Christopher Nolan

Oppenheimer

J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) läßt sich feiern. Foto: Universal Pictures International Germany
(Kinostart: 20.7.) Falsches Spiel mit dem Atombomben-Vater: In seinem ersten Biopic will Christopher Nolan alles anders als seine Vorgänger machen. Er erzählt das Leben des Mannes, der verlernte die Bombe zu lieben, als Kaleidoskop aus Rückblenden – und landet bäuchlings auf dem harten Boden eines Justizdramas.

Die Atombombe ist ein Kind vieler Väter und übrigens auch Mütter. Doch wenn vom „Vater der Bombe“ die Rede ist, dann in der Regel von Julius Robert Oppenheimer. Der US-amerikanische Physiker war wissenschaftlicher Leiter des „Manhattan Projects“ sowie des ersten Atombombentests in der Wüste von New Mexico. Seine Aufgabe war es, die Arbeit der verschiedenen beteiligten Wissenschaftler zu koordinieren, die in fieberhafter Eile die Superwaffe konstruieren sollten.

 

Info

 

Oppenheimer 

 

Regie: Christopher Nolan,

180 Min., USA/ Großbritannien 2023;

mit: Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Robert Downey Jr.

 

Weitere Informationen zum Film

 

Zunächst ging es darum, Nazi-Deutschland zuvorzukommen. Nach dessen Niederlage sollten damit die Japaner zur Kapitulation gezwungen werden, und schließlich ging es darum, die Sowjetunion einzuschüchtern. Angesichts des atomaren Wettrüstens und der Entwicklung der um ein Vielfaches verheerenderen Wasserstoffbombe schwor Oppenheimer vom Glauben ab, die Bombe könne Kriege künftig verunmöglichen, und wurde dafür vom antikommunistischen Zeitgeist mundtot gemacht.

 

Neuerzählung des Altbekannten

 

All das gehört – wie die Mayflower, der Wilde Westen und die Mondlandung – zum Kanon der US-amerikanischen Geschichtsmythen. Dementsprechend präsent ist Oppenheimer in Dokumentationen und Kino- oder TV-Spielfilmen über die Entwicklung von „Fat Man“ und „Little Boy“, jenen zwei Bomben, die im August 1945 Hiroshima und Nagasaki zerstörten.

Offizieller Filmtrailer


 

Keine Action, keine Wegweiser

 

Doch „Oppenheimer“ ist nicht nur der jüngste in einer Reihe von Oppenheimer-Filmen, sondern auch der neue Film von Christopher Nolan. Von ihm wird seit seinem Action-Palindrom „Tenet“ (2020) erwartet, mit einem Sommerblockbuster nicht nur ein Studio, sondern gleich die komplette Kino-Industrie zu retten. Überraschenderweise fiel dabei die Wahl auf einen Stoff, der ganz ohne Action-Sequenzen auskommen muss. Abgesehen von der größtmöglichen denkbaren Action-Sequenz: einer Atombombenexplosion.

 

Doch bevor es dazu kommt, gibt es viel zu erzählen. Und Nolan, der sich selbst als unkonventioneller Erzähler etabliert hat, rollte die Geschichte von vorne und hinten gleichzeitig auf. Er verweigert dabei die Wegweiser, die Filme mit vielen historischen Persönlichkeiten und Begebenheiten normalerweise aufstellen: Orts-, Zeit- oder Personenangaben werden nicht eingeblendet. Orientierung bieten allein die künstliche Alterung der Darsteller und die Farbpalette der jeweiligen Zeitebene.

 

Die Enden der Parabel

 

Interessanterweise ist Oppenheimers (Cillian Murphy) Vergangenheit bunt. Die in IMAX-Schwarzweiß gedrehten Szenen dagegen schildern die Zeit des Kalten Krieges aus der Perspektive seines späteren Vorgesetzten Lewis Strauss (Robert Downey Jr.). Der Mann war Chef der Atomenergiekommission UAEC und berief den in Ungnade gefallenen Oppenheimer für ein Gnadenbrot an die Universität von Princeton – immerhin an der Seite von dessen altem Bekannten Albert Einstein.

 

Die Begegnung der drei Männer bildet Anfang und Ende einer erzählerischen Parabel, deren Scheitelpunkt der erfolgreiche Test der Bombe in Los Alamos ist. Auf dem Weg dorthin werden unzählige andere Charaktere eingeführt: zum Beispiel General Groves (Matt Damon), der militärische Leiter des Projekts, und der ungarische Physiker Edward Teller, der Oppenheimer später mit seiner H-Bombe den Rang ablaufen sollte. Wir lernen Oppenheimers Bruder kennen,  seine Frau (Emily Blunt) und die andere Liebe seines Lebens, Jean Tatlock (Florence Pugh). Die Mitgliedschaft der drei Letztgenannten in der kommunistischen Partei wird seinen Sturz beschleunigen.

