück, ihre Gedanken werden in Schall übersetzt. Der akustische Raum wird zum Spiegel ihrer inneren Welt.