Berlin

Großes Kino – Filmplakate aller Zeiten

Boris Bilinsky: Metropolis, 1927, © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Dietmar Katz
Keine Kassenschlager ohne Kinoplakate: Trotz Digitalisierung bleiben sie die wichtigsten Werbeträger für Filme. 300 Exemplare seit Beginn der bewegten Bilder präsentiert die Kunstbibliothek – die Geschichte des Mediums ist so abwechslungsreich und interessant wie ein kurzweiliger Kinobesuch.

Einen ganzen Film zu einem einzigen Bild verdichten: Das ist die Aufgabe eines Filmplakats. Im Idealfall deutet es Handlung und Atmosphäre des Films an, ohne zu viel zu verraten. Es springt Betrachtern ins Auge, fesselt ihre Aufmerksamkeit und macht sie neugierig. Schließlich soll das Plakat als Werbeträger zum Kinobesuch animieren. Auf welche Weise auch immer; erlaubt ist, was funktioniert.

 

Info

 

Großes Kino – Filmplakate aller Zeiten

 

03.11.2023 - 03.03.2024

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr

im Kulturforum, Matthäikirchplatz, Berlin

 

Katalog 48 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Dabei erzählen Filmplakate ebenso viel über die Epoche, in der sie entstanden, wie über die Filme selbst. Das zeigt die Ausstellung „Großes Kino“ der Berliner Kunstbibliothek: Aus ihrer Kollektion von 5000 Plakaten hat sie rund 300 ausgewählt. Aus den letzten 120 Jahren – also „allen Zeiten“, wie sie branchentypisch vollmundig titelt. Die Poster füllen beide Etagen der Sonderausstellungsfläche im Kulturforum; aber nicht als vollgepflasterte Plakatwände, sondern thematisch sinnvoll gruppiert und mit Hilfe der Deutschen Kinemathek detailliert kommentiert. So entsteht eine kurze Geschichte des Kinos auf großformatigen Papierbögen.

 

Brüllende Löwenschnauze für „Quo Vadis“

 

In der Anfangszeit waren Kino-Anschläge so kleinteilig und überladen wie bei Reklame um 1900 üblich: Dass in Vergnügungslokalen auch Filme vorgeführt wurden, erschien wie ein Nebenaspekt. Das änderte sich rasch mit dem beginnenden Starkult ab etwa 1910: Plakate beschränkten sich oft auf schwebende Konterfeis fast vergessener Stummfilm-Stars wie Asta Nielsen und Henry Porten. Oder auf eine brüllende Löwenschnauze wie bei der italienischen Romanverfilmung „Quo Vadis“ von 1913 über die Christenverfolgung unter Nero – mit 5000 Statisten der erste Monumentalfilm „aller Zeiten“.

Impressionen der Ausstellung


 

Dschingis-Khan-Nachfahre im Ring-Wirbel

 

In den 1920er Jahren explodierte geradezu die Kreativität der Designer. Josef Fenneker oder der renommierte Architekt Hans Poelzig, der 1927 das Ostberliner Kino „Babylon“ plante, schufen expressionistische Plakate mit dramatischen Licht-Schatten-Kontrasten, geisterhaften Gesichtern und stürzenden Linien. Andere Entwürfe machten Anleihen bei Historienmalerei, Karikaturen oder neusachlich klarer Formensprache.

 

So führte Jan Tschichold konstruktivistische Elemente nach Bauhaus-Manier ein; er rahmte Filmbilder geometrisch mit Flächen und Linien. Ähnlich waren Plakate der Sowjet-Avantgarde aufgebaut, von denen die Schau ein Beispiel zeigt. „Potomok Chingis-Khana“ („Der Erbe von Tschingis-Khan“), der in Deutschland 1929 unter dem Titel „Sturm über Asien“ lief, zeigt den Helden in einem Ring voller Mini-Porträts der Protagonisten, der den von ihm ausgelösten Wirbel symbolisiert.

