Ridley Scott

Napoleon

Napoleon (Joaquin Phoenix) führt seine Truppen in die Schlacht. Foto: © 2023 Sony Pictures Entertainment Inc. All Rights Reserved.
(Kinostart: 23.11.) Napoleon Dynamite: Am ersten Hollywood-Biopic über Napoleon scheiden sich die Geister. Nicht nur französische Historiker haben viel auszusetzen an dem Film von Regisseur Ridley Scott, der ausdrücklich keine Geschichtsstunde erteilen soll. Dafür guckt er sich gut weg.

Keine andere historische Figur mit Ausnahme Adolf Hitlers tauchte öfter in Kinofilmen auf als Napoleon Bonaparte, der zwei Jahrzehnte lang die Armeen Europas vor sich hertrieb. Zugegeben: Wohl die Hälfte davon beschränkt sich auf karikaturistische Auftritte oder wichtige Sprechrollen wie in den zwei Verfilmungen von „Krieg und Frieden“. Doch nur wenige, zumeist europäische Produktionen, stellten den französischen Feldherren in den Mittelpunkt der Handlung, etwa das von Dino de Laurentiis produzierte Schlachten-Epos „Waterloo“ (1970) vom russischen Regisseur Sergej Bondartschuk.

 

Info

 

Napoleon

 

Regie: Ridley Scott,

158 Min., Großbritannien/ USA 2023;

mit: Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby, Ludivine Sagnier

 

Weitere Informationen zum Film

 

Noch weniger Filmemachern gelang es bisher, das Leben und das Wesen des Napoleon Bonaparte in Gänze abzubilden – nämlich keinem. Der Franzose Abel Gance konnte nur zwei von sechs Langfilmen realisieren, die er für die komplette Filmbiographie veranschlagt hatte, und das im Abstand von drei Jahrzehnten. Auch er sparte in „Austerlitz“ (1960) nicht mit Spott über den kleinen Kaiser. Stanley Kubrick brach sein Napoleon-Projekt noch in der Vorproduktion ab. Das vermittelt eine Ahnung davon, wie überlebensgroß diese Biographie ist, so dass sie den Rahmen jedes Biopics sprengt.

 

Das alte Regime stirbt

 

Bis jetzt. Sir Ridley Scott erspart uns allerdings die Jugendjahre des späteren Kaisers. Sein Film beginnt kurz nach der Revolution im Jahr 1793. Beklemmend ausführlich stirbt stellvertretend für das „Ancien Régime“ Marie Antoinette auf der Guillotine. Kontrafaktischerweise im Publikum: Napoleon, der sich bald darauf anschickt, im Dienst der Revolutionsarmee zunächst die Engländer und später die royalistischen Aufständischen niederzumachen. So beginnt sein Aufstieg zur Macht, den Scott vereinfacht, aber dafür gut verständlich nachzeichnet.

Offizieller Filmtrailer


 

Der Führer privat

 

Die Handlung fließt entlang der wichtigsten Stationen seines Lebens, gesäumt mit den wichtigsten Zitaten. Von denen gibt es reichlich: Kaum eines Politikers Leben ist so gut dokumentiert wie dasjenige von Napoleon, und kaum einer ist so vollständig hinter seinen Taten verschwunden, dass es immer noch schwer ist, den Menschen dahinter zu begreifen. Geschah alles nur aus Machthunger, oder stand dahinter wirklich eine größere, fortschrittliche Vision eines geeinten Europas? Darüber wird bis heute gestritten.

 

Regisseur Ridley Scott wagt selbst keinen politischen Kommentar. Sein Augenmerk gilt eher dem Kontrast zwischen dem Heerführer und dem Privatmann. Diese Kluft wurde schon zu Lebzeiten von der Presse und der gegnerischen Propaganda weidlich ausgeschlachtet. Die Korrespondenz mit seiner Gattin Joséphine beispielsweise wurde regelmäßig durchgestochen. Um diese Joséphine dreht sich in Scotts Version der ganze Kosmos des Korsen.

 

Kaiser ohne Kleider

 

Öffentliche Demütigungen, Machtspielchen, kindische Quengelei, einigermaßen ehrliche Aussprachen nach kurzem, freudlosem Akt – so sieht das Liebesleben des Diktators aus. Wenn es um Sex geht, wird der Landesvater zum unbeholfenen Kind. Und wenn der Mann im Ausland weilt, in Ägypten oder in der Verbannung auf Elba, reicht ein Zeitungsartikel über Joséphines Untreue, um ihn die Heimat zurückzurufen. Wo er sich dann natürlich auch um sein anderes Projekt kümmern muss: die Herrschaft über Europa.

