Veit Helmer

Gondola

Iva (Mathilde Irrmann) kehrt zurück und tritt die Nachfolge des Schaffners an und lernt Nino (Nino Soselia) kennen. Foto: jip film & verleih
(Kinostart: 7.3.) Wo die Gondeln Schauwert haben: Veit Helmers bewährte Mischung aus Exotismus und Stummfilm-Ästhetik stößt in dieser Romanze an ihre Grenzen. Mit am Reißbrett entworfenen Figuren und einem Übermaß an Klischees ist sein nettgemeinter Drahtseilakt gründlich misslungen.

Eine junge Frau liegt im Gras und schaut den Flugzeugen nach, die ihre Kondensstreifen am Himmel hinterlassen. Nino (Nino Soselia) hat sich für eine Stelle als Flugbegleiterin beworben. Doch die Mühlen mahlen langsam in der scheinbar aus der Zeit gefallenen Welt, die der deutsche Filmemacher Veit Helmer in diesem idyllischen georgischen Tal ansiedelt. So darf Nino von Flügen in ferne Länder bislang nur träumen. Bis dahin arbeitet sie weiter als Gondelführerin der Seilbahn, die in dieser abgelegenen Kaukasusregion für etwas Infrastruktur sorgt.

 

Info

 

Gondola

 

Regie: Veit Helmer,

83 Min., Georgien/ Deutschland 2023;

mit: Nino Soselia, Mathilde Irrmann, Zuka Papuashvili 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Ein paar Wiesen weiter beerdigt Iva (Mathilde Irrmann) derweil ihren Vater. Scheinbar ist sie allein aus diesem Grund in ihre Heimat zurückgekehrt. Hier wird sie ausgesprochen kühl begrüßt: Fenster schließen sich, wenn sie vorbeigeht; selbst ihre Mutter tritt ihr feindselig gegenüber. Trotzdem entschließt sich Iva, zu bleiben und beruflich in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, der ebenfalls Gondelführer war.

 

Flirt im Zeichen der Aufrüstung

 

Iva und Nino sind nun also Kolleginnen, begegnen sich aber zunächst selten. Schließlich ist die eine immer auf dem Weg nach oben, während die andere ins Tal fährt. Aus dieser Ausgangssituation entspinnt sich ein munterer Flirt, bei dem im Lauf der Zeit immer mehr aufgerüstet wird. Zunächst bringen die beiden einander im Vorbeifahren Ständchen. Dann schmücken sie ihre Gondeln immer elaborierter aus oder bauen sie komplett um – etwa in ein Kreuzfahrtschiff. Gemeinsam träumt es sich besser von den Verheißungen der weiten Welt.

Offizieller Filmtrailer


 

Denkmal für museale Technik

 

Es braucht allerdings einen gewissen Todesmut, um überhaupt in solche Metallkisten zu steigen, denn sie haben schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel. Optisch erinnern die Seilbahnkabinen des Films an ihre international zu Berühmtheit gekommenen Gegenstücke aus Tschiatura. In der georgischen Bergarbeiterstadt waren einst die meisten Seilbahnen weltweit unterwegs; mehr als sechs Jahrzehnte lang fungierten sie als Hauptverkehrsmittel.

 

2019 wurden die letzten der alten Gondeln aus Sicherheitsgründen aus dem Verkehr gezogen und durch moderne Kabinen ersetzt. Bisweilen drängt sich der Eindruck auf, Regisseur Helmer gehe es vor allem darum, ihnen ein Denkmal zu setzen. Die museale Technik, die ermüdend ausgiebig in Szene gesetzt wird, spielt neben Iva und Nino die eigentliche Hauptrolle in diesem Märchen.

