Valeria Bruni Tedeschi

Forever Young

Besprechung nach der Theaterprobe: Unter der Regie von Patrice Chéreau (Louis Garrel) bringt die Studentengruppe Tschechows „Platonow“ auf die Theaterbühne. © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 17.8.) Jung und naiv: Einmal mehr widmet sich Valeria Bruni Tedeschi als Autorenfilmerin ihrem eigenen Lebenslauf. Doch ihre nostalgische Aneinanderreihung von Anekdoten, Dramen und Klischees aus der Schauspielschule zerfranst zum verklärenden Ego-Trip.

Als Stella (Nadia Tereszkiewicz) beim Vorspielen für einen Studienplatz an der  Schauspielschule des „Théâtre des Amandiers“ eine sehr leidenschaftliche Darbietung abliefert, fragt die Jury zurück: „Sind Sie der Meinung, Sie müssten Exhibitionistin sein, um Schauspielerin zu werden?“ Das lässt die schmollmundige junge Frau zunächst in Tränen ausbrechen. Doch offenbar wird genau das von ihr gefordert: Sie bekommt den begehrten Platz. So wie einst auch Valeria Bruni Tedeschi.

 

Info

 

Forever Young

 

Regie: Valeria Bruni Tedeschi,

126 Min., Frankreich 2022;

mit: Nadia Tereszkiewicz, Sofiane Bennacer, Louis Garrel

 

Weitere Informationen zum Film

 

Bekannt wurde sie als Schauspielerin, etwa in Dramen von Regisseur François Ozon wie „5×2 – Fünf mal zwei“ (2004) oder „Die Zeit die bleibt“ (2005). Seit zwei Jahrzehnten arbeitet sie zudem als Regisseurin. In ihrem siebten Film „Forever Young“ verarbeitet sie einmal mehr Autobiographisches. Ihn ihrem Debüt, der ironischen Komödie „Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr …“ (2003) widmete sie sich beispielsweise den Sinngebungs-Problemen einer reichen Frau.

 

Jugend an der Schauspielschule

 

Bruni Tedeschi selbst wurde 1964 in eine italienische Industriellenfamilie hineingeboren; ab 1973 wuchs sie in Frankreich auf, wohin ihre Familie umgezogen war, weil Terroristen der „Brigate Rosse“ sie mit Entführung bedroht hatten. Mit der Dramödie „Forever Young“ schildert sie nun ihre Zeit an der Schauspielschule in Nanterre, einem Vorort von Paris. Das „Théâtre des Amandiers“ gehörte damals zu den avantgardistischen Bühnen Frankreichs. Die quirlige, etwas naive Stella, die zuhause ihr Frühstück von einem Butler ans Bett gebracht bekommt, lässt sich dabei unschwer als Alter Ego der Regisseurin erkennen.

Offizieller Filmtrailer, OmU


 

Kleine Dramen, große Krisen

 

Zwar soll der Film auch eine Milieustudie sein, doch das Drehbuch interessiert sich wenig für die künstlerische Entwicklung der jungen Schauspieler. Sie feiern vor allem ihre Jugend; im Vordergrund steht Zwischenmenschliches. Erste Station der Ausbildung ist ein Workshop am „Lee Strasberg Theatre & Film Institute“ in New York. Dort kommen Stella und ihr enigmatischer Mitstudent Etienne (Sofiane Bennacer) zusammen – obwohl sie gut daran täte, einen großen Bogen um den weinerlichen Draufgänger zu machen, der überdies noch ein Drogenproblem hat.

 

Zurück in Nanterre beginnt die Truppe mit den Proben für „Platonow“, einem Stück aus dem Frühwerk des russischen Klassikers Anton Tschechow. Zu den kleinen Dramen, den Rivalitäten und Liebeleien, kommen nun auch große Krisen: die Aids-Pandemie beispielsweise, sowie harte Drogen, die an dieser Schule auch von den Lehrkräften konsumiert werden. Trotz tragischer  Momente geht es Bruni Tedeschi vor allem darum, das Lebensgefühl der 1980er Jahre einzufangen. Teilweise gelingt das und sorgt für durchaus charmante Momente in diesem nostalgiegetränkten Rückblick. Vieles wirkt allerdings banal und plakativ; nicht selten leidet die Plausibilität.

 

Antiquiertes Pathos

 

Weil in der Schauspielklasse jeder mit jedem schläft, sorgt etwa eine Aids-Erkrankung für Panik unter den Studierenden. Doch die Entwarnung folgt auf den Fuß – potenziell Dramatisches wird stets schnell glattgebügelt. Lieber wirft die Regisseurin einen romantisierenden Blick auf die Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Leben, die die Studenten durchleben. Dahinter steckt ein antiquiert anmutendes Pathos: Der Exzess gilt hier als zentrales Werkzeug des Künstlers, und private Dramen taugen immerhin zur kreativen Wertschöpfung. Sogar ein schockierender Trauerfall wird hier zum künstlerischen Treibstoff.

 

Hintergrund

 

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und hier einen Beitrag über den Film "Die Magnetischen" – wunderbar stimmiges Jugendkultur-Panorama Anfang der 1980er Jahre in Frankreich von Vincent Maël Cardona.

 

Leider verliert man darüber das Interesse an den Figuren. Es fehlt schlichtweg an wirklich eigenen Geschichten, an Herzblut und Identifikations-Momenten, wie es sie etwa im thematisch ähnlich gelagerten Musical-Film „Fame – Der Weg zum Ruhm“ (1980) gab. Darin ließ der Regisseur Alan Parker eine Gruppe Studenten der New Yorker High School of Performing Arts ihr eigenes, dramatisch zugespitztes Leben spielen.

 

Sexuelle Übergriffe der Lehrer

 

Ihre Kommilitonen von damals hat Bruni Tedeschi fiktionalisiert, auch wenn Anspielungen auf real existierende Kollegen und Kolleginnen wohl intendiert sind. Doch vor allem bietet ihre bunte Truppe jede Menge Kulturbetriebs-Klischees: der sensible Träumer ist ebenso vertreten wie das schwärmerische Fan-Girl und der schwierige Einzelgänger. Lediglich die Lehrkräfte werden unter echten Namen eingeführt: der legendäre, 2013 verstorbene Regisseur Patrice Chéreau (Louis Garrel) und sein Assistent Pierre Romans (Micha Lescot), der 1990 an einer Überdosis starb. Doch auch da wird einiges geschönt.

 

Zwar werden Chéreaus sexuelle Übergriffe nicht verschwiegen. Zudem trägt Romans im Film einer Studentin eine ersehnte Rolle an, erwartet dafür aber erotische Gegenleistungen. Diese Vorfälle stehen hier nicht für problematische Machtstrukturen, sondern haben allenfalls anekdotischen Wert. So schaut man anfangs der überbordenden Energie der Truppe durchaus mit Vergnügen zu. Doch bald führen immer neue Verwicklungen zur Abstumpfung. Am Ende bleibt nur, der mit Nebensträngen überfrachteten Handlung beim Zerfasern zuzusehen.