 

Schatten der Vergangenheit in Nachkriegszeit

 

Höhepunkt dieser Design-Schule war gewiss die Werbekampagne für Fritz Langs SciFi-Klassiker „Metropolis“ (1927) mit mehr als einem Dutzend Postermotive für verschiedene Länder. Stolz präsentiert die Schau die französische Version: ein stilisiertes Wolkenkratzer-Gebirge auf zwei mal drei Metern Fläche. Das größte Exponat der Ausstellung ist zugleich wohl das letzte erhaltene Original-Exemplar.

 

Im NS-Regime waren Plakate meist so bieder wie die Filme. In der Nachkriegszeit wurde ein neoexpressionistischer Stil populär: mit hart ausgeleuchteten Gesichtern, zitternden Schreibschrift-Lettern und allerlei Schatten, welche die verdrängte Vergangenheit andeuteten, etwa das Plakat zu „Die Mörder sind unter uns“ (1946) von Wolfgang Staudte. Gefolgt von verspielter Grafik: Beim surrealistischen Experimentalfilm „Das Testament des Orpheus“ gestaltete der Dichter-Regisseur Jean Cocteau 1959 auch das Plakat – mit ein paar bunten Umrisslinien.

 

Zwei schwarze Rohre für „Potemkin“

 

Klarer und zugleich rätselhafter gerieten die Plakate, mit denen Designer wie Hans Hillmann, Heinz Edelmann und Isolde Baumgart ab Anfang der 1960er Jahre die aufkommenden Autorenfilme bewarben. Für Akira Kurosawas Epos „Die sieben Samurai“ kleckste Hillmann 1962 die Umrisse eines Schlachtengetümmels im Stil des Tachismus. Zur Wiederaufführung von Sergej Eisensteins Klassiker „Panzerkreuzer Potemkin“ 1967 begnügte er sich mit zwei schwarzen Zylindern, die Geschützrohren gleich schräg ins Weiße ragen. Mehr ‚weniger ist mehr‘ geht nicht.

 

Gleichzeitig entwickelte manche Ostblock-Staaten eigene Bildsprachen – weil Kinoplakate keiner Zensur unterlagen und Kommerzielles keine Rolle spielte. Besonders kühn waren viele Poster in Polen; etwa ein Schwarzweiß-Radarschirm für die SciFi-Mediation „Solaris“ (1972) von Andrej Tarkowski oder zwei feuerrote, liebend verschlungene Boxhandschuhe für „Rocky“ (1976) mit Sylvester Stallone. Auch in der DDR wurden originelle Plakate für aus dem Westen importierte Filme entworfen, etwa für „Star Trek“ oder „Es war einmal in Amerika“ von Sergio Leone.

 

Wortlose Grafik als Key Visuals

 

Ab den 1970er Jahren wurden Kinomärkte immer homogener – und damit auch die Filmwerbung. Als erster globaler Blockbuster gilt „Der weiße Hai“ (angelsächsisch: „Jaws“, 1975) von Steven Spielberg: Das Motiv des riesigen Fischmauls, das sich von unten einer arglosen Schwimmerin nähert, kennt vermutlich jeder. Es war so geläufig, dass sich ein anderer Mega-Erfolg darauf bezog: Auf dem Werbeplakat des Grusicals „The Rocky Horror Picture Show“ sieht man nur rote Lippen vor schwarzem Hintergrund, den Titel und den Slogan „a different kind of jaws“ („eine andere Art von Rachen“).

 

Inzwischen werden Mainstream- wie Arthouse-Produktionen weltweit vermarktet. Für maximalen Wiedererkennungswert setzen sie auf Key Visuals, also durchgängig verwendete Elemente. Das kann wortlose Grafik sein: Schon „Der Pate“ von Francis Ford Coppola warb 1972 mit dem Symbol einer Hand am Spielkreuz für Marionetten. Noch geläufiger sind die Fledermaus-Silhouette von „Batman“ (ab 1989), das Bettgespenst-Stoppschild für „Ghostbusters“ (1984) oder der Scherenschnitt-Saurier im „Jurassic Park“ (ab 1993).

