Saim Sadiq

Joyland

Haider (Ali Junejo, li.) ist in die Trans-Frau Biba (Alina Khan) verliebt. Foto: © Filmperlen
(Kinostart: 9.11.) Vom Hausmann zum Go-go-Tänzer: Ein Pakistani flieht vor dem Diktat des Familienpatriarchen, indem er mit einer Trans-Frau aus dem Varieté anbändelt. Regisseur Saim Sadiq führt in opulenten, aber kitschfreien Bildern vor, wie schwierig es ist, sich traditionellen Rollenmustern zu entziehen.

Es ist eine Ausnahme von der Regel, auch hierzulande: Der Mann kümmert sich um die Kinder von Verwandten und den eigenen Vater, zusätzlich versorgt er die Kolleginnen der Ehefrau mit selbst gekochtem Mittagessen. In Pakistan ist das noch außergewöhnlicher, weshalb Haider (Ali Junejo) ständig den Spott seines erzkonservativen Vaters ertragen muss. In dessen Haus lebt er mit seiner Frau Mumtaz (Rasti Farooq) und der Familie seines ebenfalls altmodischen Bruders.

 

Info

 

Joyland

 

Regie: Saim Sadiq,

126 Min., Pakistan/ Frankreich 2022;

mit: Ali Junejo, Alina Khan, Rasti Farooq

 

Weitere Informationen zum Film

 

Mumtaz geht in ihrem Job als Kosmetikerin völlig auf. Daher stört es sie überhaupt nicht, dass ihr Gatte als Hausmann tätig ist, denn sie möchte nicht auf ihre Arbeit verzichten. Auch Haider wäre wohl mit dem Arrangement zufrieden, würden die Männer in seiner patriarchal geprägten Großfamilie nicht dauernd Druck auf ihn ausüben.

 

Gefühle für die Chefin

 

Da will es der Zufall, dass ihm ein Freund einen Job als Background-Tänzer in einem Varieté besorgt – im Showprogramm der Trans-Frau Biba (Alina Khan). Obwohl sein Vortanzen recht hüftsteif ausfällt, sieht sie Potential in ihm. So eröffnet sich dem verträumten jungen Mann eine völlig neue, funkelnde Welt, die ihn fasziniert und bald in moralische Bedrängnis bringt. In dieser freizügigen Umgebung ohne restriktive Tabus entwickelt er ungeahnte Gefühle für seine Chefin Biba, die das starre häusliche Familiengefüge gründlich erschüttern.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Nur männliche Tänzer zeigen Haut

 

Regisseur Saim Sadiq erzählt Haiders Emanzipation als opulent bebildertes, aber kitschfreies Melodram – wobei das enge 4:3-Bildformat begrenzte Verhältnisse darstellt, aus denen Haider wenigstens zeitweise ausbrechen kann. Dass der vermeintliche Nichtsnutz endlich Geld verdient und damit den herkömmlichen Erwartungen an einen Ernährer entspricht, kommt in der Großfamilie gut an. Sie verlangt gleichzeitig, dass Mumtaz sich gleichfalls in die traditionelle Rolle einer Hausfrau fügen soll – was sie nie wollte.

 

Das versteht Haider aber nicht. Er fühlt sich nach einer Weile in der schillernden Welt des „erotischen Tanztheaters“ sehr wohl; dabei tanzen Frauen in engen Glitzerkostümen eher temperamentvoll zu bollywoodartigem Hindi-Pop, als dass sie sich lasziv räkelten. Nackte Oberkörper-Haut dürfen nur die männlichen Go-go-Tänzer im Hintergrund zeigen. Dennoch hat das „Cabaret“ einen zweifelhaften Ruf, weshalb Haider zu Hause vorgibt, er sei dort als Leiter engagiert.

 

Am Rand von Legalität + Prostitution

 

Nur seiner Frau vertraut er sich an. Anfangs macht sich Mumtaz keine Sorgen, da Haiders Chefin für sie keine echte weibliche Konkurrenz darstellt. Als ihr Mann jedoch immer öfter und länger wegbleibt, ahnt sie, dass ihn nicht nur das liberale und kreative Milieu fasziniert, sondern auch Biba selbst. Sie hat sich ihre Freiheit und Unabhängigkeit hart erkämpft – was ihm bislang nicht gelungen ist. Wohl auch deshalb kommen er und Biba sich immer näher; sei es aus Liebe, sei es durch Begehren, was der Film lustvoll ausmalt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Das Blau des Kaftans" – subtil homoerotisches Dreiecks-Drama in Marokko von Maryam Touzani

 

und hier eine Besprechung des Films "Futur Drei" – Coming-of-Age-Drama eines schwulen Exil-Iraners von Faraz Shariat

 

und hier einen Beitrag über den Film "Was werden die Leute sagen" – norwegisches Melodram über Einwanderer aus Pakistan von Iram Haq

 

und hier einen Bericht über den Film "West is West" – turbulente Culture-Clash-Komödie in Pakistan von Andy De Emmony.

 

Neben dieser Romanze zeigt der Film aber auch die harten Lebensumstände von Trans-Frauen in Pakistan. Sie können sich nur in ihrer Gemeinschaft sicher fühlen und befinden sich stets am Rand von Legalität und Prostitution. Außerdem sind sie gesellschaftlicher Verachtung ausgesetzt – dieses Gefühl kennt wiederum Haider nur zu gut. Dagegen aufzubegehren hat er aber nicht gelernt.

 

Entfaltung nur am Rand der Gesellschaft

 

So flieht er lieber in die Cabaret-Sphäre, als sich um seine mittlerweile schwangere Frau zu kümmern, die keine besonders große Freude über ihren Zustand verspürt. Denn das droht ihre ungeliebte Hausfrauenrolle zu besiegeln – unter argwöhnischer Aufsicht des engstirnigen Patriarchen, der ans Haus gefesselt ist und von der Welt draußen nicht viel wissen will.

 

So entwirft Regisseur Sadiq eine Personen-Konstellation, die wie ein Mikrokosmos der verkrusteten Gesellschaft wirkt. In ihr ist individuelle Entfaltung nur an deren Rändern, mit viel Energie und großer Kampfbereitschaft möglich ist. Obwohl dabei auch andere Lebensentwürfe abseits tradierter Schemata zu sehen sind, etwa Trans-Identitäten, kehren beide Protagonisten zu überkommenen Mustern zurück: Haider als untreuer Ehemann, Mumtaz als sitzengelassene, einsame Frau.

 

Sie behält ihren Schmerz für sich und wählt den konsequentesten Ausweg aus ihrer Lage. Damit bringt sie auch Haider dazu, längst überfälligen Widerstand zu leisten – und seine Familie zu einer Erkenntnis, die hoffentlich die althergebrachte Rollenverteilung zumindest aufweicht.