 

Historischer Sekundenbruchteil

 

Es ist ein Sturz aus großer Höhe. Für einen Moment sah es wirklich so aus, als hätte Oppenheimer die Waffe geschaffen, die nicht nur einen, sondern „alle Kriege“ beenden würde. Auf diesem Paradoxon kaut der Protagonist auch ausdauernd herum. Der Film gewährt dabei Einblicke in seine Gedankenwelt: wirbelnde Sterne und Atome, erzeugt mit analogen Filmeffekten, unterlegt mit digitalem Grummeln, das leider auch einige Dialogzeilen unter sich begräbt. Wenn es auf der Tonspur nicht bedrohlich brodelt, sorgen Streicher-Tremoli für die Spannung, welche die Bilder allein nicht erzeugen.    

 

Dennoch gelingt es der sprunghaften Montage, zu fesseln wie ein ordentlich geschriebener Roman. Das reicht zumindest bis zum Höhepunkt, der ersten Zündung einer Atombombe, bei der Nolan auf digitale Großbildmalerei verzichtet. Stattdessen bricht er den Bruchteil einer Sekunde in eine Reihe subjektiver Einzelmomente auf. Der Knall ist noch unterwegs, für einen langen Moment ist nur der Atem der Beobachter zu hören. Die folgenden Aufnahmen der Feuersäule ähneln fast aufs Haar den Original-Filmaufnahmen von 1945, ohne sie überbieten zu wollen. Die schreckliche Majestät des Atompilzes wird von der Kamera fast ganz ausgespart.

 

Der amerikanische Prometheus

 

Stattdessen nistet sich das Erlebnis in Oppenheimers Unterbewusstsein ein. Fortan wird er von Visionen verbrennender, verstrahlter Opfer heimgesucht. Allesamt Amerikaner, versteht sich. Die Perspektive anderer Erdbewohner (Japaner zum Beispiel) glänzt in diesem Film durch Abwesenheit. Es gibt einen Briten, aber der entpuppt sich als sowjetischer Agent. Diese ausschließlich auf US-Angelegenheiten verengte Sicht wird noch tunnelartiger, während der Film sich durch sein letztes Drittel quält.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Tenet" – komplex-absurder Sci-Fi-Actionthriller von Christopher Nolan

 

und hier eine Besprechung des Films "Abenteuer eines Mathematikers" – Biopic über Stanisław Ulam, jüdischer Mathematiker aus Polen und Miterfinder der Wasserstoffbombe, von Thor Klein

 

und hier einen Bericht über den Film "Interstellar" – visuell überwältigendes Sci-Fi-Epos in fünf Dimensionen von Christopher Nolan

 

und hier einen Beitrag über den Film "Dunkirk" – monumentales Echtzeit-Epos über die Evakuierung britischer Truppen im Zweiten Weltkrieg von Christopher Nolan.

 

Die bekanntesten von Oppenheimers Zitaten und Leistungen auf dem Gebiet der Physik sind zu dem Zeitpunkt bereits brav abgearbeitet. Nolans Film basiert auf der Biographie „American Prometheus“ der Autoren Kai Bird und Martin J. Sherwin. Deren anscheinend dringlichstes Problem entwickelt sich nun zur Kernfrage des Films: wer genau den inzwischen geläuterten Physiker ans Messer lieferte und dafür sorgte, dass ihm die Sicherheitsfreigabe entzogen wurde.

 

Das Spektakel fällt aus

 

Die Folge ist, dass die Erzählung auf dem sicheren Boden des Hollywood-Justizdramas bauchlandet, mit den üblichen Vorladungen, Verleumdungen, Anhörungen und Verschwörungen. Das wäre alles weniger frustrierend, ginge es nicht auch mit der Degradierung der weiblichen Hauptrollen einher. Erst jetzt fällt auf, dass mit Emily Blunt eine Schauspielerin dabei ist, die mehr als Stichworte liefern kann. Sie bekommt dafür genau eine Szene. Die bedauernswerte Florence Pugh, die immerhin einen der interessantesten Charaktere spielt, muss in allen ihren Szenen die Brüste zeigen.

 

Fazit des dreistündigen Unternehmens: Das Spektakel ist ausgefallen, James Camerons Vision in „Terminator 2“ (1991) bleibt die eindrucksvollste A-Bombenexplosion im Kino. Cillian Murphy sieht wegen seiner blauen Augen wirklich aus wie J. Robert Oppenheimer, ist aber nicht der beste Darsteller in diesem Wimmelbild der Stars in Nebenrollen. Robert Downey Jr. stiehlt ihm die Show, auch wenn niemand außerhalb New Englands weiß, wen er da spielt. Aber außer einer professionellen Neuauflage US-amerikanischer Geschichtsschreibung hat der Film recht wenig zu bieten.