
Wenn das eigene Leben zum bestseller wird: Die 2002 veröffentlichte „Geschichte von Liebe und Finsternis“ soll das meistverkaufte israelische Buch aller Zeiten sein. In 15 Sprachen wurde der autobiographische Roman von Amos Oz übersetzt; darin beschreibt der linkszionistische Erfolgs-Schriftsteller die Welt seiner Kindheit. Oz wurde 1939 in Jerusalem geboren; seine Eltern waren Anfang der 1930er Jahre nach Palästina eingewandert.
Info
Eine Geschichte von Liebe und Finsternis
Regie: Natalie Portman,
95 Min.,Israel 2015;
mit: Natalie Portman, Gilad Kahana, Amir Tessler
Hebräisch-Studien + Litauen-Küche
Mitte der 1940er Jahre ist Palästina noch von britischen Truppen besetzt; die Familie führt ein bescheidenes Leben in Jerusalem. Vater Arieh arbeitet tagsüber in einer Bibliothek und treibt abends Hebräisch-Studien, die keinen so recht interessieren. Mutter Fania bekocht ihre Lieben mit Rezepten aus der litauischen Heimat und beglückt Amos mit erfundenen Geschichten. Manchmal unterbrechen Besuche von Verwandten und Freunden das tägliche Einerlei.
Offizieller Filmtrailer
Mutter versinkt in Depressionen
Dann bricht die große Politik herein: Am 29. November 1947 nimmt die UN-Generalversammlung den Teilungsplan für Palästina an, der einen jüdischen Staat vorsieht. Am Folgetag brechen Kämpfe zwischen arabischen und jüdischen Milizen aus; dieser „Volkswache“ schließt sich auch Bücherwurm Arieh an. Am 14. Mai 1948 erklärt Israel seine Unabhängigkeit – und wird sofort von den arabischen Nachbarländern angegriffen.
Der neue Staat kann sich behaupten, doch seine Lage bleibt prekär. Was Mutter Fania zunehmend bekümmert: Perspektivlosigkeit und Resignation lassen sie in Depressionen versinken. Ihrem Leiden stehen Familie und Freunde hilflos gegenüber. Anstelle von Schlaf- und Schmerz-Tabletten würde eher ein besseres Leben helfen; das kann ihr niemand bieten.
Wie Trümmerfrauen in Europa
Turbulente Weltgeschichte und familiäre Katastrophe werden mit Kinderaugen betrachtet – und sehen aus dieser Perspektive überraschend gleichförmig aus. Von Aufbruchstimmung keine Spur, weder öffentlich noch privat: Das ärmliche Dasein jüdischer Immigranten scheint sich in jenen Jahren kaum von dem im zerstörten Europa zu unterscheiden. Fania und ihre Freundinnen ähneln Trümmerfrauen, die zerbombte Städte aufräumen müssen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films „Am Ende ein Fest“ – warmherzige Sterbehilfe-Tragikomödie aus Israel von Sharon Maymon + Tal Granit
und hier einen Bericht über den Film „Bethlehem“ – brillanter Spionage-Thriller im Nahostkonflikt von Yuval Adler
und hier einen Beitrag über den Film "Knight of Cups" – assoziatives Sinnsucher-Drama von Terrence Malick mit Natalie Portman
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Jahrhundertzeichen – Tel Aviv Museum of Art visits Berlin" mit zeitgenössischer Kunst aus Israel im Martin-Gropius-Bau, Berlin.
Höhenflüge des Geistes als Kopfkino
Was nicht verwundert: Die Qualität der Buchvorlage liegt weniger im plot, als vielmehr in Beobachtungen und Reflexionen. Das wird deutlich, sobald eine Erzählerstimme daraus zitiert: Sie verleiht dem Bilderfluss eine Tiefendimension, die ihm fehlt, solange der Film nur eine familiäre Episode nach der anderen brav nacherzählt. Daran ändern auch atmosphärische Dichte – für größtmögliche Authentizität wurde auf Hebräisch gedreht – und sorgfältige Ausstattung nichts. Zumal Amir Tessler ein selten ausdrucksarmer Kinderdarsteller ist.
Womit Portman die Grenzen von Literatur-Verfilmungen demonstriert: Geht es um mehr als simples storytelling, wird es heikel. Man muss als Regisseur schon über die übersprudelnde visuelle Fantasie etwa eines Terrence Malick verfügen, um für subjektive Empfindungen und abstrakte Spekulationen adäquate Bildideen zu finden, die nicht in Edelkitsch abgleiten. Höhenflüge des Geistes sind eben eine Form von Kopfkino, die sich nur sehr schwer auf die Leinwand bringen lässt.