Querfurt

Ganz großer Trick!

Szenenbild aus dem Animationsfilm "Der siebente Rabe". Foto: (c) FilmBurg Querfurt
Black is beautiful: Vor 100 Jahren schuf Lotte Reiniger ihren ersten Silhouetten-Kurzfilm, 1926 den ersten Animations-Langfilm der Welt. Zum Jubiläum zeigt die FilmBurg eine kleine, feine Schau über das Genre – kuratiert vom letzten praktizierenden Großmeister.

Auf den ersten Blick passen mittelalterliche Burgen und Filmausstellungen kaum zusammen. Allerdings ist die legendäre Epoche der Ritter bis heute Gegenstand zahlreicher Filme und TV-Serien – und dafür werden authentische Drehorte benötigt. Wie die Burg Querfurt in Sachsen-Anhalt, rund 40 Kilometer südwestlich von Halle an der Saale.

 

Info

 

Ganz großer Trick!

 

24.11.2018 - 31.12.2019

täglich außer montags

10 bis 16 Uhr

April – Oktober bis 18 Uhr

im Museum FilmBurg Querfurt, Burgring, Querfurt

 

Weitere Informationen

 

Stolz führt sie den Beinamen „FilmBurg“: Ihre weitläufigen, mehr als 1000 Jahre alten Gemäuer werden häufig für Filmaufnahmen genutzt, etwa für Historiendramen wie „Der Medicus“ (2013) oder Märchen-Adaptionen wie „Die zertanzten Schuhe“ (2011). Deshalb werden dort auch wechselnde Sonderausstellungen zu Film-Themen gezeigt.

 

Am Anfang war verliebtes Herz

 

Anlass für die aktuelle Ausstellung „Ganz großer Trick!“ ist ein Jubiläum: Vor 100 Jahren präsentierte Lotte Reiniger (1899-1981) ihren ersten Silhouetten-Kurzfilm „Ornament eines verliebten Herzens“. Die Berlinerin war eine der frühen deutschen Filmpionierinnen. Zusammen mit ihrem Mann, dem Drehbuchautor und Regisseur Carl Koch, entwickelte sie ab den 1920er Jahren viele Silhouetten-Trickfilme.

Ausschnitt aus dem Animationsfilm "Der siebente Rabe" (2011)


 

Drei Jahre für Achmeds Abenteuer

 

Darunter war auch der mit 66 Minuten Laufzeit erste Animations-Langfilm der Kinogeschichte: „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ von 1926. An diesem opus magnum arbeitete Reiniger mit ihrem Team, zu dem auch der bekannte Experimentalfilmer Walter Ruttmann zählte, drei Jahre lang.

 

Allerdings begann die Geschichte der Silhouetten viel früher: Schattenfiguren und Schattentheater haben in verschiedenen Kulturen der Welt eine lange Tradition. Zudem sind in der Ausstellung diverse optische Apparate zu sehen; die Wunderscheibe, Wundertrommel (Zoetrop) oder das Praxinoskop vermitteln die Illusion bewegter Bilder auch ohne Leinwand.

 

Eine deutsche Spezialität

 

Nach dieser Einführung widmet sich die Schau dem eigentlichen Silhouetten-Trickfilm; er gilt als genuin deutscher Beitrag zum Animationsfilm. Tatsächlich wurde diese Technik, die sehr viel bildliche Fantasie, handwerkliches Können und Geduld erfordert, vor allem in Deutschland ausgefeilt – warum, bleibt offen.

 

Neben Lotte Reiniger als Wegbereiterin des Genres werden auch einige Nachfolger ausführlich vorgestellt: allen voran Bruno J. Böttge (1925-1981) vom DEFA-Studio für Trickfilme in Dresden und sein Schüler Jörg Herrmann (geb. 1941). Die Welt der Silhouetten-Trickfilmer ist überschaubar, mit engen persönlichen Verbindungen.

 

Weltrekord mit 72 Minuten Laufzeit

 

Die Ausstellung ist auffallend didaktisch aufgebaut; sie soll offenbar filmtechnisches und -historisches Basiswissen vermitteln. Gleichzeitig kommt die visuell-sinnliche Seite nicht zu kurz: Über alle Ausstellungswände ziehen sich allerlei verspielte Schattenfiguren in menschlicher und tierischer Gestalt.

