Henrik Martin Dahlsbakken

Munch

Premiere in Berlin: 1892 organisiert Edvard Munch (Mattis Herman Nyquist) seine bisher größte Ausstellung. Foto: Splendid Film
(Kinostart: 14.12.) Vier gewinnt – dachte sich Regisseur Henrik Martin Dahlsbakken, als er das Leben von Edvard Munch auf vier verschiedene Episoden reduzierte, die er mit vier unterschiedlichen Schauspielern verfilmte. Doch sein Potpourri wird der inneren Zerrissenheit des Proto-Expressionisten nicht gerecht.

Kann man den Werdegang eines bipolar gestörten Künstlers verfilmen, indem man das Drehbuch bipolar gestört anlegt? Der norwegische Jungregisseur Henrik Martin Dahlsbakken versucht es – und scheitert krachend. Zumindest kann sein Biopic über Edvard Munch (1863-1944) als Lehrbeispiel dienen, wie es nicht funktioniert.

 

Info

 

Munch

 

Regie: Henrik Martin Dahlsbakken,

105 Min., Norwegen 2023;

mit: Alfred Ekker Strande, Mattis Herman Nyquist, Ola G. Furuseth

 

Weitere Informationen zum Film

 

Aus dem langen, wechselhaften Leben von Munch greift Dahlsbakken vier Episoden heraus. Die verschachtelt er miteinander, walzt sie breit aus – und ignoriert den Rest. Mehr noch: Um das Proteische des Künstlers zu betonen, der oft genug an sich selbst irre wurde, lässt der Regisseur seine Hauptfigur von vier verschiedenen Schauspielern verkörpern, die sich kein bisschen ähneln. Das verhindert zuverlässig jeden emotionalen Zugang des Zuschauers: Kaum hat er sich an ein Gesicht gewöhnt, ist es schon wieder weg.

 

Wirksame Selbst-Sabotage

 

Dahlsbakkens wirksamster Kunstgriff, um sein Werk zu sabotieren, ist aber die Auswahl der Episoden: nicht etwa einschneidende Ereignisse, die Munchs Leben eine neue Richtung gaben – sondern ausgedehnte Unterhaltungen, während derer fast nichts geschieht. Das einzige, was diese Filmbiographie zusammenhält, ist das ununterbrochene Palaver der Protagonisten.

Offizieller Filmtrailer


 

Zweite Episode schrieb Darsteller selbst

 

Die erste Episode spielt 1883 in der norwegischen Sommerfrische. Jung-Maler Edvard (Alfred Ekker Strande) pinselt eifrig im Grünen, bis er eine kokette Bürgersfrau kennenlernt, die ihn umstandslos verführt – und nach dem Stelldichein sitzen lässt. Was seiner empfindsamen Seele gar nicht gut tut; das Publikum erahnt ein zeitlebens gestörtes Verhältnis zur holden Weiblichkeit.

 

Die zweite Episode ist die mit Abstand lächerlichste – kein Wunder: Dahlsbakken ließ sie von Munch-Darsteller Mattis Herman Nyquist selbst schreiben. 1892 wurde der Maler eingeladen, rund 50 Gemälde im Verein Berliner Künstler auszustellen. Doch seine radikale Malweise schockierte die Mehrheit der Vereinsmitglieder, so dass die Werkschau nach drei Tagen geschlossen wurde. Über den größten Kunstskandal des Kaiserreichs stritt man ausgiebig in der Presse. So wurde Munch über Nacht bekannt – was ihn zwar nicht reich machte, aber ihm fortan Beachtung sicherte.

 

Techno-Sause im heutigen Berlin

 

Nyquist verlegt den „Fall Munch“ ins Berlin der Gegenwart; vermutlich, weil das Budget nicht erlaubte, die Reichshauptstadt nachzubauen. Im heutigen Berlin chillen bekanntlich alle tagsüber am Wasserturm auf dem Prenzlauer Berg, um nachts mit Taxis von einer Techno-Disko zur nächsten zu fahren. Das tun auch Munch und seine Bohème-Freunde wie die norwegische Autorin Dagny Juel und ihr Mann, der polnische Schriftsteller Stanislaw Przybyszewski. Bei Dosenbier und harten Beats hauen sie sich prätentiöse Phrasen um die Ohren, etwa: „Wir sind so taub und schlaff und bleich geworden, dass wir den Weg des geringsten Widerstands wählen.“

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Edvard Munch – Zauber des Nordens" – kompetenter Überblick über Munchs Zeit in Berlin von 1892 bis 1908 in der Berlinischen Galerie, Berlin.

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Edvard Munch: Der moderne Blick" – umfangreiche Retrospektive in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "1912 – Mission Moderne" – beeindruckende Rekonstruktion der Jahrhundertschau des Sonderbundes mit Werken von Edvard Munch im Wallraf-Richartz-Museum, Köln.

 

Noch hochtrabender klingt es in der dritten Episode: „Meine Seele besteht aus zwei Wildvögeln, die in verschiedene Richtungen zerren.“ Das erzählt Ola G. Furuseth als Munch dem Dr. Jacobson (Jesper Christensen), der ihn acht Monate lang in einer Kopenhagener Nervenklinik behandelt; dorthin hatte sich der Maler 1908 nach Alkoholexzessen und einem Nerven-Zusammenbruch selbst eingewiesen. Wenn Furuseth nicht dem Psychiater sein Herz ausschüttet, hat er stumm starrend surreale Schwarzweiß-Visionen wie aus expressionistischen Stummfilmen.

 

Munch zerstörte Misslungenes

 

Die vierte Episode ist die ödeste. Der greise Künstler, nun gespielt von Anne Krigsvoll, will im von der Wehrmacht besetzten Norwegen verhindern, dass seine Gemälde den Deutschen in die Hände fallen. Dafür ändert er sein Testament und vermacht seinen Nachlass der Stadt Oslo – die damit 1963 ein ihm gewidmetes Museum bestücken wird. Eine Best-of-Diaschau aus dessen Bestand beschließt den Film.

 

Was immer man von den Bildern des Spätsymbolisten und Proto-Expressionisten Edvard Munch halten mag: Eine derart zerfaserte, mit allen möglichen Stilmitteln herumspielende und zugleich lähmend langweilige Würdigung hat Norwegens berühmtester Künstler nicht verdient. Zwar eint ihn mit Dahlsbakken ihre unbändige Experimentierwut. Doch im Unterschied zum Regisseur hat Munch misslungene Werke zerstört.