Es beginnt wie eine geläufige Aussteiger-Story: Der junge Schweizer Bruno Manser (Sven Schelker) reist 1984 nach Sarawak, in den malaysischen Teil der Insel Borneo – da hat der zivilisationsmüde 29-Jährige schon Phasen als Almhirte in den Alpen und Höhlenforscher hinter sich. Auf der Tropeninsel will er sich den Penan anschließen: einem mitten im Dschungel nomadisch lebenden Volk mit rund 10.000 Mitgliedern.
Info
Die Stimme des Regenwaldes –
Die wahre Geschichte von Bruno Manser
Regie: Niklaus Hilber,
141 Min., Schweiz 2020;
mit: Sven Schelker, Nick Kelesau, Elizabeth Ballang
Straßensperren gegen Holzfäller
Doch die prähistorische Idylle währt nicht lange. Holzfäller, die mit monströsen Maschinen ganze Landstriche kahl roden, schnüren den Lebensraum der Penan immer mehr ein. Um ihn zu bewahren, legt sich Manser mit den Holzfirmen an und überzeugt sein Gastvolk, den Abtransport gefällter Stämme mit Straßensperren zu blockieren. Hinter den Holzfällern steht jedoch Malaysias Regierung, die mit Exporterlösen die Wirtschaft ankurbeln will.
Offizieller Filmtrailer
Dschungel-Reise ohne Wiederkehr
Das folgende Tauziehen macht ausländische Pressevertreter auf den Konflikt aufmerksam. Der Fotoreporter James Carter-Long (Matthew Crowley) bietet sich als Mittelmann an, verrät aber die Sache der Penan. Manser wird verhaftet. Zwar kann er flüchten, muss jedoch in die Schweiz zurückkehren, um von dort aus den Kampf gegen die Abholzung des Regenwalds fortzusetzen.
Ihm stehen zehn zermürbende Jahre bevor. Öffentliche Aktionen seiner kleinen NGO erregen Aufsehen, doch die nationale und internationale Bürokratie lässt ihn abtropfen. Audienzen bei den Mächtigen dieser Welt bewirken wenig; nicht einmal der Tipp des UNO-Generalsekretärs fruchtet, eine Kampagne für die Einführung eines Standards zur Tropenholz-Zertifizierung zu organisieren. Schließlich will Manser die fraglichen Gebiete auf Borneo genau kartieren, um den Penan Landrechte zu sichern – doch von seiner letzten Reise in den Dschungel kehrt er nicht mehr zurück.
Keine Schwarz-Weiß-Sicht
In der Schweiz war und ist sein Wirken geläufig; mit ihm beschäftigten sich bereits zwei lange Dokumentar- und ein Kurzfilm. Der Spielfilm von Regisseur Niklaus Hilber hat das Zeug, Manser auch hierzulande über Umweltschützerkreise hinaus bekannt zu machen: Sein atemberaubend wechselvolles Schicksal wird als ergreifendes Kino-Epos erzählt, ohne es durch Klischees zu verkitschen.
Viele Dokus und Spielfilme über Öko-Themen kranken an ihrem schlichten Gut-Böse-Schema: Weltenretter gegen Ausbeuter und Zerstörer. Diese Schwarz-Weiß-Sicht unterläuft Regisseur Hilber, indem er beide Seiten aus der Binnensicht darstellt, weil sein Protagonist zwischen den Fronten pendelt. Er zieht los als einfühlsamer Ethnologe, verwandelt sich in einen archaisch lebenden Asketen – und zurück in einen unermüdlichen Aktivisten, der die Mächtigen politisch oder juristisch ausmanövrieren will.
Glaubwürdig vergrübelter Zauderer
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Vergiftete Wahrheit (Dark Waters)" – fesselndes Dokudrama über Umweltschutz-Anwalt gegen Chemieriesen von Todd Haynes
und hier eine Besprechung des Films "Monos – Zwischen Himmel und Hölle" – bildgewaltiges Guerilla-Epos im kolumbianischen Dschungel von Alejandro Landes
und hier einen Beitrag über den Film "Der Schamane und die Schlange – Embrace of the Serpent" – brillant vielschichtiges Kolonialdrama im Amazonas-Urwald von Ciro Guerra
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Flussaufwärts: Die Borneo-Sammlung Hilde May" mit Objekten indigener Dayak-Völker im Völkerkundemuseum Heidelberg.
Am sinnfälligsten wird der clash of cultures in der Konfrontation mit den Holzfällern: Deren braune Transportpisten fressen sich wie Tentakel ins grüne Baummeer hinein, der Kahlschlag breitet sich wie eine Wüste aus – doch spirrlige Bambus-Gestänge genügen, um die Vernichtungsorgie anzuhalten, zumindest zeitweise. Mittendrin ein fast nackter Europäer, der auf Englisch verhandelt: Sven Schelker spielt ihn völlig unheroisch als vergrübelten Zauderer, der mit sich hadert – und darum umso glaubwürdiger.
Finger weg von Tropenholz!
Dass Regisseur Hilber ein paar Glättungen vornimmt, um die Geschichte leinwandkompatibel zu machen: geschenkt! Die Liebesbeziehung zur schönen Ubung ist nicht belegt; der UNO-Chef, den Manser traf, war Kofi Annan und nicht Boutros Boutros-Ghali; das Notizbuch, das er im Dschungel führt, bleibt verdächtig fleckenlos und seine filigrane Nickelbrille bei allen Turbulenzen stets heil.
Dagegen gelingt es dem Regisseur bewunderungswürdig, Mansers Taktieren und Feilschen mit Offiziellen nachvollziehbar und fesselnd zu inszenieren. Und sein wildes Naturmenschen-Leben im Dschungel sowieso: Gedreht wurde in situ mit Penan auf Borneo, trotz all der damit verbundenen Beschwernisse. Wer diesen Film gesehen hat, wird kaum je wieder Möbel aus Tropenholz kaufen.