Neo Sora

Opus – Ryūichi Sakamoto

Der legendäre Komponist Ryuichi Sakamoto. Foto: © 2022 KAB Inc.. Fotoquelle: Rapid Eye Movies
(Kinostart: 28.3.) Abschied vom Kino im Kino: Der 2023 verstorbene Komponist Ryūichi Sakamoto hinterließ erinnerungswürdige Filmmusiken. In “Opus“ spielt er sie letztmals unbegleitet auf dem Klavier. Aus dieser minimalistischen Vorgabe entsteht ein würdiges Requiem in Schwarzweiß.

Am 28. März 2023 starb der japanische Komponist und Musiker Ryūichi Sakamoto. Seine – bis auf kurze Reunions – 1984 aufgelöste Band „Yellow Magic Orchestra“ wurde oft als japanisches Pendant zu „Kraftwerk“ bezeichnet. Um die Bedeutung seiner Person für die japanische Pop-Musik zu umreißen, muss man ihn mit gleich drei westlichen Brians vergleichen: Wie Brian Ferry war er ein geschmackssicherer, stets gut gekleideter Gentleman, wie Brian Eno erkannte er früh die Möglichkeiten des Synthesizers, und wie Beach Boy Brian Wilson konnte er magische Melodien und Harmonien heraufbeschwören.

 

Info

 

Opus – Ryuichi Sakamoto

 

Regie: Neo Sora,

103 Min.,  Japan 2023;

mit: Ryūichi Sakamoto

 

Weitere Informationen zum Film

 

Zu den vielen Feldern, in denen er aktiv war, gehörte immer wieder die Filmmusik. Er komponierte Scores für Bernardo Bertolucchi („Der Himmel über der Wüste“, 1990, und „Der letzte Kaiser“, 1987), sowie für Nagisa Ōshibas Kriegsfilm „Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence“ (1983), in dem er neben David Bowie auch selbst mitspielte. Zuletzt vertonte er den japanischen Spielfilm „Die Unschuld“ von Hirukazu Kore-eda. Seine Kehlkopfkrebs-Erkrankung platzte mitten in die Aufnahmen zum biografischen Dokumentarfilm „Coda“ (2017); vor exakt einem Jahr klang sein Leben schließlich aus. Nun ist er in einer stillen Werkschau noch einmal im Kino zu hören und zu sehen.

 

Der Mann am Klavier

 

„Opus“ ist komplett in elegantem Schwarzweiß gefilmt. Der Film beginnt mit einem langsamen Zoom von hinten auf den einzigen Darsteller: Sakamoto sitzt im schwarzen Hemd am Klavier, die schneeweißen Haare perfekt gestutzt. Bedächtig entlockt er dem Flügel die ersten Töne. Er spielt Klavierauszüge seiner eigenen Kompositionen, es ist kein Publikum anwesend. Für die Dauer des Films wird die Kamera den Aufnahmeraum des Tonstudios nicht verlassen. Stattdessen wird sie ihn mehrmals durchmessen, während sie den Musiker in langen, immer neuen Einstellungen durch sein Opus begleitet.

Offizieller Filmtrailer


 

Ein Lebenswerk

 

Hundert Minuten lang einen Mann am Klavier zu filmen, ist eine echte Herausforderung, der sich Regisseur Neo Sora und Kameramann Bill Kirstein tapfer stellen. Kein Detail des Raumes bleibt ausgespart, keine Seite des Musikers ungefilmt. Immer wieder kehrt der Blick auf seine schlanken Hände zurück, wie sie sanft die Tasten massieren oder gestisch in der Luft verharren. Einmal stützt Sakamoto zwischen zwei Stücken kurz die Stirn in die Hände. Es ist eine Alltagsgeste, die einer technischen Wartezeit geschuldet sein mag, aber im Kontext der sakralen Inszenierung wird aus ihr existenzielle Erschöpfung.

 

Neben den oben genannten erklingen noch weitere Filmthemen, aber auch eigenständige Kompositionen. Werke wie „Tong Poo“ vom Yellow Magic Orchestra; „Happy End“, eine Kollaboration mit dem deutschen Musiker Alva Noto, sowie zwei jüngere, schlicht nach dem Entstehungsdatum benannte Stücke. Wenn Sakamoto für eines davon in den Klangkasten des Pianos greift und die Saiten zugunsten eines angenehmen Missklangs präpariert, ist das schon der dramatische Höhepunkt eines Films, der ohne Handlung oder Text  auskommt.

 

Elegische Bildsprache

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Ennio Morricone – Der Maestro" – informative und komplexe Doku über den berühmten Filmkomponisten von Guiseppe Tornatore

 

und hier eine Besprechung des Films "Die Unschuld" von Horekazu Kore-eda mit Musik von Ryūichi Sakamoto

 

und hier einen Beitrag über die Wiederaufführung von John Mayburys Künstlerdrama  "Love is the Devil - Studie für ein Porträt von Francis Bacon", ebenfalls mit einem Soundtrack von Ryūichi Sakamoto

 

und hier einen Beitrag über den Film "Score - Eine Geschichte der Filmmusik" von Matt Schrader.

 

Doch allem Einfallsreichtum zum Trotz bleibt das Verlangen, zwischendurch die Augen zu schließen und entsprechende Filmpassagen und Stimmungen aus dem Gedächtnis abzurufen. Vielleicht ist das auch intendiert. In diesen elegischen Versionen laden alle Stücke dazu ein, abzuschalten, auszuruhen, loszulassen. Für das allgegenwärtige Thema des Todes findet der Film seinen eigenen Ausdruck: Am Ende ist der Musiker ganz verschwunden, während die Tasten sich von allein bewegen und die Musik weiter spielt. Sie ist an dieser Stelle so schön, dass man sich vorstellen mag, mit ihr selbst in Frieden sterben zu können.  

 

Sakamotos Kompositionen erscheinen in diesem letzten Auftritt in ihrer puren, von allem Pomp der Musikproduktion ungetrübten Form und offenbaren hier gewissermaßen ihre kompositorische Seele. In ihr trifft sich eine Vielzahl von Quellen und Inspirationen, darunter russische Komponisten wie Modest Mussorgsky, Franzosen wie der Impressionist Maurice Ravel oder der schalkhafte Simplizist Erik Satie, aber auch eleganter Jazz von Miles Davis, sowie ein zen-artiges Harmonie-Gefühl. All das ergießt sich noch einmal in reinster Form über das Gemüt.

 

Kissaten im Kino

 

Obwohl „Opus“ also in erster Linie ein Musik-Ereignis und nur in zweiter ein Film-Erlebnis ist, ist die Aufführung im Lichtspieltheater gerechtfertigt. Schließlich wurden viele dieser Melodien für Kinofilme geschrieben. Auch wer einfach nur die Musik genießen will, wie es in japanischen Kissaten-Teestuben üblich ist, hat nun einen würdigen Platz, noch einmal persönlich und gemeinsam von diesem großen Komponisten Abschied zu nehmen.