Niels Arden Oplev

Rose – Eine unvergessliche Reise nach Paris

Inger (Sofie Gråbøl) begleitet ihre Schwester Ellen (Lene Maria Christensen) und deren Mann Vagn (Anders W. Berthelsen) auf einen Kurztrip nach Paris. Fotoquelle: Kinofreund
(Kinostart: 28.9.) Schizophrene sind nie allein: Eine Betroffene fährt mit Schwester und Schwager im Reisebus nach Paris. Was überraschend rund läuft – seine Dramödie erzählt der dänische Regisseur Niels Arden Oplev voller Sympathie für die Akteure. Kein Wunder: Vorbild für die Story war seine Familie.

„Ich heiße Inger und bin schizophren“, sagt die Anfangsvierzigerin (Sofie Gråbøl). Nach dieser eindeutigen Ansage klingeln bei der dänischen Reisegruppe, die im Bus nach Paris fährt, die Alarmglocken. Die bunt zusammengewürfelte Gesellschaft ist wild entschlossen, sich eine schöne Zeit in der Seine-Stadt zu machen, und reagiert sehr unterschiedlich auf Ingers Mitteilung; die meisten mit Ignoranz, manche mit Mitgefühl.

 

Info

 

Rose –
Eine unvergessliche Reise nach Paris

 

Regie: Niels Arden Oplev,

106 Min., Dänemark 2022;

mit: Sofie Gråbøl, Lene Maria Christensen, Anders W. Berthelsen

 

Weitere Informationen zum Film

 

Die Reise hat Vagn (Anders W. Berthelsen) organisiert, der neue Mann von Ingers jüngerer Schwester Lene (Lene Maria Christensen). Als optimistischer Gemütsmensch macht er sich keine Sorgen, dass auf dieser Fahrt etwas schiefgehen könnte. Dagegen hat Inger selbst Vorbehalte; sie hat schon lange nicht mehr die vertraute Umgebung ihrer betreuten Wohngruppe verlassen. Außerdem blickt sie Paris, wo sie vor zwei Jahrzehnten gelebt hat, mit gemischten Gefühle entgegen.

 

Unverblümte Selbstauskünfte

 

Nur die Sicherheit, dass sie genug Medikamente und Valium im Gepäck hat, lässt sie dennoch in den voll besetzten Bus steigen. Im Gegensatz zu ihren aufgekratzten Mitreisenden sitzt sie seltsam zusammengekauert da und schaut niemanden direkt an. Bis sie nach dem Bordmikrophon greift: So unverblümt Inger über ihre Krankheit spricht, so ungefiltert äußert sie auch ihre Gedanken und Gefühle, was meistens mit betretenem Schweigen aufgenommen wird.

Offizieller Filmtrailer


 

Balance zwischen Ernst + Albernheit

 

Bei ihr kann von der sprichwörtlichen skandinavischen Zurückhaltung keine Rede sein; das wird im Verlauf der Fahrt bei den Mitreisenden manchen Konflikt, der schon vorher schwelte, offen zutage treten lassen. Inger wird auf dieser Reise aber auch ihren eigenen Dämonen begegnen: Der frühere Paris-Aufenthalt hat wahrscheinlich ihre Erkrankung ausgelöst.

 

Diese Konstellation böte Stoff für große Gefühlsdramen. Der dänische Regisseur Niels Arden Oplev macht aber aus dieser Geschichte, die in ähnlicher Form tatsächlich passiert ist, eine leichtfüßige Tragikomödie mit ausgewogener Balance zwischen Ernst und unbeschwerten, sogar albernen Momenten. Das mag daran liegen, dass er im Grunde eine Episode erzählt, die sich in seiner eigenen Familie zugetragen hat.

 

Freundschaft mit Zwölfjährigem

 

Er hat auch die realen Namen seiner Schwestern beibehalten; andere Details dürften erfunden sein. Der Zeitpunkt der Reise 1997, nur wenige Wochen nach dem tödlichen Autounfall von Lady Diana, stimmt jedoch. So schwingt in diesem Film auch ein wenig Zeitgeschichte mit. Auf die Stimmung der Reisegesellschaft wirkt sich dieses historische Unglück aber keineswegs aus.

 

Eher macht sich die Übellaunigkeit des verkniffenen Vize-Schuldirektors Skelbæk bemerkbar. Er beobachtet mit Argwohn, dass sein zwölfjähriger Sohn Christian sich mit Inger gut versteht, weil er als einziger ihr unvoreingenommen und neugierig Fragen stellt. Das traut sich kein anderer Mitreisender – wohl auch aus Furcht vor viel zu ehrlichen Antworten.

 

Zu dritt unter einer Decke schlafen

 

Als der Reisebus in Paris eintrifft, bekommt Inger das kaum mit. Stattdessen erinnert sie sich ausgiebig an ihre Zeit in der Stadt vor zwanzig Jahren – an ihr damaliges, unbeschwertes Ich. Sie wird auch dem Mann wieder begegnen, dessen Verhalten ihren heutigen Zustand mit ausgelöst hat. Doch von dieser Konfrontation kann man keine Wunderheilung erwarten. Dagegen wirkt sich der Trip positiv auf das Verhältnis der beiden Schwestern zueinander aus; sie hatten sich zuvor entfremdet.

 

Hintergrund

 

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Nachdem Inger krank geworden war, musste Lene ihre Bedürfnisse hintan stellen: Als jüngere war sie plötzlich für die ältere mitverantwortlich. Das belastet sie sehr, auch während der Reise, wenn beispielsweise Inger nicht in ihrem eigenen Bett schlafen möchte und sich zwischen Lene und Vagn unter die Decke legt, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommt und sich womöglich aus dem Fenster stürzt. Oder später allein mit einem Taxifahrer loszieht, der sie zum Haus des Ex-Geliebten bringen soll.

 

Es geht um Familienbande

 

Während Lene sich weiter um ihre Schwester kümmert, wobei diese langsam gelöster wird, finden die beiden miteinander eine neue Ebene. Sie sprechen sich aus, hören einander zu und machen positive Erfahrungen miteinander – wenn etwa Inger einen Tagesausflug rettet, was die Reisegruppe mit Wohlwollen quittiert.

 

Regisseur Oplev erzählt das mit vielen Zwischentönen und unübersehbar tiefer Sympathie zu den Hauptpersonen. Er zeigt sie in allen Facetten, ohne zu gefühlig oder verletzend zu werden, nimmt dabei aber auch Schizophrenie und deren Auswirkungen auf Erkrankte ernst, ohne sie über Gebühr zu dramatisieren. Denn letzlich geht es nicht um sie, sondern Familienbande – man kann sie sich nicht aussuchen, aber mitunter besser gestalten.