Ein Film aus dem Kosovo kommt hierzulande selten in die Kinos – und noch seltener auf die Shortlist mit 15 Kandidaten für den Auslands-Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film. Regisseurin Blerta Basholli ist das mit ihrem Spielfilmdebüt gelungen; eine kleine Sensation. Zehn Jahre hat die Kosovarin daran gearbeitet; die Handlung folgt dem realen Vorbild einer Frau, die sich gegen viele Widerstände durchzusetzen weiß.
Info
Hive
Regie: Blerta Basholli,
84 Min., Schweiz/ Albanien/ Nordmazedonien/ Kosovo 2021;
mit: Yllka Gashi, Çun Lajçi, Aurita Agushi, Kumrije Hoxha
Weitere Informationen zum Film
Schwiegerpapa sein dagegen sehr
Staatliche Finanzhilfen stopfen nur die größten Löcher. Den Führerschein zu machen, bringt Farhije weiter; das wird zudem von einer Fraueninitiative unterstützt. Doch ihrer Familie und vor allem dem Schwiegervater erzählt sie davon lieber nichts: Er ist wie die meisten Dorfbewohner der Ansicht, dass eine Witwe nur im Haus arbeiten und ihre Schwiegereltern ehren – also mit durchbringen solle.
Offizieller Filmtrailer
Autofahrerin führt Übles im Schilde
Farhije schmiedet aber große Pläne: Sie will ihren selbstgemachten, allseits gelobten Ajvar – ein Würzpüree aus Paprika und Auberginen – in großem Stil in der Stadt verkaufen. Einen Supermarktbetreiber konnte sie bereits überzeugen, ihre Einweckgläser ins Sortiment aufzunehmen. Doch erwartungsgemäß versuchen vor allem die alten Herren im Dorf, ihr Vorhaben mit allen Mitteln zu torpedieren: Sie halten Farhijes Initiative für unehrenhaft.
Dass eine Frau eigene Interessen oder Talente hat, ist in ihrer patriarchalisch-muslimischen Vorstellungswelt nicht vorgesehen. Überdies kann eine Frau, die allein mit dem Auto in die sündige Stadt fährt, nur Schlechtes im Schilde führen. Vom Alleingang ihrer Mutter sind auch ihre Kinder nicht begeistert. Aber Farhijes Beharrlichkeit beschert ihr immer mehr Unterstützung, vorwiegend bei den Frauen im Dorf.
Suche nach Gefallenen-Gebeinen
Filme über die Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren und deren Folgen gibt es einige; auch aus Frauenperspektive, wie zuletzt „Quo Vadis, Aida?“ von der bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanić. Meist sind sie aber sehr dramatisch oder reißerisch angelegt. Die Herangehensweise von Regisseurin Basholli ist anders: Fast dokumentarisch verfolgt sie den Weg ihrer anfangs verhärmten Hauptfigur, die Leichensäcke mit exhumierten Gebeinen öffnet, um darin Überreste ihres Mannes zu suchen, hin zur selbstbewussten Kleinunternehmerin. Als universelle Parabel über den Umgang mit Schicksalsschlägen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Quo vadis, Aida?" - aufwühlender Bosnienkriegsfilm über das Massaker von Srebrenica 1995 von Jasmila Žbanić, prämiert als bester Film mit dem Europäischen Filmpreis 2021
und hier eine Besprechung des Films "Vater - Otac" - ergreifendes serbisches Familiendrama von Srdan Golubović
und hier einen Beitrag über den Film "Enklave" – Drama über Jungen im serbisch-albanischen Kosovo-Konflikt von Goran Radovanović
und hier einen Bericht über den Film "Babai – Mein Vater" – bewegend kühles Drama über einen jungen Kosovo-Emigranten von Visar Morina.
Erfolgreiche Agrar-Managerin
Behutsam begleitet Basholli ihre Hauptfigur bei ihrer Identitätsfindung, während sie allmählich ihre eigenen Stärken entdeckt. Beiläufig beschreibt sie aber auch die Probleme der bisher tonangebenden Herren, die sich damit abfinden müssen, etwas von ihrer für sicher gehaltenen ökonomischen Macht zu verlieren.
Dabei setzt die Regisseurin alle Facetten von tiefer Verzweiflung über Trotz bis zu ausgelassener Freude glaubhaft in Bilder um, die beim Betrachter nachhallen – wenn etwa alle Dorffrauen nach etlichen Stunden Ajvar-Kochen gemeinsam tanzen und feiern. Wie man im Abspann erfährt, leitet das reale Vorbild Farhije inzwischen einen gutgehenden Agrarbetrieb, der vorrangig Frauen beschäftigt.