Luc Besson

Dogman

Bei Douglas' Festnahme werden auch seine vierbeinigen Komplizen gestellt. Foto: © 2023-LBP-Europacorp-TF1 Filmsproduction / capelight pictures / Shanna Besson
(Kinostart: 12.10.) Outlaws auf vier Pfoten: In seinem Psychogramm eines Einzelgängers verzichtet Regisseur Luc Besson auf Frauen- und Waffen-Fetischisierung. Stattdessen folgt er einem buchstäblich auf den Hund gekommenen Drag-Künstler bei seinem Rachefeldzug gegen die Gesellschaft.

Ein Hundeleben ist nicht das Schlechteste. Auf den Besitzer kommt es an! Bei Douglas (Caleb Landry Jones) ist jeder Vierbeiner gut aufgehoben, ob Corgi oder Boxer, Dobermann oder Straßenköter. Die Hunde, die er liebevoll seine „Babys“ nennt, sind seine Familie. Vom eigenen Vater (Clemens Schick) wurde er als Junge regelmäßig misshandelt und in den Zwinger hinterm Haus gesperrt.

 

Info

 

Dogman

 

Regie: Luc Besson,

113 Min., Frankreich/ USA 2023;

mit: Caleb Landry Jones, Clemens Schick, Jojo T. Gibbs

 

Weitere Informationen zum Film

 

Damit nicht genug: Dougs brutale Kindheit endet abrupt, als ein Gewehrschuss ihn für immer an den Rollstuhl fesselt. Daraufhin findet er in einem Heim Zuflucht, aber von den Menschen hält er sich fortan fern. Nur die Shakespeare-Liebhaberin Salma (Grace Palma) dringt noch zu ihm durch. Mit ihrer Hilfe erkennt der geächtete Sohn, wie er durch Schauspiel und Verkleidung gegen das erlittene Trauma ankämpfen kann.

 

Ganz bei sich im Rampenlicht

 

Dougs liebster Ort auf der Welt wird schließlich die Show-Bühne einer Drag-Bar – obwohl er kaum länger als für einen Song auf zwei Beinen stehen kann. Im Rampenlicht, verkleidet als Marilyn Monroe, Marlene Dietrich oder Edith Piaf, ist er für einen kurzen Moment des Glücks ganz bei sich. Hier wird er erstmals für sein Talent respektiert und bewundert.

Offizieller Filmtrailer


 

Streuner gegen den Rest der Welt

 

So erklärt es Douglas bedächtig mit leiser Stimme der Psychiaterin Evelyn (Jojo T. Gibbs), als er zu Beginn von Luc Bessons Thriller in Untersuchungshaft sitzt. Die Expertin will alles über seine Vorgeschichte erfahren. Warum genau er festgenommen wurde, liegt zu diesem Zeitpunkt noch im Dunkeln. Aber eines steht fest: Douglas ist ein Geschundener, eine gebrochene Seele. Und er ist ein moderner Robin Hood, der mit einem Rudel von Streunern gegen den Rest der Welt kämpft.

 

Er hat seine Hunde darauf trainiert, Raubüberfälle in der reichen Nachbarschaft und andere kleine Vergeltungs-Jobs auszuführen. Doug nennt es „Umverteilung von Eigentum“. Mehr Worte braucht er für die Taten nicht. Seine Beziehung zu den Tieren geht tiefer als jede menschliche Verbindung. Er liebt, dressiert und versteht sie. Die einzige Schwäche von Hunden sei, sagt er, dass sie den Menschen vertrauten.

 

Genreübergreifender Befreiungsschlag

 

Mit dieser Außenseiter-Geschichte, die Luc Besson in „Dogman“ erzählt, wagt der französische Regisseur einen Neubeginn. Erst im Juni wurde ein Strafverfahren gegen ihn nach Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs rechtskräftig eingestellt. Dieser Film ist sein Comeback. Ein ganz großer Wurf ist ihm damit zwar nicht gelungen, aber ein unterhaltsamer, genreübergreifender Befreiungsschlag.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Valerian – Die Stadt der tausend Planeten (3D)" – originelle ScFi-Comic-Action von Luc Besson

 

und hier das Interview "Jeder von uns ist ein Sandkorn" – Gespräch mit Regisseur Luc Besson über seinen Film "Valerian"

 

und hier eine Besprechung des Films "Joker" – düstere Ansichten eines Clowns aus dem Batman-Universum von Todd Phillips

 

und hier einen Beitrag über den Film "Dogman" – düstere Parabel über einen Hundefriseur im Griff des Verbrechens von Matteo Garrone

 

und hier einen Bericht über den Film "Isle of Dogs – Ataris Reise" – fantasievoller Animationsfilm über eine Gefängnisinsel für Hunde von Wes Anderson.

 

Dementsprechend wild geht es auf der Leinwand zu: In seiner fragmentarischen Erzählweise mit langen Rückblenden durchläuft „Dogman“ alle möglichen Gattungen und Tonlagen. Von Rache-Thriller bis Gangster-Action, dazu ein Hauch Romantik, eine Prise Familiendrama und hier und da ein paar komödiantische Einlagen: Es ist von allem etwas dabei, doch richtig zusammenpassen will der gewagte Mix nicht. Subtilität und Feingefühl waren nie Bessons Stärken.  

 

Pantheon der Einzelgänger

 

Dafür kennt er sich umso besser mit Einzelgängern aus. In Frankreich gilt der Regisseur bis heute eher als einsamer Wolf. Für das Establishment zu nah am Mainstream, für Hollywood zu eigenwillig, feierte er seine größten Erfolge in den 1980er und 1990er Jahren. So erinnert „Dogman“ vor allem an seinen Kassenschlager „Leon – Der Profi“ (1994) über einen wortkargen Auftragskiller

 

Hauptdarsteller Caleb Landry Jones gelingt es, Dougs Sehnsucht und Seelenpein absolut überzeugend zu verkörpern. Sein Spiel hat etwas Aufrichtiges, das fesselt und bewegt. In ihrem inneren Schmerz erinnert die Figur an andere traumatisierte Antihelden der Kinogeschichte: zum Beispiel an Travis Bickle in Martin Scorseses „Taxi Driver“ (1976) oder den Clowndarsteller Arthur Fleck, der in Todd Phillips „Joker“ (2019) auf eigene Faust die Welt zu erlösen versucht. Mit ihm teilt Douglas weit mehr als die weiße Schminke im Gesicht.

 

Einsam ohne Bedauern

 

Im Laufe der Handlung wird deutlich, dass Doug in einer Art Ausweglosigkeit feststeckt, aus der er im Grunde gar nicht ausbrechen will. Er hat sich in seiner Einsamkeit eingelebt; die bedingungslose Liebe und Treue seiner Hunde ist ihm genug. Und wenn er in einem der stärksten Momente des Films Edith Piafs berühmten Chanson „Non, je ne regrette rien“ auf der Bühne regelrecht schmettert, glaubt man ihm gern, dass auch er sich nicht von den Leiden und bitteren Enttäuschungen seines Lebens unterkriegen lässt. Egal was war oder kommen wird.