
Am 28. März 2023 starb der japanische Komponist und Musiker Ryūichi Sakamoto. Seine – bis auf kurze Reunions – 1984 aufgelöste Band „Yellow Magic Orchestra“ wurde oft als japanisches Pendant zu „Kraftwerk“ bezeichnet. Um die Bedeutung seiner Person für die japanische Pop-Musik zu umreißen, muss man ihn mit gleich drei westlichen Brians vergleichen: Wie Brian Ferry war er ein geschmackssicherer, stets gut gekleideter Gentleman, wie Brian Eno erkannte er früh die Möglichkeiten des Synthesizers, und wie Beach Boy Brian Wilson konnte er magische Melodien und Harmonien heraufbeschwören.
Info
Opus – Ryuichi Sakamoto
Regie: Neo Sora,
103 Min., Japan 2023;
mit: Ryūichi Sakamoto
Weitere Informationen zum Film
Der Mann am Klavier
„Opus“ ist komplett in elegantem Schwarzweiß gefilmt. Der Film beginnt mit einem langsamen Zoom von hinten auf den einzigen Darsteller: Sakamoto sitzt im schwarzen Hemd am Klavier, die schneeweißen Haare perfekt gestutzt. Bedächtig entlockt er dem Flügel die ersten Töne. Er spielt Klavierauszüge seiner eigenen Kompositionen, es ist kein Publikum anwesend. Für die Dauer des Films wird die Kamera den Aufnahmeraum des Tonstudios nicht verlassen. Stattdessen wird sie ihn mehrmals durchmessen, während sie den Musiker in langen, immer neuen Einstellungen durch sein Opus begleitet.
Offizieller Filmtrailer
Ein Lebenswerk
Hundert Minuten lang einen Mann am Klavier zu filmen, ist eine echte Herausforderung, der sich Regisseur Neo Sora und Kameramann Bill Kirstein tapfer stellen. Kein Detail des Raumes bleibt ausgespart, keine Seite des Musikers ungefilmt. Immer wieder kehrt der Blick auf seine schlanken Hände zurück, wie sie sanft die Tasten massieren oder gestisch in der Luft verharren. Einmal stützt Sakamoto zwischen zwei Stücken kurz die Stirn in die Hände. Es ist eine Alltagsgeste, die einer technischen Wartezeit geschuldet sein mag, aber im Kontext der sakralen Inszenierung wird aus ihr existenzielle Erschöpfung.
Neben den oben genannten erklingen noch weitere Filmthemen, aber auch eigenständige Kompositionen. Werke wie „Tong Poo“ vom Yellow Magic Orchestra; „Happy End“, eine Kollaboration mit dem deutschen Musiker Alva Noto, sowie zwei jüngere, schlicht nach dem Entstehungsdatum benannte Stücke. Wenn Sakamoto für eines davon in den Klangkasten des Pianos greift und die Saiten zugunsten eines angenehmen Missklangs präpariert, ist das schon der dramatische Höhepunkt eines Films, der ohne Handlung oder Text auskommt.
Elegische Bildsprache
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Ennio Morricone – Der Maestro" – informative und komplexe Doku über den berühmten Filmkomponisten von Guiseppe Tornatore
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und hier einen Beitrag über die Wiederaufführung von John Mayburys Künstlerdrama "Love is the Devil - Studie für ein Porträt von Francis Bacon", ebenfalls mit einem Soundtrack von Ryūichi Sakamoto
und hier einen Beitrag über den Film "Score - Eine Geschichte der Filmmusik" von Matt Schrader.
Sakamotos Kompositionen erscheinen in diesem letzten Auftritt in ihrer puren, von allem Pomp der Musikproduktion ungetrübten Form und offenbaren hier gewissermaßen ihre kompositorische Seele. In ihr trifft sich eine Vielzahl von Quellen und Inspirationen, darunter russische Komponisten wie Modest Mussorgsky, Franzosen wie der Impressionist Maurice Ravel oder der schalkhafte Simplizist Erik Satie, aber auch eleganter Jazz von Miles Davis, sowie ein zen-artiges Harmonie-Gefühl. All das ergießt sich noch einmal in reinster Form über das Gemüt.
Kissaten im Kino
Obwohl „Opus“ also in erster Linie ein Musik-Ereignis und nur in zweiter ein Film-Erlebnis ist, ist die Aufführung im Lichtspieltheater gerechtfertigt. Schließlich wurden viele dieser Melodien für Kinofilme geschrieben. Auch wer einfach nur die Musik genießen will, wie es in japanischen Kissaten-Teestuben üblich ist, hat nun einen würdigen Platz, noch einmal persönlich und gemeinsam von diesem großen Komponisten Abschied zu nehmen.