Über fehlende Chancengleichheit für Migranten im Bildungssektor wird in Frankreich schon länger diskutiert als hierzulande. Auch das französische Kino verhandelt das Thema eigentlich in fast jeder Culture-Clash-Komödie. 2017 machte Regisseur Yvan Attal daraus eine feinsinnige Dramödie: Er spannte in „Die brillante Mademoiselle Neïla“ eine algerischstämmige Studentin mit einem hochmütigen Professor zusammen; beide lieferten sich pointierte Wortgefechte.
Info
Contra
Regie: Sönke Wortmann,
103 Min., Deutschland 2020;
mit: Christoph Maria Herbst, Nilam Farooq, Ernst Stötzner
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Zu spät beim ersten Auftritt
In die Einführungsvorlesung für Jura-Erstsemester von Starprofessor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) platzt Jura-Studentin Naima Hamid (Nilam Farooq) verspätet in den vollen Hörsaal hinein. Der Ehrerbietung gewohnte Herr fühlt sich gestört. Er beleidigt die junge Frau vor allen Zuhörern mit einer rassistischen Bemerkung; im Internet-Zeitalter wird derlei sofort viral verbreitet.
Offizieller Filmtrailer
Von Paris nach Frankfurt verlegt
Das kann die Uni-Leitung nicht ignorieren. Sie verdonnert den misanthropischen Professor dazu, die gekränkte Studentin auf einen prestigeträchtigen Debattier-Wettbewerb deutscher Universitäten vorzubereiten. Viele Chancen billigt man ihr nicht zu; stattdessen soll Pohl die Gelegenheit bekommen, sich reinzuwaschen, bevor er vor dem akademischen Disziplinarausschuss antreten muss. Davon weiß Naima nichts; also lässt sie sich widerwillig auf das Angebot ein. So unsympathisch Pohl auch sein mag – sie kann viel von ihm lernen.
Die Ausgangskonstellation übernimmt Wortmann originalgetreu von der französischen Vorlage, deren dramaturgischem Gerüst er ebenfalls folgt. Einzelheiten sind jedoch an deutsche Verhältnisse angepasst; so wird die Handlung aus Paris nicht nach Berlin, sondern in die Rhein-Main-Metropole verlegt. In der deutschen Großstadt mit dem höchsten Anteil migrantischer Einwohner prallen die Lebenswelten biodeutscher Wohlstandsbürger und beengt in Wohnsilos hausender Zuzügler kontrastreicher aufeinander.
Zwischen Uni + Essen beim Italiener
Mit viel Sorgfalt schildert der Film Naimas Lebensverhältnisse zwischen resigniertem Teenager-Bruder und einer Mutter, die für ihre McJobs überqualifiziert ist. Geld ist immer knapp, der Aufenthaltsstatus der Familie fragil. Seine Einbürgerung kann vorerst nur Naimas Sandkastenfreund Mo (Hassan Akkouch) feiern, der schon lange ein Auge auf sie geworfen hat. Pohls einsames Dasein spielt sich hingegen zwischen Uni und seinem Lieblingsitaliener ab, bei dem er allabendlich speist.
Ihren Studienplatz hat sich Naima hart erkämpft. Sie ist nie um eine schlagfertige Antwort oder einen kessen Spruch verlegen; allerdings ist ihre Ausdrucksweise nicht so raffiniert, dass man sie in akademischen Kreisen wirklich ernst nehmen würde. Pohl erkennt aber rasch ihr rhetorisches Talent und fordert sie heraus, indem er sie mit Klischees über Herkunft und Status konfrontiert: Kopftuch, Burka oder Unterschichts-Kleidungsstil.
Guter Wille statt Überraschungen
Das ungleiche Duo aus arrogantem Professor und so redegewandter wie großherziger Studentin harmoniert verblüffend gut. Herbst gelingt es, beim Zyniker Pohl verborgene Wärme durchscheinen zu lassen – ihn plagt der Schmerz eines traumatischen Erlebnisses. Tatsächlich ist es der Schmerz, der die beiden gegensätzlichen Charaktere miteinander verbindet; dadurch lernen sie, sich gegenseitig zu respektieren. Allerdings verläuft ihre Annäherung sehr reibungslos.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die brillante Mademoiselle Neïla" - geistreiche Tragikomödie über eine Studentin als Rhetorik-Ass von Yvan Attal; der französische Film war die Vorlage für "Contra"
und hier eine Besprechung des Films "Der Vorname" - witzige Tragikomödie über bürgerliche Milieus von Sönke Wortmann mit Christoph Maria Herbst
und hier einen Bericht über den Film "Schoßgebete" - Verfilmung des Bestsellers von Charlotte Roche als Sex-Neurosen-Chronik von Sönke Wortmann.
Verlustreicher Kulturtransfer
Da versteht sich quasi von selbst, dass sie beim Debatten-Wettbewerb an keiner Hürde strauchelt und eine Runde nach der anderen gewinnt, bis sie im Bundesfinale steht. Auch die Enthüllung, dass Pohl sich ihrer nur angenommen hat, um seiner Suspendierung vorzubeugen und seine Karriere zu retten, kann ihren Siegeszug nur kurz aufhalten. Die Zulassung als Anwältin wird zum verdienten Lohn für ihre Mühen. Das geht alles arg glatt; bei Bedarf helfen kleine Tanzeinlagen zum Stressabbau.
Man mag Regisseur Wortmann zugute halten, dass er sein Sujet weder als Sittenkomödie noch als Problemdrama abhandelt, sondern Bildungsgefälle und soziale Mobilität mit den nötigen Zwischentönen behandelt. Doch sein Bemühen, allen gesellschaftlich relevanten Aspekten gerecht zu werden, wirkt etwas bemüht. Eloquenz und rhetorische Brillanz des Vorbilds gehen dabei flöten – wie meist, wenn Deutsche französische Kultur und Lebensart nachahmen wollen.