 

Sie entstammen der Schere von Jörg Herrmann; der wohl letzte noch praktizierende Großmeister des Genres hat auch diese Ausstellung kuratiert. Noch heute arbeitet der 77-Jährige in seinem kleinen Studio bei Dresden nahezu täglich an seinen Animationen. 2011 schuf er mit „Der siebente Rabe“ über den sagenumwobenen Zauberer Krabat aus der Lausitz den längsten von Hand animierten Silhouetten-Trickfilm der Welt: Er dauert 72 Minuten.

 

Gedreht wird auf der Trickbank

 

Die Schau bietet einen anschaulichen Eindruck, welchen enormen Aufwand diese Animationstechnik macht. Wobei die verwendeten Mittel denkbar einfach sind: Stifte, schwarze Pappe, Schere, Draht und Klebestift. Das Verfahren ist stets das Gleiche. Zuerst schreibt Herrmann ein Exposé, entwirft die Figuren, schneidet sie sorgfältig aus und setzt ihnen Drahtgelenke ein. Dann folgen Storyboard und Drehbuch mit allen Dialogen, bevor der eigentliche Dreh beginnt. Genaue Vorbereitung ist wichtig, weil manuelle Animation so zeitaufwendig ist.

 

Beim eigentlichen Dreh ordnet Jörg Herrmann Figuren und Hintergründe präzise auf der „Trickbank“ an; so heißt ein unterleuchteter Glastisch. Millimeterweise ändert der Animator dann die Position der Figuren; Pinzette, Schere und Klebestreifen hat er stets zur Hand. Eine Digitalkamera, die über dem Leuchttisch an einem Metallgestell befestigt ist, macht von jeder neuen Position ein Bild.

 

Drei-Minuten-Meditation über Ideologie

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die Welt des Schattentheaters - Von Asien bis Europa" - prachtvoll-opulente Überblicks-Schau über Figuren und Techniken weltweit im Linden-Museum, Stuttgart

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Kino der Moderne: Film in der Weimarer Republik" - üppig ausgestattete und souverän inszenierte Gedenkschau in Bonn + Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Traumfabrik – 100 Jahre Film in Babelsberg" im Filmmuseum, Potsdam

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Am Set: Paris - Babelsberg - Hollywood" über Standfotografie seit der Stummfilm-Zeit in der Deutschen Kinemathek, Berlin.

 

Mit einem speziellen Animationsprogramm werden die von ihr aufgenommenen Bilder später am Computer zusammengefügt: Für jede Filmminute sind rund 1500 Einzelbilder nötig. Wenn es gut läuft, schafft ein geübter Animator wie Jörg Herrmann etwa 20 Sekunden Film am Tag. Allein für die Animationen zum Krabat-Film stand er 505 Tage an seiner Trickbank, wie er sagt.

 

Aus diesem Grund sind lange, von Hand animierte Silhouettenfilme sehr selten. Überhaupt haftet dem ganzen Verfahren, das gern für märchenhafte und historische Sujets eingesetzt wird, etwas Nostalgisches an. Zu DEFA-Zeiten wurden vor allem Kurzfilme für Kinder produziert. Dass auch andere Themen denkbar sind, zeigt Herrmanns jüngstes Werk „Denkmal“: eine Meditation über das Kommen und Vergehen von Ideologien in drei Minuten. Sie ist neben anderen Filmen im Minikino der Ausstellung zu sehen.

 

Wetter erzeugt der Computer

 

Besonders schöne Exponate sind hinterleuchtete Glaskästen mit teilweise farbigen Silhouettenfiguren und Hintergründen. Neben diesen eher dekorativen Elementen kommt im letzten Abschnitt zur Sprache, wie sich diese Animationstechnik durch den Einsatz von Computern verändert hat: Mit ihm lassen sich Kulissen oder Effekte wie Regen oder Schnee wesentlich einfacher realisieren.

 

Weitgehend offen bleibt die Frage, in welche Richtung sich das Genre entwickeln könnte, oder ob es angesichts der Dominanz CGI-basierter Animationsfilme künftig nur noch eine Nischenexistenz fristen wird. Was schade wäre: Gerade für Anfänger eignet sich diese Technik gut, um Prinzipien des Animationsfilms zu verstehen. So fordert die Schau ihre Besucher dazu auf, selbst einmal zu Schere und Papier zu greifen.