 

Orange für Action, weiß für Komödien

 

Zudem haben sich visuelle Codes herausgebildet, die unbewusst vermitteln, um welchen Filmtyp es sich handelt. Die Ausstellung führt einige davon vor: Orangene Schrift vor schwarzem Grund signalisiert Action. Freigestellte Personen oder Objekte vor weißer Leere steht für vertrackte Tragikomödien mit ironischen oder skurrilen Zügen – etwa bei den Plakaten zu „Forrest Gump“ (1994) mit Tom Hanks, „Fargo“ (1996) von den Coen-Brüdern oder „Catch Me If You Can“ (2002) mit Leonardo DiCaprio.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "El Lissitzky und eine Rolle Plakate" – avantgardistische Filmplakate aus der frühen Sowjetunion im Sprengel Museum, Hannover.

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Neuer Deutscher Film – 50 Filmplakate von Margrit und Peter Sickert" im Haus der Berliner Festspiele in Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Der Titel wird im Bild fortgesetzt" mit Filmplakaten von Hans Hillmann im Folkwang Museum, Essen

 

und hier einen Artikel über die Ausstellung "Gemalter Film" über Filmplakate von Renato Casaro im Museum Folkwang, Essen

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Deadly And Brutal" mit handgemalten Filmplakaten aus Ghana in der Pinakothek der Moderne, München.

 

Die Fantasy-Filmtrilogie „Herr der Ringe“ (2001/3) von Peter Jackson schuf gar einen neuen Plakat-Prototyp: unten eine hell hinterlegte Actionszene, darüber schwebende Häupter der Figuren in proportionaler Größe zu ihrer Bedeutung im Film. Diese Bildformel wird seither von etlichen Popcorn-Kinoproduktionen mit vielköpfigem Ensemble kopiert.

 

Schlechter Drogentrip von Johnny Depp

 

Dennoch gelingen immer wieder einzigartige Lösungen. Das Plakat zum Film „The Truman Show“ (1998) ist aus Hunderten von Schnappschüssen zusammengesetzt – bei genügendem Abstand formen sie das Antlitz des Hauptdarstellers Jim Carey. Für die Drogenroman-Verfilmung „Fear and Loathing in Vegas“ warb im selben Jahr eine so wild gemorphte und verzerrte Aufnahme des Antlitzes von Johnny Depp, dass sein schlechter Trip einen optisch geradezu anspringt.

 

Weil ansonsten jeder Betrachter auf etwas anders anspringt, haben die Kuratoren 26 Filmschaffende – von Regie-Veteranninen wie Ulrike Ottinger und Elfi Mikesch bis zu Jungschauspielern wie Thea Ehre und Maximilian Mundt – gebeten, ihren Favoriten zu küren. Das Resultat ist ein gemischter Salat; Geschmäcker sind halt unterschiedlich. Lieber hätte man mehr über die PR-Tricks erfahren, mit denen heutzutage Filmplakate komponiert und Werbekampagnen in Szene gesetzt werden.

 

Europalastige Erblast

 

Weniger hierzulande als im Rest der Welt: Trotz ihrer Fülle ist die Auswahl sehr europalastig, inklusive Hollywood. Andere, teils sehr vitale Kinokulturen in Asien wie Indien, China und Japan oder in Lateinamerika wie Brasilien und Mexiko kommen kaum vor. Da zeigt sich die Erblast einer lange Zeit sehr einseitigen Sammelpraxis der Kunstbibliothek. Ansonsten ist der Rundgang so abwechslungsreich, kurzweilig und lehrreich, wie man sich einen Kinobesuch nur wünschen kann: Bei etlichen Plakaten möchte man sofort den beworbenen Film ansehen.