 

Schlichtes Märchen ohne Worte

 

Der frische Wind, den die Verliebten in ihr abgelegenes Tal bringen, kommt auch bei den Dorfbewohnern an; sie lassen sich vom munteren Esprit der Romanze mitreißen. Plötzlich passieren Dinge, die lange Zeit unmöglich schienen – so wird etwa für den Rollstuhlfahrer, der vorher nicht in die Kabine passte, eine Konstruktion gebastelt, damit auch er endlich mitfahren kann. Nur der Stationsvorsteher der Seilbahn (Zviad Papuashvili) betrachtet das Treiben mit wachsender Missgunst, hat er doch selbst ein amouröses Interesse an Nino. Das führt immerhin zu etwas Anspannung in dieser ansonsten arg entschleunigten Geschichte.

 

Dabei verzichtet der Film komplett auf Dialoge; lediglich lautmalerische Quittiergeräusche sind sporadisch zu vernehmen. Die Skurrilität der Inszenierung kann jedoch kaum darüber hinwegtäuschen, wie wenig Substanz in ihr steckt. Dass dieses anfangs durchaus sympathische, bald aber eher schlichte Märchen ohne Worte bleibt, bringt durchaus ein paar charmante Ideen hervor. Der intendierte poetische Sog stellt sich aber nicht ein.

 

Kitsch-Konzept vom „Wilden Osten“

 

Eher wirkt „Gondola“ wie ein die Länge gezogener Kurzfilm, dessen naive Komik nicht nur in Richtung Kitsch, sondern bisweilen in schalen Exotismus abdriftet. So wird er nicht müde, bei jeder Gelegenheit die Musikalität und bukolische Lebensfreude der Georgier ins Spiel zu bringen. Helmer folgt damit einer Rezeptur, die sich in seiner 25-jährigen Karriere bewährt hat. Seinen Durchbruch hatte der Autorenfilmer, der seine Filme selbst produziert, mit dem Stummfilm „Tuvalu“ (1999). Der Debütfilm entstand mit schmalem Budget in einem Jugendstil-Hallenbad in Sofia. 

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Vom Lokführer, der die Liebe suchte" – Liebes-Komödie in Aserbaidschan von Veit Helmer

 

und hier eine Besprechung des Films "Baikonur" – märchenhafte Tragikomödie aus Kasachstan von Veit Helmer

 

und hier einen Beitrag über den Film "Als wir tanzten" – mitreißendes Männertanz-Coming-Out-Drama in Georgien von Levan Akin

 

und hier einen Bericht über den Film "Die langen hellen Tage" – stimmungsvolles Porträt zweier Freundinnen im Georgien der chaotischen 1990er Jahre von Nana Ekvtimishvili + Simon Groß.

 

Seitdem ist er mit immer wieder in diesen fiktionalen „Wilden Osten“ zurückgekehrt. In Aserbaidschan drehte er 2008 die Komödie „Absurdistan“ und 2018 den Film „Vom Lokführer, der die Liebe suchte“. In letzterem fahndete ein Zugführer in Baku nach der Besitzerin eines BHs, und auch diese Suche kam ohne Dialoge aus. Dieses Konzept stößt nun endgültig an seine Grenzen.

 

Dünne Handlung ohne Ambivalenzen

 

Es hat wohl auch mit der Abwesenheit von Sprache zu tun, dass die Figuren frei von Ambivalenzen sind. Sie wirken allesamt wie am Reißbrett entworfen. Der Stationsvorsteher etwa darf für nichts anderes als für die überkommene patriarchale Ordnung stehen. Er lebt noch in einer Welt, in der mann eine junge Frau mit einem Blumenstrauß für sich gewinnen kann. Für die Feindseligkeit der Mutter gibt es keinen erkennbaren Grund. Ihr harsches Gebaren lässt sich eigentlich nur damit erklären, dass sie mit der sexuellen Orientierung ihrer Tochter hadert.

 

Warum Iva einst das Dorf verließ? Darüber mag spekulieren, wer überhaupt soviel Interesse an der dünnen Handlung entwickelt. Dass die LGBTI-Community in Georgien nicht nur im ländlichen Raum nach vor wie einen schweren Stand hat, davon erzählte Levan Akin sehr überzeugend in dem Coming-Of-Age-Drama „Als wir tanzten“ (2019). Helmer lässt die angedeuteten Konflikte von „Gondola“ dagegen einfach in der Luft hängen.