 

Wie es aussieht, Millionen in den Tod zu reißen, davon vermitteln die Schlachtengemälde, mit denen der Film aufwartet, einen kleinen Eindruck. Allein die von ihm befehligten Schlachten kosteten, so wird im Abspann geschätzt, drei Millionen Soldaten das Leben. Die Inszenierung von Napoleons Siegen in Toulon, Austerlitz und Borodino und seiner Niederlage in Waterloo kommt mit erstaunlich wenig CGI aus und verlässt sich eher auf Hunderte von Komparsen. Computeranimation nutzt Scott vor allem, um zu zeigen, was eine Kanonenkugel anrichtet, wenn sie ein Pferd oder eine Menschenmenge trifft. Oder einen zugefrorenen See voller Feinde wie in Austerlitz.

 

Achillesferse Ehebett

 

Wie es sich aber für den Menschen anfühlt, der all das zu verantworten hat, das kann freilich auch ein Joaquin Phoenix nur schwer vermitteln. Dabei weiß der Hauptdarsteller imperiale Herrschaft ebenso zu verkörpern wie schleichenden Wahn oder, so zuletzt in Ari Asters Albtraumfilm „Beau is Afraid“, ein wimmerndes Häufchen Elend. In Napoleon darf er das ganze Spektrum ausschöpfen. In seiner ersten Schlacht als Kommandant hat Bonaparte noch sichtbar Angst. Jahre später stellt er sich allein seinen eigenen Soldaten entgegen – in der Gewissheit, dass sie es nicht wagen werden, auf ihn zu schießen.

 

Während er als Krieger also eine nachvollziehbare Entwicklung durchmacht, bleibt sein Verhältnis zu Joséphine seine konstante Schwachstelle. Der sich gegenseitig auf ungesunde Weise befruchtende Wechsel vom Feld der Ehre aufs Schlachtfeld der Ehe bestimmt den Rhythmus des ganzen Films. Das gipfelt in der Pointe, dass der nochmals ins Exil verbannte Napoleon Europa erst in Ruhe lässt, als es keine Joséphine mehr gibt, zu der er zurückkehren kann.

Hintergrund

 

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Nur zwei Rollen dürfen glänzen

 

Eine solchermaßen verengte Perspektive erlaubt es freilich nur zwei Rollen zu glänzen: Vanessa Kirby verkörpert eine überzeugende Joséphine. Angelegt als im Grunde ehrliche Opportunistin, scheint sie immer wieder magisch angezogen von dem Gefälle zwischen der Macht ihres Gatten und ihrer Macht über ihn. Dabei wechselt Joaquin Phoenix überzeugend zwischen Würde und Wehleidigkeit. Seine Entschlossenheit erscheint eine ewige Flucht nach vorn; es braucht nicht viel, um ihn wie den aufgeblasenen Kasper aussehen zu lassen, als der er schon zu Lebzeiten karikiert wurde.

 

Nebenfiguren wie Napoleons Bruder Lucien oder der französische Außenminister Talleyrand bleiben dagegen Stichwortgeber. Einzig Edouard Philipponnat als Zar Alexander I. und Rupert Everett als Napoleons letzter Kontrahent Wellington nutzen ihre wenigen Dialogsätze für eine profilierte Darstellung. Es ist anzunehmen, dass der vom Regisseur wie gewohnt angekündigte Director’s Cut solchen Nebenrollen etwas mehr Raum gibt.

 

Logistischer Triumph

 

Die eineinhalb Stunden kürzere Kinofassung ist zwar nicht besonders tiefschürfend, aber immer noch ein logistischer Triumph für Ridley Scott. Er hat mit der Darstellung von fünf (!) verschiedenen Schlachten praktisch die Achttausender bestiegen, an denen Kubrick scheiterte. Dass sie ihn in seiner Wahlheimat in der französischen Provinz fortan womöglich schräg ansehen werden, nimmt er dafür in Kauf. Sein „Napoleon“ ist ein solide inszeniertes Biopic im Hollywood-Stil, mit einer gehörigen Prise von britischem Spott.